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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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der Begründer der preußischen Souveränetät, auch im Jnnern durch. Er
und seine Nachfolger ordneten Sonderinteressen, confessionelle Spaltungen und
Standesvorrechte dem Gedeihen des Gemeinwesens unter. Dies war aber nur
durch eine strenge, absolute Monarchie möglich; denn die Stände zeigten der
Einheit des Staates sich feindselig und abgeneigt, und die Masse des Volks hatte
uoch kein politisches Bewußtsein.

Im Innern erstarkt, begann der junge Staat sofort die großen Interessen
der deutschen Nation, in denen er wurzelte, im Reiche wie gegen das übrige
Europa zu vertreten. Wie der große Kurfürst den deutschen Osten von Polen
befreit hatte, so unterstützte er den deutschen Westen und Holland gegen den
Zwingherrn des damaligen Europas, gegen Ludwig XIV. Nicht anders verhielten
sich seine Nachfolger. Bei Friedrich Wilhelm I. gingen die Selbstständigkeit
Preußens und die Erfüllung der Pflichten gegen das deutsche Reich Hand in
Hand. Friedrich II. verband das Streben nach eigener Vergrößerung mit dem
Plane einer deutsche" Regeneration. Sein Bündniß mit Kaiser Karl VII. beruhte
auf dem Gedanken, die alte morsche Reichsverfassung durch einen lebensfähigen
Staatenbund zu ersetzen. Im Kriege gegen Franz I. vereinigte er die kräftigen
Staaten Norddeutschlands zu einem militärischen Bündniß; endlich gründete er
den deutschen Fürstenbund, der alle deutscheu Lande modernen Bestandes umfaßte.
Persönlicher und preußischer Ehrgeiz wirkte bei ihm zusammen mit deutschem
Gemeinstnn und Patriotismus. Beider Interessen aber durchdrängen sich im
preußischen Staat, während sie in Oestreich sich widersprachen; dieser Umstand
grade entschied über Preußens Aufgabe und Dentschlands Zukunft.

Unter Friedrich II. erfolgte die endliche Befreiung Westpreußens von der
polnischen Herrschaft. Friedrich willigte in die erste polnische Theilung, weil, er
in ihr das einzige Mittel sah, einen europäischen Krieg auf deutschen Schlacht¬
feldern zu hindern und Rußland und Oestreich, welche sonst über türkische Händel
unfehlbar sich selbst bekämpft hätten, anf fremde Kosten abzufinden. Ueberdies
war die Republik Polen durch ihre Anarchie ein gefährlicher Nachbar. Jede der
innern Factionen wendete sich an eine auswärtige Macht, immer überwältigender
aber setzte sich der russische Einfluß und bald die russische Miliärgewalt dort fest,
und im ganzen siebenjährigen Krieg war der angeblich neutrale Boden der Republik
das Hauptquartier und die Operationsbasis der russische" Heere gegen Deutsch¬
land. Schlesien, Brandenburg, Ostpreußen, alles deutsche Laud zwischen Niemen
und Weichsel, zwischen Oder und Elbe waren dadurch gleich sehr gefährdet. Die
Sicherheit Deutschlands nud Preußens erforderte daher die Besetzung der niedern
Weichsel und Westpreußens.

Friedrich Wilhelm II. war nicht gesonnen, einen Fingerbreit aus der Stellung
seines großen Oheims zu weichen. Als -1788 Nußland und Oestreich eng ver¬
bündet zur Theilung des türkischen Reiches sich erhoben, schloß Preußen


der Begründer der preußischen Souveränetät, auch im Jnnern durch. Er
und seine Nachfolger ordneten Sonderinteressen, confessionelle Spaltungen und
Standesvorrechte dem Gedeihen des Gemeinwesens unter. Dies war aber nur
durch eine strenge, absolute Monarchie möglich; denn die Stände zeigten der
Einheit des Staates sich feindselig und abgeneigt, und die Masse des Volks hatte
uoch kein politisches Bewußtsein.

Im Innern erstarkt, begann der junge Staat sofort die großen Interessen
der deutschen Nation, in denen er wurzelte, im Reiche wie gegen das übrige
Europa zu vertreten. Wie der große Kurfürst den deutschen Osten von Polen
befreit hatte, so unterstützte er den deutschen Westen und Holland gegen den
Zwingherrn des damaligen Europas, gegen Ludwig XIV. Nicht anders verhielten
sich seine Nachfolger. Bei Friedrich Wilhelm I. gingen die Selbstständigkeit
Preußens und die Erfüllung der Pflichten gegen das deutsche Reich Hand in
Hand. Friedrich II. verband das Streben nach eigener Vergrößerung mit dem
Plane einer deutsche« Regeneration. Sein Bündniß mit Kaiser Karl VII. beruhte
auf dem Gedanken, die alte morsche Reichsverfassung durch einen lebensfähigen
Staatenbund zu ersetzen. Im Kriege gegen Franz I. vereinigte er die kräftigen
Staaten Norddeutschlands zu einem militärischen Bündniß; endlich gründete er
den deutschen Fürstenbund, der alle deutscheu Lande modernen Bestandes umfaßte.
Persönlicher und preußischer Ehrgeiz wirkte bei ihm zusammen mit deutschem
Gemeinstnn und Patriotismus. Beider Interessen aber durchdrängen sich im
preußischen Staat, während sie in Oestreich sich widersprachen; dieser Umstand
grade entschied über Preußens Aufgabe und Dentschlands Zukunft.

Unter Friedrich II. erfolgte die endliche Befreiung Westpreußens von der
polnischen Herrschaft. Friedrich willigte in die erste polnische Theilung, weil, er
in ihr das einzige Mittel sah, einen europäischen Krieg auf deutschen Schlacht¬
feldern zu hindern und Rußland und Oestreich, welche sonst über türkische Händel
unfehlbar sich selbst bekämpft hätten, anf fremde Kosten abzufinden. Ueberdies
war die Republik Polen durch ihre Anarchie ein gefährlicher Nachbar. Jede der
innern Factionen wendete sich an eine auswärtige Macht, immer überwältigender
aber setzte sich der russische Einfluß und bald die russische Miliärgewalt dort fest,
und im ganzen siebenjährigen Krieg war der angeblich neutrale Boden der Republik
das Hauptquartier und die Operationsbasis der russische» Heere gegen Deutsch¬
land. Schlesien, Brandenburg, Ostpreußen, alles deutsche Laud zwischen Niemen
und Weichsel, zwischen Oder und Elbe waren dadurch gleich sehr gefährdet. Die
Sicherheit Deutschlands nud Preußens erforderte daher die Besetzung der niedern
Weichsel und Westpreußens.

Friedrich Wilhelm II. war nicht gesonnen, einen Fingerbreit aus der Stellung
seines großen Oheims zu weichen. Als -1788 Nußland und Oestreich eng ver¬
bündet zur Theilung des türkischen Reiches sich erhoben, schloß Preußen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/170>, abgerufen am 05.02.2025.