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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Das Drama ist eine Aufwärmung von Murger'schen Sesneg as Is, vie
LoKems mit neuen Witzworten und einer Dusche von geistreichen Paradoxen
und witzigen Tiraden, spitzigen Ausfällen und oft gelungenen Aperous aus
der käuflichen Damenwelt. Der Schluß ist eine bestellte Rührscene, fast noch
ekelhafter, wie die Luugenknoten in der Dame eux Camelias.

Was aber am meisten empört, ist der allgemeine Glaube des Publikums,
Barrsre habe ein moralisches Stück geschrieben. Eine Begebenheit, die von Anfang
bis zu Ende auf psychologischen Unwahrheiten beruht. Die Mario's sind vor¬
trefflich geschildert, die verstehen die Franzosen auch ganz gut, aber die Pariser
Herrenwelt hat der Dichter absichtlich entstellt, denn nicht das ist das Gefährliche
dieser Damen, daß sie junge Männer zu unsinniger Leidenschaft verführen, der
scheußliche Einfluß dieser Concubinenwirthschaft besteht vielmehr darin, daß sie zu
jeder wirklichen Leidenschaft unfähig macht. Das Bredaviertcl bezieht seine Be¬
völkerung aus der Provinz, und sie wird von den Pariser Männern zu dem
gemacht, was sie später wird. Nicht diese armen Geschöpfe sind anzuklagen, die
man sich von Arm zu Arm zuschlendert, sondern die herzlose, verderbte, männliche
Jugend, welche keinen andern Genuß kennt, als den gemeinsten. Mit welchem
Stoicismus man ihnen nicht Käuflichkeit vorwirft! Wer ist aber nicht käuflich in Frank¬
reich? werden die Töchter der ehrbarsten Häuser etwa nicht verkauft? Verkaufen die
Männer ihre Zukunft uicht um eine reiche Mitgift? was lieben die Krämerseelen
anders als Geld? Hat ein Herr Berard in einer Rede an die Epiciers unter
allgemeinem Zurufe nicht erst gestern den Satz ausgesprochen: 1a lidertv er 1'me>Lpen-
clenee e'est uns dcwrge Kien x-rrme? Was lernt der Knabe von seinem Vater
achten? Geld. Was lispelt die Mutter der Tochter ins Ohr. als sichres Ziel
des Lebens? Geld. Und ihr glaubt eine That damit gethan zu haben, wenn ihr
Geschöpfen, die ihr durch alle Verlockungen einer raffinirten Verführungsknnst in
den Schlamm gestoßen, vorwerfe, daß sie schmutzig seien. Wer zwingt euch, diese
unsaubere unerquickliche Gesellschaft aufzusuchen, als eure eigene Erbärmlichkeit, die
jedes stillen und keuschen Genusses unfähig ist? Da werden die ehrbaren Väter ihre
Töchter ins moralische Schauspielhaus führen, damit sie lernen, wohin das Laster führt.
Wenn aber die Tochter Einwendungen gegen den alten Senator machen würde,
den man ihr zum Manne geben will, wenn sie dem Vater zu sagen wagte, daß
sie einen Mann nicht heiraten könne, den sie nicht achte und nicht liebe, daß sie
ihn und sich unglücklich machen würde, dann ruft der Vater gewiß der Mutter
zu: "Haben wir uns je geachtet, haben wir uns je geliebt?" und die Heirat
wird ausgerufen und in drei Monaten hat die junge Frau einen Anbeter und der
Mann eine We ac mardrs.




Das Drama ist eine Aufwärmung von Murger'schen Sesneg as Is, vie
LoKems mit neuen Witzworten und einer Dusche von geistreichen Paradoxen
und witzigen Tiraden, spitzigen Ausfällen und oft gelungenen Aperous aus
der käuflichen Damenwelt. Der Schluß ist eine bestellte Rührscene, fast noch
ekelhafter, wie die Luugenknoten in der Dame eux Camelias.

Was aber am meisten empört, ist der allgemeine Glaube des Publikums,
Barrsre habe ein moralisches Stück geschrieben. Eine Begebenheit, die von Anfang
bis zu Ende auf psychologischen Unwahrheiten beruht. Die Mario's sind vor¬
trefflich geschildert, die verstehen die Franzosen auch ganz gut, aber die Pariser
Herrenwelt hat der Dichter absichtlich entstellt, denn nicht das ist das Gefährliche
dieser Damen, daß sie junge Männer zu unsinniger Leidenschaft verführen, der
scheußliche Einfluß dieser Concubinenwirthschaft besteht vielmehr darin, daß sie zu
jeder wirklichen Leidenschaft unfähig macht. Das Bredaviertcl bezieht seine Be¬
völkerung aus der Provinz, und sie wird von den Pariser Männern zu dem
gemacht, was sie später wird. Nicht diese armen Geschöpfe sind anzuklagen, die
man sich von Arm zu Arm zuschlendert, sondern die herzlose, verderbte, männliche
Jugend, welche keinen andern Genuß kennt, als den gemeinsten. Mit welchem
Stoicismus man ihnen nicht Käuflichkeit vorwirft! Wer ist aber nicht käuflich in Frank¬
reich? werden die Töchter der ehrbarsten Häuser etwa nicht verkauft? Verkaufen die
Männer ihre Zukunft uicht um eine reiche Mitgift? was lieben die Krämerseelen
anders als Geld? Hat ein Herr Berard in einer Rede an die Epiciers unter
allgemeinem Zurufe nicht erst gestern den Satz ausgesprochen: 1a lidertv er 1'me>Lpen-
clenee e'est uns dcwrge Kien x-rrme? Was lernt der Knabe von seinem Vater
achten? Geld. Was lispelt die Mutter der Tochter ins Ohr. als sichres Ziel
des Lebens? Geld. Und ihr glaubt eine That damit gethan zu haben, wenn ihr
Geschöpfen, die ihr durch alle Verlockungen einer raffinirten Verführungsknnst in
den Schlamm gestoßen, vorwerfe, daß sie schmutzig seien. Wer zwingt euch, diese
unsaubere unerquickliche Gesellschaft aufzusuchen, als eure eigene Erbärmlichkeit, die
jedes stillen und keuschen Genusses unfähig ist? Da werden die ehrbaren Väter ihre
Töchter ins moralische Schauspielhaus führen, damit sie lernen, wohin das Laster führt.
Wenn aber die Tochter Einwendungen gegen den alten Senator machen würde,
den man ihr zum Manne geben will, wenn sie dem Vater zu sagen wagte, daß
sie einen Mann nicht heiraten könne, den sie nicht achte und nicht liebe, daß sie
ihn und sich unglücklich machen würde, dann ruft der Vater gewiß der Mutter
zu: „Haben wir uns je geachtet, haben wir uns je geliebt?" und die Heirat
wird ausgerufen und in drei Monaten hat die junge Frau einen Anbeter und der
Mann eine We ac mardrs.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/74>, abgerufen am 01.07.2024.