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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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machen eine rühmliche Ausnahme, vielleicht, weil sie einen originelleren Weg
gehen müssen. In diesem Genre haben Fremint (nicht sein scheußliches Pferd,
das zum Schindanger geführt werden soll, ist gemeint) und andere lobenswerthes
geleistet. Auch viele gut gemachte Büsten wären zu nennen, aber sie treten
nicht über die Linie des Gewöhnlichen. Nur von Cordiers Büsten eines
Chinesen und einer Chinesin möchte ich- anderes behaupten. Unter den Statuen
ist uns Kavaliers ,,Wahrheit" aufgefallen, eine fleißig gearbeitete wohlmodel-
lirte Figur, allein der Leib ist plump, man denkt an den Paysan dn dauube,
und das Gesicht ist ohne alle Hoheit. Die Attitüde ist nicht 5le der Wahrheit,
und der Spiegel, den uns diese verite entgegenhält, ist ein Gemeinplatz. Doch
so wie es ist, muß dieses Werk als das bedeutendste des Salons bezeichnet
werden. Es spricht sich darin Kraft und Studium der menschlichen Anatomie
aus. Der "Frühling" von Lvisou ist ebenfalls das Product eiues talentvollen
Künstlers, eine zarte gefällige Schöpfung, aber sie kann uns trotz ihrer Vor¬
züge nicht recht interessiren. Diese kleine Auffassung der schönen Formen mag
wol unsern Salondämchen Freude macheu. Der goldne Schmetterling, der auf
der kleinen Hand herumflattert, mag wol den Beifall des jolisüchtigeu franzö¬
sischen Publicums finden -- wir haben keinen Gefallen an derlei. Die kleinen
Kindergrnppen von Pascal haben uns mehr angesprochen; in diesem Genre ist
das Zierliche und Feingemeißelte mehr an seinem Platze.

Begehen wir uns von den Marmorgebilden in der Rue de faubourg Pois-
sonnisre zu den Marmordichtcrn auf dem Börsenplätze. Wir wollen von dem
Vaudeville: "los Nies c>e marbe"^ sprechen, das jetzt so viel Glück hier macht
und der Dame aux Camclias den Rang abzulaufen verspricht. Die eigentliche
Kritik dieses Stücks ist schon durch diese Nebeneinanderstellung ausgesprochen. Der
Erfolg von Alexander Dumas Sohn ließ Herrn Barröre uicht schlafen, und er
ruhte nicht, bis er ein ähnliches Meisterwerk zusammengebracht. Diesmal sollten
aber zwei Fliegen mit einer Klappe todt gemacht werden. Zunächst stellte sich
Barrere die Aufgabe, das Interesse, welches die sittliche Damen- und Herrenwelt
an dem hinter den rosaseidenen Borhängen des Quartier Breda leicht verstellten
Leben an den Tag gelegt hat. Nebenbei sollte aber auch ein kühner Griff
nach dem dramatischen Tugendpreis damit versucht werden. Dürfen wir ans
dem Andrange schließen, dessen dieses Stück sich erfreut, dürfen wir nach dem
allerhöchsten Beifalle urtheilen, der dem jungen Vaudevillisten geworden, so mögen
wol beide Zwecke erreicht sein. -- Das Vaudeville besteht ans drei Theilen --
aus einem phantastisch allegorischen Prologe, aus eiuer zweiten Auflage von Dame
aux Camelias Scenen und aus einem rührenden Tugendschluß voll Religion und
Jfflandscher Spießbürgerlichkeit.

Der Prolog führt uns in Phidias Atelier. Der Künstler hat eine Gruppe
der schönen Venuspriestcrinnen Aspasta, Phryne und Lais vollendet für den reichen


machen eine rühmliche Ausnahme, vielleicht, weil sie einen originelleren Weg
gehen müssen. In diesem Genre haben Fremint (nicht sein scheußliches Pferd,
das zum Schindanger geführt werden soll, ist gemeint) und andere lobenswerthes
geleistet. Auch viele gut gemachte Büsten wären zu nennen, aber sie treten
nicht über die Linie des Gewöhnlichen. Nur von Cordiers Büsten eines
Chinesen und einer Chinesin möchte ich- anderes behaupten. Unter den Statuen
ist uns Kavaliers ,,Wahrheit" aufgefallen, eine fleißig gearbeitete wohlmodel-
lirte Figur, allein der Leib ist plump, man denkt an den Paysan dn dauube,
und das Gesicht ist ohne alle Hoheit. Die Attitüde ist nicht 5le der Wahrheit,
und der Spiegel, den uns diese verite entgegenhält, ist ein Gemeinplatz. Doch
so wie es ist, muß dieses Werk als das bedeutendste des Salons bezeichnet
werden. Es spricht sich darin Kraft und Studium der menschlichen Anatomie
aus. Der „Frühling" von Lvisou ist ebenfalls das Product eiues talentvollen
Künstlers, eine zarte gefällige Schöpfung, aber sie kann uns trotz ihrer Vor¬
züge nicht recht interessiren. Diese kleine Auffassung der schönen Formen mag
wol unsern Salondämchen Freude macheu. Der goldne Schmetterling, der auf
der kleinen Hand herumflattert, mag wol den Beifall des jolisüchtigeu franzö¬
sischen Publicums finden — wir haben keinen Gefallen an derlei. Die kleinen
Kindergrnppen von Pascal haben uns mehr angesprochen; in diesem Genre ist
das Zierliche und Feingemeißelte mehr an seinem Platze.

Begehen wir uns von den Marmorgebilden in der Rue de faubourg Pois-
sonnisre zu den Marmordichtcrn auf dem Börsenplätze. Wir wollen von dem
Vaudeville: „los Nies c>e marbe«^ sprechen, das jetzt so viel Glück hier macht
und der Dame aux Camclias den Rang abzulaufen verspricht. Die eigentliche
Kritik dieses Stücks ist schon durch diese Nebeneinanderstellung ausgesprochen. Der
Erfolg von Alexander Dumas Sohn ließ Herrn Barröre uicht schlafen, und er
ruhte nicht, bis er ein ähnliches Meisterwerk zusammengebracht. Diesmal sollten
aber zwei Fliegen mit einer Klappe todt gemacht werden. Zunächst stellte sich
Barrere die Aufgabe, das Interesse, welches die sittliche Damen- und Herrenwelt
an dem hinter den rosaseidenen Borhängen des Quartier Breda leicht verstellten
Leben an den Tag gelegt hat. Nebenbei sollte aber auch ein kühner Griff
nach dem dramatischen Tugendpreis damit versucht werden. Dürfen wir ans
dem Andrange schließen, dessen dieses Stück sich erfreut, dürfen wir nach dem
allerhöchsten Beifalle urtheilen, der dem jungen Vaudevillisten geworden, so mögen
wol beide Zwecke erreicht sein. — Das Vaudeville besteht ans drei Theilen —
aus einem phantastisch allegorischen Prologe, aus eiuer zweiten Auflage von Dame
aux Camelias Scenen und aus einem rührenden Tugendschluß voll Religion und
Jfflandscher Spießbürgerlichkeit.

Der Prolog führt uns in Phidias Atelier. Der Künstler hat eine Gruppe
der schönen Venuspriestcrinnen Aspasta, Phryne und Lais vollendet für den reichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/72>, abgerufen am 23.07.2024.