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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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bekannte Musikstücke; wir würden nicht unzufrieden sein, wenn die Waldnymphe
ein oder ein paar Jahre pausirte n. s. w. Aber das sind Ausstellungen se-
cundärer Natur, über die sich streiten laßt "ut in denen wir gern der erprobten
Kritik des Gewa"dhausdirectvri"ins, da wir in der Hauptsache mit ihm einver¬
standen sind, nachgeben wollen.

Aber über einen andern Punkt läßt sich nicht streiten, und in diesem stimmen
wir dem Kritiker der rheinischen Musikzeituug vollkommen bei. Es ist sehr schön,
daß wir in diesen Concerten Gelegenheit haben, bedeutende Gesangskünstler und
andere Virtuosen zu hören; wenn aber diese Gesangskünstler die Macht ihrer
Stimme "ud die Größe ihrer Technik uur in Arien von Donizetti zeigen kön¬
nen, so wollen wir sie lieber nicht höre". Donizetti mag ein sehr guter Kompo¬
nist sein, aber doch uur für das Theater, nicht für das Concert, und die Direk¬
tion glaube ja nicht, daß sie dem Publicum damit eine Concession macht, sie
möge es nur beobachten, sobald bei dem Uebergang aus dem Recitativ in die
Arie das herkömmliche geistreiche Accompagnement anfängt: es geht ein allge¬
meines Gelächter durch den gauzeu Saal, auch wenn die bedeutendste Sängerin
auf den Bietern steht. Und hier gerade hat die Concertdircction, die wir als
Träger des classischen Geschmackes betrachten, die heilige Verpflichtung gegen das
Publicum, nicht ihrerseits zur GeschmackSvcrwilderung desselben beizutragen. Noch
viel mehr gilt das von den eigentlichen Virtuosen, deren Blütezeit, Gott sei
Dank, vorüber ist. Wir finden es ganz in der Ordnung, wenn die tüchtigen
Mitglieder des Concerts, die mit so großer Aufopferung und mit so sehr geringer
äußerer Belohnung dem künstlerischen Gesammtwerk ihre Mitwirkung leihen, auch
einmal Gelegenheit finden, ihr Talent in einer Einzelleistung dem Publicum vorzu¬
führen, und bei denjenigen Instrumente", für die es keine Concerte gibt, und der Rakun
der Sache "ach "icht wol gebe" ka"", habe" wir auch nichts dagegen, wenn sie
sich ein eigenes Concert schreiben. Aber wo diese Rücksichten gegen Mitglieder
des Concertes nicht obwalten, und bei Instrumenten, für die es eine hinreichende
Auswahl guter Cvncertstücke gibt, z. B. Pianoforte und Violine, finden wir eine
Nachsicht gegen die Capricen compouirender Virtuosen ""verzeihlich, und es sind
in dieser Beziehung noch in den letzten Jahren ganz unglaubliche Dinge vorge¬
kommen. Wenn solche Virtuose" wirklich die Sympathie des Publicums für sich
haben, so mögen sie ein eigenes Concert geben. Das Gewandhaus hat durchaus
keine Veranlassung, dem absolut Schlechten und Geschmacklosen zur Folie zu dienen.

Man erlaube uns noch einige Bemerkungen über äußerliche Dinge. DaS
Interesse für Mttsik ist i" Leipzig, wie eigentlich in alle" größern Städten, in
stetem Wachsen. Es ist daher vora"sz"sehe", daß die Zahl der Concertbesucher
von Jahr zu Jahr steigen wird, und doch ist es bereits so weit gekommen, daß,
abgesehen von den geistigen Genüssen, deren man sich erfreut, der physische Zu-
stand, in den man durch die Concertatmvsphäre versetzt wird, ein's Infernalische


bekannte Musikstücke; wir würden nicht unzufrieden sein, wenn die Waldnymphe
ein oder ein paar Jahre pausirte n. s. w. Aber das sind Ausstellungen se-
cundärer Natur, über die sich streiten laßt »ut in denen wir gern der erprobten
Kritik des Gewa»dhausdirectvri»ins, da wir in der Hauptsache mit ihm einver¬
standen sind, nachgeben wollen.

Aber über einen andern Punkt läßt sich nicht streiten, und in diesem stimmen
wir dem Kritiker der rheinischen Musikzeituug vollkommen bei. Es ist sehr schön,
daß wir in diesen Concerten Gelegenheit haben, bedeutende Gesangskünstler und
andere Virtuosen zu hören; wenn aber diese Gesangskünstler die Macht ihrer
Stimme »ud die Größe ihrer Technik uur in Arien von Donizetti zeigen kön¬
nen, so wollen wir sie lieber nicht höre». Donizetti mag ein sehr guter Kompo¬
nist sein, aber doch uur für das Theater, nicht für das Concert, und die Direk¬
tion glaube ja nicht, daß sie dem Publicum damit eine Concession macht, sie
möge es nur beobachten, sobald bei dem Uebergang aus dem Recitativ in die
Arie das herkömmliche geistreiche Accompagnement anfängt: es geht ein allge¬
meines Gelächter durch den gauzeu Saal, auch wenn die bedeutendste Sängerin
auf den Bietern steht. Und hier gerade hat die Concertdircction, die wir als
Träger des classischen Geschmackes betrachten, die heilige Verpflichtung gegen das
Publicum, nicht ihrerseits zur GeschmackSvcrwilderung desselben beizutragen. Noch
viel mehr gilt das von den eigentlichen Virtuosen, deren Blütezeit, Gott sei
Dank, vorüber ist. Wir finden es ganz in der Ordnung, wenn die tüchtigen
Mitglieder des Concerts, die mit so großer Aufopferung und mit so sehr geringer
äußerer Belohnung dem künstlerischen Gesammtwerk ihre Mitwirkung leihen, auch
einmal Gelegenheit finden, ihr Talent in einer Einzelleistung dem Publicum vorzu¬
führen, und bei denjenigen Instrumente», für die es keine Concerte gibt, und der Rakun
der Sache »ach »icht wol gebe» ka»», habe» wir auch nichts dagegen, wenn sie
sich ein eigenes Concert schreiben. Aber wo diese Rücksichten gegen Mitglieder
des Concertes nicht obwalten, und bei Instrumenten, für die es eine hinreichende
Auswahl guter Cvncertstücke gibt, z. B. Pianoforte und Violine, finden wir eine
Nachsicht gegen die Capricen compouirender Virtuosen »»verzeihlich, und es sind
in dieser Beziehung noch in den letzten Jahren ganz unglaubliche Dinge vorge¬
kommen. Wenn solche Virtuose» wirklich die Sympathie des Publicums für sich
haben, so mögen sie ein eigenes Concert geben. Das Gewandhaus hat durchaus
keine Veranlassung, dem absolut Schlechten und Geschmacklosen zur Folie zu dienen.

Man erlaube uns noch einige Bemerkungen über äußerliche Dinge. DaS
Interesse für Mttsik ist i» Leipzig, wie eigentlich in alle» größern Städten, in
stetem Wachsen. Es ist daher vora»sz»sehe», daß die Zahl der Concertbesucher
von Jahr zu Jahr steigen wird, und doch ist es bereits so weit gekommen, daß,
abgesehen von den geistigen Genüssen, deren man sich erfreut, der physische Zu-
stand, in den man durch die Concertatmvsphäre versetzt wird, ein's Infernalische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/190>, abgerufen am 05.02.2025.