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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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das Einzige, was sonst im Stande ist, eine Entschädigung für sie zu gewähren,
fehlt oder mindestens dem Blick entzogen ist: der Zauber seiner Umgebungen.
Die engen Gassen, die zu beiden Seiten von elenden Holzhäusern eingefaßt sind,
werden von Stunde zu Stunde immer kothiger; weite Wasserlachen bilden sich
in der Mitte des Fahrweges und erfüllen stellenweise die ganze Breite der Straße;
die herrenlosen Hunde suchen gegen den kalten Sprühregen den Schutz der vor¬
ragenden Dächer, unter welche sich auch die Vorübergehenden hindrängen, denn
Regenschirme sind in den Massen der türkischen Bevölkerung noch wenig verbrei¬
tet; an ihrer statt bedient sich der muselmännische Einwohner des Baschlikö (Basch
heißt soviel-wie Haupt, Kopf, und ut hat die Bedeutung von Stück), einer Art
Kapuze, die über den Kopf dergestalt hinweggezogen wird, daß nur das Gesicht,
mit Ausschluß des Kinns, freibleibt, besonders aber Hals und Nacken bedeckt
werden. Besonders melancholisch sind die großen Kirchhöfe geworden, welche an
vielen Stellen das Häusermeer unterbrechen und ganze Stadtviertel voneinander
abgrenzen. Fast alle liegen am AbHange von Höhen und sind von breiten ge¬
pflasterten Straßen durchschnitten, welche verhältnißmäßig sehr reinlich erscheinen,
weil der' abschüssigen Lage wegen das Regenwasser hier schnellen Abfluß findet.
Rechts und links von diesen Pfaden, von einem Walde finsterer Cypressen über¬
dunkelt, dehnt sich das Gewimmel der türkischen Grabsteine. Ich mochte behaup¬
ten, daß Man nirgend anderswo die niedermähende Macht des Todes so ein¬
dringlich gepredigt erhält, wie ans diesen Ruhestätten. Grab an Grab, Stein
an Stein -- Viertelstunden weit und weiter. Ja der Kirchhof vou Skutari hat
eine Meile im Umfang. Zwischen den dichtgedrängt stehenden Leichensteinen
wächst spärliches Gras. Einige weidende Ziegen sind alles, was den weiten
Raum belebt; vielleicht noch ein Bettler sitzt am Wege und bittet den Vorüber¬
gehenden unter der Verheißung, daß Allah es ihm lohnen werde, um ein Almosen.

Zu Vera hat man bereits begonnen, die Palais der Gesandten in Stand
zu setzen. Ungeheure Schutthaufen vor dem östreichischen Legationshotel verkün¬
den, daß für die dortigen Wohnungsräume des Herrn v. Brück große Verän¬
derungen im Werke sind; die diesjährige Saison wird allem Erwarten nach ihren
Mittelpunkt daselbst finden. Auch die türkischen Großbeamten, welche gleich den
auswärtigen Gesandten noch in Bospor wohnen, lassen zu Stambul ihre ge¬
räumigen Konacks (große türkische Häuser) in Stand setzen. Es wird für Ihre
Leser mehr Interesse haben, von der innern Einrichtung der letzteren zu hören,
als von derjenigen der Gesandtschaftspalais. Zumeist sind es dreistöckige Hänser,
die durchweg aus Holz gebaut siud. Ihre Große ist sehr beträchtlich, die Fenster
stehen dicht beieinander, so daß fast nirgends in den Zimmern eine sogenannte
Spiegelwand übrigbleibt; die Gemächer sind niedrig, selten über 10 Fuß hoch,
klein, und es fehlt ihnen an Verbindungsthüren, vermöge deren man eine ganze
Reihe von Zimmern unter sich communiciren lassen könnte, wie das bei uns in


das Einzige, was sonst im Stande ist, eine Entschädigung für sie zu gewähren,
fehlt oder mindestens dem Blick entzogen ist: der Zauber seiner Umgebungen.
Die engen Gassen, die zu beiden Seiten von elenden Holzhäusern eingefaßt sind,
werden von Stunde zu Stunde immer kothiger; weite Wasserlachen bilden sich
in der Mitte des Fahrweges und erfüllen stellenweise die ganze Breite der Straße;
die herrenlosen Hunde suchen gegen den kalten Sprühregen den Schutz der vor¬
ragenden Dächer, unter welche sich auch die Vorübergehenden hindrängen, denn
Regenschirme sind in den Massen der türkischen Bevölkerung noch wenig verbrei¬
tet; an ihrer statt bedient sich der muselmännische Einwohner des Baschlikö (Basch
heißt soviel-wie Haupt, Kopf, und ut hat die Bedeutung von Stück), einer Art
Kapuze, die über den Kopf dergestalt hinweggezogen wird, daß nur das Gesicht,
mit Ausschluß des Kinns, freibleibt, besonders aber Hals und Nacken bedeckt
werden. Besonders melancholisch sind die großen Kirchhöfe geworden, welche an
vielen Stellen das Häusermeer unterbrechen und ganze Stadtviertel voneinander
abgrenzen. Fast alle liegen am AbHange von Höhen und sind von breiten ge¬
pflasterten Straßen durchschnitten, welche verhältnißmäßig sehr reinlich erscheinen,
weil der' abschüssigen Lage wegen das Regenwasser hier schnellen Abfluß findet.
Rechts und links von diesen Pfaden, von einem Walde finsterer Cypressen über¬
dunkelt, dehnt sich das Gewimmel der türkischen Grabsteine. Ich mochte behaup¬
ten, daß Man nirgend anderswo die niedermähende Macht des Todes so ein¬
dringlich gepredigt erhält, wie ans diesen Ruhestätten. Grab an Grab, Stein
an Stein — Viertelstunden weit und weiter. Ja der Kirchhof vou Skutari hat
eine Meile im Umfang. Zwischen den dichtgedrängt stehenden Leichensteinen
wächst spärliches Gras. Einige weidende Ziegen sind alles, was den weiten
Raum belebt; vielleicht noch ein Bettler sitzt am Wege und bittet den Vorüber¬
gehenden unter der Verheißung, daß Allah es ihm lohnen werde, um ein Almosen.

Zu Vera hat man bereits begonnen, die Palais der Gesandten in Stand
zu setzen. Ungeheure Schutthaufen vor dem östreichischen Legationshotel verkün¬
den, daß für die dortigen Wohnungsräume des Herrn v. Brück große Verän¬
derungen im Werke sind; die diesjährige Saison wird allem Erwarten nach ihren
Mittelpunkt daselbst finden. Auch die türkischen Großbeamten, welche gleich den
auswärtigen Gesandten noch in Bospor wohnen, lassen zu Stambul ihre ge¬
räumigen Konacks (große türkische Häuser) in Stand setzen. Es wird für Ihre
Leser mehr Interesse haben, von der innern Einrichtung der letzteren zu hören,
als von derjenigen der Gesandtschaftspalais. Zumeist sind es dreistöckige Hänser,
die durchweg aus Holz gebaut siud. Ihre Große ist sehr beträchtlich, die Fenster
stehen dicht beieinander, so daß fast nirgends in den Zimmern eine sogenannte
Spiegelwand übrigbleibt; die Gemächer sind niedrig, selten über 10 Fuß hoch,
klein, und es fehlt ihnen an Verbindungsthüren, vermöge deren man eine ganze
Reihe von Zimmern unter sich communiciren lassen könnte, wie das bei uns in


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[0192] das Einzige, was sonst im Stande ist, eine Entschädigung für sie zu gewähren, fehlt oder mindestens dem Blick entzogen ist: der Zauber seiner Umgebungen. Die engen Gassen, die zu beiden Seiten von elenden Holzhäusern eingefaßt sind, werden von Stunde zu Stunde immer kothiger; weite Wasserlachen bilden sich in der Mitte des Fahrweges und erfüllen stellenweise die ganze Breite der Straße; die herrenlosen Hunde suchen gegen den kalten Sprühregen den Schutz der vor¬ ragenden Dächer, unter welche sich auch die Vorübergehenden hindrängen, denn Regenschirme sind in den Massen der türkischen Bevölkerung noch wenig verbrei¬ tet; an ihrer statt bedient sich der muselmännische Einwohner des Baschlikö (Basch heißt soviel-wie Haupt, Kopf, und ut hat die Bedeutung von Stück), einer Art Kapuze, die über den Kopf dergestalt hinweggezogen wird, daß nur das Gesicht, mit Ausschluß des Kinns, freibleibt, besonders aber Hals und Nacken bedeckt werden. Besonders melancholisch sind die großen Kirchhöfe geworden, welche an vielen Stellen das Häusermeer unterbrechen und ganze Stadtviertel voneinander abgrenzen. Fast alle liegen am AbHange von Höhen und sind von breiten ge¬ pflasterten Straßen durchschnitten, welche verhältnißmäßig sehr reinlich erscheinen, weil der' abschüssigen Lage wegen das Regenwasser hier schnellen Abfluß findet. Rechts und links von diesen Pfaden, von einem Walde finsterer Cypressen über¬ dunkelt, dehnt sich das Gewimmel der türkischen Grabsteine. Ich mochte behaup¬ ten, daß Man nirgend anderswo die niedermähende Macht des Todes so ein¬ dringlich gepredigt erhält, wie ans diesen Ruhestätten. Grab an Grab, Stein an Stein — Viertelstunden weit und weiter. Ja der Kirchhof vou Skutari hat eine Meile im Umfang. Zwischen den dichtgedrängt stehenden Leichensteinen wächst spärliches Gras. Einige weidende Ziegen sind alles, was den weiten Raum belebt; vielleicht noch ein Bettler sitzt am Wege und bittet den Vorüber¬ gehenden unter der Verheißung, daß Allah es ihm lohnen werde, um ein Almosen. Zu Vera hat man bereits begonnen, die Palais der Gesandten in Stand zu setzen. Ungeheure Schutthaufen vor dem östreichischen Legationshotel verkün¬ den, daß für die dortigen Wohnungsräume des Herrn v. Brück große Verän¬ derungen im Werke sind; die diesjährige Saison wird allem Erwarten nach ihren Mittelpunkt daselbst finden. Auch die türkischen Großbeamten, welche gleich den auswärtigen Gesandten noch in Bospor wohnen, lassen zu Stambul ihre ge¬ räumigen Konacks (große türkische Häuser) in Stand setzen. Es wird für Ihre Leser mehr Interesse haben, von der innern Einrichtung der letzteren zu hören, als von derjenigen der Gesandtschaftspalais. Zumeist sind es dreistöckige Hänser, die durchweg aus Holz gebaut siud. Ihre Große ist sehr beträchtlich, die Fenster stehen dicht beieinander, so daß fast nirgends in den Zimmern eine sogenannte Spiegelwand übrigbleibt; die Gemächer sind niedrig, selten über 10 Fuß hoch, klein, und es fehlt ihnen an Verbindungsthüren, vermöge deren man eine ganze Reihe von Zimmern unter sich communiciren lassen könnte, wie das bei uns in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/192>, abgerufen am 05.02.2025.