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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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worden, und die Pfarrgeistlichkeit geht jaus Wahlen hervor. Die Priester sind
selbst für ihre geistlichen Amtshandlungen der weltlichen Gerichtsbarkeit unter¬
worfen, unter dem Vorwande, daß der Vuero eeelesiastiec" abgeschafft sei. Das
heißt die Kirche demoralisiren, sie mit dem menschlichen Fortschritt in Harmonie
setzen und den "Klerus zum Bürger machen".

Einer der neuesten Reisenden in Südamerika, Hr. von Castelnau, erzählt,
daß er, von Pocantin herkommend, in ein Dorf Boavista gelangt sei, das unlängst
in eiuer Einöde sich erhoben hatte. Es bestand erst seit einigen Jahren und hatte
bereits 2 bis 300 Häuser und 1S00 Seelen. Die Kirche war wie die Häuser
mit Stroh gedeckt; man machte jedoch bereits Anstalten, sie ans Stein zu erbauen.
Eine große Regelmäßigkeit der Sitten herrschte in Boavista. Wer war der
Schöpfer dieses Dorfes? Ein armer Mönch des Namens Fray Francisco. Ab¬
soluter Chef dieser kleinen Colonie, besaß er für sich nichts; er lebte von Almosen,
bewahrte die Einfachheit eines Kindes und genoß die allgemeine Verehrung dieser
armen Leute, welche die Einöde verließen, um sich ihm anzuschließen und der
Regel des Gebetes und der Arbeit sich zu unterwerfen. Man folge dagen Hrn.
von Castelnau in ein anderes Dorf, Carolina, nicht fern von Boavista. Hier ist
die Verwaltung in den Händen eines jungen Offiziers, der sich langweilt und
Zeitvertreib sucht. Die Reisenden kommen am Mittag an und alles liegt noch
in tiefem Schlaf, wie gewöhnlich, weil die Nacht unter den ausschweifendsten Or¬
gien zugebracht ist, welche der junge Commandant selbst leitet, den Säbel in der
Hand, üppige Tänze anregend, die brünetten Mädchen der Tropen zum Vergnü¬
gen auffordernd und eine ganze Bevölkerung durch die Trunkenheit seiner groben
Lüste verderbend. Der Grad von Moralität in diesem Orte wird durch eine
einzige Ziffer bezeichnet: auf etwa 800 Einwohner kommen nur 2 verheirathete
Frauen. Carolina tanzt und schläft, während die unbesiegten Wilden es von allen
Seiten bedrängen und die Frauen ohne militärische Escorte nicht einmal zur
nächsten Quelle gehen können. Das sind die practischen Folgen der demokratischen
Religion und des Socialismus.

Eine große Rolle spielen in dem socialistischen Neugraiiada die Clubs.
Jeden Tag meldet die offizielle Zeitung die Gründung neuer demokratischer Ge¬
sellschaften, welche das Land mit einem furchtbaren Netze umspannen. Außer der
demokratischen Gesellschaft besteht in Bogota noch ein anderer Verein, die "repub¬
likanische Schule", ein Muster-Club und die oberste Leitung der demagogischen
Propaganda. Lehrer des revolutionären Rechts, "emancipirte" Priester, Hand¬
werker, die ihre Arbeit verlassen haben, vagabnndirende Redner sind die Helden
dieses Vereins. Die Regierung selbst sanctionirt die Autorität dieser Gesellschaft
durch ihre Anwesenheit: sie spricht hier ihre socialistischen Grundsätze ans. Der
Präsident Lopez empfängt Kränze, während die Büste Pius VIl, in Stücke ge¬
schlagen wird. Die Regierung benutzt diese Macht, durch welche sie selbst beherrscht


worden, und die Pfarrgeistlichkeit geht jaus Wahlen hervor. Die Priester sind
selbst für ihre geistlichen Amtshandlungen der weltlichen Gerichtsbarkeit unter¬
worfen, unter dem Vorwande, daß der Vuero eeelesiastiec» abgeschafft sei. Das
heißt die Kirche demoralisiren, sie mit dem menschlichen Fortschritt in Harmonie
setzen und den „Klerus zum Bürger machen".

Einer der neuesten Reisenden in Südamerika, Hr. von Castelnau, erzählt,
daß er, von Pocantin herkommend, in ein Dorf Boavista gelangt sei, das unlängst
in eiuer Einöde sich erhoben hatte. Es bestand erst seit einigen Jahren und hatte
bereits 2 bis 300 Häuser und 1S00 Seelen. Die Kirche war wie die Häuser
mit Stroh gedeckt; man machte jedoch bereits Anstalten, sie ans Stein zu erbauen.
Eine große Regelmäßigkeit der Sitten herrschte in Boavista. Wer war der
Schöpfer dieses Dorfes? Ein armer Mönch des Namens Fray Francisco. Ab¬
soluter Chef dieser kleinen Colonie, besaß er für sich nichts; er lebte von Almosen,
bewahrte die Einfachheit eines Kindes und genoß die allgemeine Verehrung dieser
armen Leute, welche die Einöde verließen, um sich ihm anzuschließen und der
Regel des Gebetes und der Arbeit sich zu unterwerfen. Man folge dagen Hrn.
von Castelnau in ein anderes Dorf, Carolina, nicht fern von Boavista. Hier ist
die Verwaltung in den Händen eines jungen Offiziers, der sich langweilt und
Zeitvertreib sucht. Die Reisenden kommen am Mittag an und alles liegt noch
in tiefem Schlaf, wie gewöhnlich, weil die Nacht unter den ausschweifendsten Or¬
gien zugebracht ist, welche der junge Commandant selbst leitet, den Säbel in der
Hand, üppige Tänze anregend, die brünetten Mädchen der Tropen zum Vergnü¬
gen auffordernd und eine ganze Bevölkerung durch die Trunkenheit seiner groben
Lüste verderbend. Der Grad von Moralität in diesem Orte wird durch eine
einzige Ziffer bezeichnet: auf etwa 800 Einwohner kommen nur 2 verheirathete
Frauen. Carolina tanzt und schläft, während die unbesiegten Wilden es von allen
Seiten bedrängen und die Frauen ohne militärische Escorte nicht einmal zur
nächsten Quelle gehen können. Das sind die practischen Folgen der demokratischen
Religion und des Socialismus.

Eine große Rolle spielen in dem socialistischen Neugraiiada die Clubs.
Jeden Tag meldet die offizielle Zeitung die Gründung neuer demokratischer Ge¬
sellschaften, welche das Land mit einem furchtbaren Netze umspannen. Außer der
demokratischen Gesellschaft besteht in Bogota noch ein anderer Verein, die „repub¬
likanische Schule", ein Muster-Club und die oberste Leitung der demagogischen
Propaganda. Lehrer des revolutionären Rechts, „emancipirte" Priester, Hand¬
werker, die ihre Arbeit verlassen haben, vagabnndirende Redner sind die Helden
dieses Vereins. Die Regierung selbst sanctionirt die Autorität dieser Gesellschaft
durch ihre Anwesenheit: sie spricht hier ihre socialistischen Grundsätze ans. Der
Präsident Lopez empfängt Kränze, während die Büste Pius VIl, in Stücke ge¬
schlagen wird. Die Regierung benutzt diese Macht, durch welche sie selbst beherrscht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/140>, abgerufen am 06.02.2025.