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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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orleanistischen Nachgiebigkeitspolitik hielt, ist nicht im Stande gewesen, den Sul¬
tan anch nnr einen Zoll weit von der Linie seines guten Rechtes abzudrängen.

Die Rüstungen, welche man für beendet hielt, weil sie längst die sonst inne
gehaltene Grenze erreicht hatten, sind seit der letzten drohenden Wendung der
Verhandlungen in eine neue großartigere Phase getreten. Man hat, zum Stau¬
nen aller hier anwesenden Ausländer, eine neue Redif- (Landwehr) Klasse aus¬
geschrieben und legt so eben die letzte Hand an die Ausrüstung von hundert
Stuck Feldgeschützen, die, mit allem Nothwendigen versehen, zu Ausgang dieser
Woche nach dem Lager von Schnmla abgehen werden. Gestern passtrte diese
Artillerie unter den Fenstern meiner Wohnung vorüber. Die äußere Fläche der
Geschützröhre, die soeben aus dem Bohrhanse gekommen waren, hatte noch nicht
polirt werden können und wies die rauhe Gnßfläche vor; als Nachzügler folgten
einige Batterien Berghaubitzen, eine jede nur von einem einzigen Pferde mittelst
einer Gabeldeichsel gezogen. Der Anblick war ein großartiger, denn selten er¬
eignet es sich, auch in unserer an militärischen Schaustellungen reichen Zeit, daß
man hundert bespannte Kanonen mit einem Blick übersehen kann.

Was die russischen Kriegsvorbereitungen anlangt, so stimmen alle mir darüber
bekannt gewordenen Nachrichten darin überein, daß eine Concentrirung von vier
Infanterie-Corps, d. h. der Hälfte der ganzen Wassenmacht des Reiches, in der
Ausführung begriffen ist. Dieselben repräsentiren inclusive Kosacken und der
ungeheuren großen Cavallerie-Reserve einen Bestand von mindestens 230,000 Manu.
So weit ich mich erinnere, hat Rußland in keinem seiner früheren Kriege eine
Armee von solcher Größe beisammen gehabt. Auch 1812 nicht, wo es um die
Frage des Seins oder Nichtseins seines Reiches sich handelte. Ans Jafsy und
aus den russischen Südprovinzen schreibt man von ungeheuren Massen, die sich
dem Pruth zu bewegen. Man steht weite Kolonnen von Tramwagen, ungeheure
Herden Schlachtviehs durch das Land ziehen, wahrend man am Rande der
Steppen grandiose Getrcidemagazine errichtet.

Man ist der Ansicht, daß Rußland aus mindestens drei Operations-Linien
zugleich in die Türkei einbrechen werde; ja eine solche Theilung ist durch die
Landesnatur, welche ein Marschiren mit gesammelten Massen in einer Direction
aus Gründen der Schwierigkeit der Verpflegung verbietet, zur Nothwendigkeit
gemacht. Im letzten Kriege trat Kaiser Nikolaus mit 100,000 Mann auf und
beschränkte seine Operationen im Wesentlichen auf das nordöstliche Viertel der
europäischen Türkei. Gegenwärtig indeß, wo man russischer Seits mindestens
200,000 Maun wird einrücken lassen können, mag man zwei Drittel des Ganzen
damit umfassen; indeß immer doch nnr unter der Voraussetzung, daß, wie es
freilich wahrscheinlich ist, die Türkei allein stehen wird. Hat sie das unerwartete
Glück, einen überseeischen Verbündeten zu finden, und entschließt sich derselbe
auch nur 30,000 Mann aus diesem Kriegstheater fechten zu lassen, so wird solcher


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orleanistischen Nachgiebigkeitspolitik hielt, ist nicht im Stande gewesen, den Sul¬
tan anch nnr einen Zoll weit von der Linie seines guten Rechtes abzudrängen.

Die Rüstungen, welche man für beendet hielt, weil sie längst die sonst inne
gehaltene Grenze erreicht hatten, sind seit der letzten drohenden Wendung der
Verhandlungen in eine neue großartigere Phase getreten. Man hat, zum Stau¬
nen aller hier anwesenden Ausländer, eine neue Redif- (Landwehr) Klasse aus¬
geschrieben und legt so eben die letzte Hand an die Ausrüstung von hundert
Stuck Feldgeschützen, die, mit allem Nothwendigen versehen, zu Ausgang dieser
Woche nach dem Lager von Schnmla abgehen werden. Gestern passtrte diese
Artillerie unter den Fenstern meiner Wohnung vorüber. Die äußere Fläche der
Geschützröhre, die soeben aus dem Bohrhanse gekommen waren, hatte noch nicht
polirt werden können und wies die rauhe Gnßfläche vor; als Nachzügler folgten
einige Batterien Berghaubitzen, eine jede nur von einem einzigen Pferde mittelst
einer Gabeldeichsel gezogen. Der Anblick war ein großartiger, denn selten er¬
eignet es sich, auch in unserer an militärischen Schaustellungen reichen Zeit, daß
man hundert bespannte Kanonen mit einem Blick übersehen kann.

Was die russischen Kriegsvorbereitungen anlangt, so stimmen alle mir darüber
bekannt gewordenen Nachrichten darin überein, daß eine Concentrirung von vier
Infanterie-Corps, d. h. der Hälfte der ganzen Wassenmacht des Reiches, in der
Ausführung begriffen ist. Dieselben repräsentiren inclusive Kosacken und der
ungeheuren großen Cavallerie-Reserve einen Bestand von mindestens 230,000 Manu.
So weit ich mich erinnere, hat Rußland in keinem seiner früheren Kriege eine
Armee von solcher Größe beisammen gehabt. Auch 1812 nicht, wo es um die
Frage des Seins oder Nichtseins seines Reiches sich handelte. Ans Jafsy und
aus den russischen Südprovinzen schreibt man von ungeheuren Massen, die sich
dem Pruth zu bewegen. Man steht weite Kolonnen von Tramwagen, ungeheure
Herden Schlachtviehs durch das Land ziehen, wahrend man am Rande der
Steppen grandiose Getrcidemagazine errichtet.

Man ist der Ansicht, daß Rußland aus mindestens drei Operations-Linien
zugleich in die Türkei einbrechen werde; ja eine solche Theilung ist durch die
Landesnatur, welche ein Marschiren mit gesammelten Massen in einer Direction
aus Gründen der Schwierigkeit der Verpflegung verbietet, zur Nothwendigkeit
gemacht. Im letzten Kriege trat Kaiser Nikolaus mit 100,000 Mann auf und
beschränkte seine Operationen im Wesentlichen auf das nordöstliche Viertel der
europäischen Türkei. Gegenwärtig indeß, wo man russischer Seits mindestens
200,000 Maun wird einrücken lassen können, mag man zwei Drittel des Ganzen
damit umfassen; indeß immer doch nnr unter der Voraussetzung, daß, wie es
freilich wahrscheinlich ist, die Türkei allein stehen wird. Hat sie das unerwartete
Glück, einen überseeischen Verbündeten zu finden, und entschließt sich derselbe
auch nur 30,000 Mann aus diesem Kriegstheater fechten zu lassen, so wird solcher


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[0195] orleanistischen Nachgiebigkeitspolitik hielt, ist nicht im Stande gewesen, den Sul¬ tan anch nnr einen Zoll weit von der Linie seines guten Rechtes abzudrängen. Die Rüstungen, welche man für beendet hielt, weil sie längst die sonst inne gehaltene Grenze erreicht hatten, sind seit der letzten drohenden Wendung der Verhandlungen in eine neue großartigere Phase getreten. Man hat, zum Stau¬ nen aller hier anwesenden Ausländer, eine neue Redif- (Landwehr) Klasse aus¬ geschrieben und legt so eben die letzte Hand an die Ausrüstung von hundert Stuck Feldgeschützen, die, mit allem Nothwendigen versehen, zu Ausgang dieser Woche nach dem Lager von Schnmla abgehen werden. Gestern passtrte diese Artillerie unter den Fenstern meiner Wohnung vorüber. Die äußere Fläche der Geschützröhre, die soeben aus dem Bohrhanse gekommen waren, hatte noch nicht polirt werden können und wies die rauhe Gnßfläche vor; als Nachzügler folgten einige Batterien Berghaubitzen, eine jede nur von einem einzigen Pferde mittelst einer Gabeldeichsel gezogen. Der Anblick war ein großartiger, denn selten er¬ eignet es sich, auch in unserer an militärischen Schaustellungen reichen Zeit, daß man hundert bespannte Kanonen mit einem Blick übersehen kann. Was die russischen Kriegsvorbereitungen anlangt, so stimmen alle mir darüber bekannt gewordenen Nachrichten darin überein, daß eine Concentrirung von vier Infanterie-Corps, d. h. der Hälfte der ganzen Wassenmacht des Reiches, in der Ausführung begriffen ist. Dieselben repräsentiren inclusive Kosacken und der ungeheuren großen Cavallerie-Reserve einen Bestand von mindestens 230,000 Manu. So weit ich mich erinnere, hat Rußland in keinem seiner früheren Kriege eine Armee von solcher Größe beisammen gehabt. Auch 1812 nicht, wo es um die Frage des Seins oder Nichtseins seines Reiches sich handelte. Ans Jafsy und aus den russischen Südprovinzen schreibt man von ungeheuren Massen, die sich dem Pruth zu bewegen. Man steht weite Kolonnen von Tramwagen, ungeheure Herden Schlachtviehs durch das Land ziehen, wahrend man am Rande der Steppen grandiose Getrcidemagazine errichtet. Man ist der Ansicht, daß Rußland aus mindestens drei Operations-Linien zugleich in die Türkei einbrechen werde; ja eine solche Theilung ist durch die Landesnatur, welche ein Marschiren mit gesammelten Massen in einer Direction aus Gründen der Schwierigkeit der Verpflegung verbietet, zur Nothwendigkeit gemacht. Im letzten Kriege trat Kaiser Nikolaus mit 100,000 Mann auf und beschränkte seine Operationen im Wesentlichen auf das nordöstliche Viertel der europäischen Türkei. Gegenwärtig indeß, wo man russischer Seits mindestens 200,000 Maun wird einrücken lassen können, mag man zwei Drittel des Ganzen damit umfassen; indeß immer doch nnr unter der Voraussetzung, daß, wie es freilich wahrscheinlich ist, die Türkei allein stehen wird. Hat sie das unerwartete Glück, einen überseeischen Verbündeten zu finden, und entschließt sich derselbe auch nur 30,000 Mann aus diesem Kriegstheater fechten zu lassen, so wird solcher 2i*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/195>, abgerufen am 11.02.2025.