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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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zugsweise im Rheinland, hat das Theäteriuteresse beim Publicum seit 1868 außer¬
ordentlich abgenommen. Und da manche, der Tageslauue huldigende Aesthetiker
meinen, die Sommerthcater seien Vorläufer einer neuen dramatischen verheißungs¬
voller Aera, so sei hier gleich angemerkt, daß sogar außer in ein paar Badeorten,
nur noch in Ludwigshafen, gegenüber Mannheim, sowie in Bockenheim bei Frankfurt,
solche Twolitheater ihre Existenz ermöglichen. Der Indifferentismus gegen das
Theater ist also stärker, als selbst die Vergnügungssucht, er beherrscht nicht blos
die höhere Bildung, souderu auch die Mittelschichten. An wem liegt die Schuld
dieses Indifferentismus? Zum großen Theil gewiß an der nun einmal vorhandenen
Stimmung des Publicums; zum ebenso großen Theil aber anch daran, daß die
Directionen selber der Verwilderung des Geschmacks nach Kräften geschmeichelt
haben, weil es ihnen im Augenblicke die Kasse füllte -- um nachher eine desto
tiefere Ebbe nachfolgen zu lassen. Denn das Theater kann mit der Herabzerrnng
seiner Productionen doch nnr bis zu einem gewissen Punkte gehen; Gladiatoren¬
spiele, Stiergefechte oder wirkliche Massenkämpfe bleiben vor der Hand noch immer
Eigenthum des Circus, obgleich wir keineswegs daran zweifeln, daß auch dazu
die Theaterdirectoren gern die Hand geboten haben würden, wenn nicht die
räumlichen Beschränkungen der Bühne sie daran verhinderten. Die Versuche dazu
sind gemacht worden. Man würde jedoch ungerecht sein, wenn man in einem
großen Theile des Publicums einzelner Theaterorte nicht auch uoch audere, wen"
gleich nicht ästhetische, doch sittliche Gründe als maßgebend oder doch als mit¬
bedingend für die Gleichgiltigkeit gegen das Theater ansahe. Ohne uns näher
auf diese wenig reinliche Angelegenheit einzulassen, bemerken wir, daß allerdings
an manchen Orten, namentlich in Bezug auf das Engagement des weiblichen
Personals die Wünsche einzelner Herrn vom Comite" oder sonstiger einflußreicher
Persönlichkeiten bedingender erscheinen, als die ästhetischen Stimmen der öffent¬
lichen Kritik und die Aeußerungen des Publicums. Anderwärts sind wieder die
Directoren selber durch verwandtschaftliche und andere Bezüge der Art befangen,
so daß das Engagement für einzelne Fächer in der Oper und dem Schauspiel
nur getroffen scheint, um begünstigte" Persönlichkeiten die weniger lohnende"
Partieen ihres Faches abzunehmen oder ihnen in jeder Hinsicht als ungefährliche
Folie zu dienen. Noch anderwärts ist das einmal vorhandene, theils veraltete,
theils sonst ungenügend gewordene Personal so fest ineinander gewachsen und
verveltert, daß weder eine Reorganisation desselben, noch das Hervortreten eines
aufwachsenden Talents in einem angemessenen Wirkungskreise möglich wird.

Unter solchen allgemeinen Verhältnissen leidet natürlich auch das Repertoir,
ganz abgesehen von den Mängeln der Darstellung. Fast alle Direktionen, welche
ihr Unternehmen ans eigenen Mitteln oder mit geringen Zuschüssen leiten, handeln
natürlich einfach als Speculanten. Das Publicum will vor allem Opern, mit¬
unter ein Singspiel, höchstens noch leichte"Lustspiele und Birch-Pfeifferiadeu;


zugsweise im Rheinland, hat das Theäteriuteresse beim Publicum seit 1868 außer¬
ordentlich abgenommen. Und da manche, der Tageslauue huldigende Aesthetiker
meinen, die Sommerthcater seien Vorläufer einer neuen dramatischen verheißungs¬
voller Aera, so sei hier gleich angemerkt, daß sogar außer in ein paar Badeorten,
nur noch in Ludwigshafen, gegenüber Mannheim, sowie in Bockenheim bei Frankfurt,
solche Twolitheater ihre Existenz ermöglichen. Der Indifferentismus gegen das
Theater ist also stärker, als selbst die Vergnügungssucht, er beherrscht nicht blos
die höhere Bildung, souderu auch die Mittelschichten. An wem liegt die Schuld
dieses Indifferentismus? Zum großen Theil gewiß an der nun einmal vorhandenen
Stimmung des Publicums; zum ebenso großen Theil aber anch daran, daß die
Directionen selber der Verwilderung des Geschmacks nach Kräften geschmeichelt
haben, weil es ihnen im Augenblicke die Kasse füllte — um nachher eine desto
tiefere Ebbe nachfolgen zu lassen. Denn das Theater kann mit der Herabzerrnng
seiner Productionen doch nnr bis zu einem gewissen Punkte gehen; Gladiatoren¬
spiele, Stiergefechte oder wirkliche Massenkämpfe bleiben vor der Hand noch immer
Eigenthum des Circus, obgleich wir keineswegs daran zweifeln, daß auch dazu
die Theaterdirectoren gern die Hand geboten haben würden, wenn nicht die
räumlichen Beschränkungen der Bühne sie daran verhinderten. Die Versuche dazu
sind gemacht worden. Man würde jedoch ungerecht sein, wenn man in einem
großen Theile des Publicums einzelner Theaterorte nicht auch uoch audere, wen»
gleich nicht ästhetische, doch sittliche Gründe als maßgebend oder doch als mit¬
bedingend für die Gleichgiltigkeit gegen das Theater ansahe. Ohne uns näher
auf diese wenig reinliche Angelegenheit einzulassen, bemerken wir, daß allerdings
an manchen Orten, namentlich in Bezug auf das Engagement des weiblichen
Personals die Wünsche einzelner Herrn vom Comite" oder sonstiger einflußreicher
Persönlichkeiten bedingender erscheinen, als die ästhetischen Stimmen der öffent¬
lichen Kritik und die Aeußerungen des Publicums. Anderwärts sind wieder die
Directoren selber durch verwandtschaftliche und andere Bezüge der Art befangen,
so daß das Engagement für einzelne Fächer in der Oper und dem Schauspiel
nur getroffen scheint, um begünstigte» Persönlichkeiten die weniger lohnende»
Partieen ihres Faches abzunehmen oder ihnen in jeder Hinsicht als ungefährliche
Folie zu dienen. Noch anderwärts ist das einmal vorhandene, theils veraltete,
theils sonst ungenügend gewordene Personal so fest ineinander gewachsen und
verveltert, daß weder eine Reorganisation desselben, noch das Hervortreten eines
aufwachsenden Talents in einem angemessenen Wirkungskreise möglich wird.

Unter solchen allgemeinen Verhältnissen leidet natürlich auch das Repertoir,
ganz abgesehen von den Mängeln der Darstellung. Fast alle Direktionen, welche
ihr Unternehmen ans eigenen Mitteln oder mit geringen Zuschüssen leiten, handeln
natürlich einfach als Speculanten. Das Publicum will vor allem Opern, mit¬
unter ein Singspiel, höchstens noch leichte„Lustspiele und Birch-Pfeifferiadeu;


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[0494] zugsweise im Rheinland, hat das Theäteriuteresse beim Publicum seit 1868 außer¬ ordentlich abgenommen. Und da manche, der Tageslauue huldigende Aesthetiker meinen, die Sommerthcater seien Vorläufer einer neuen dramatischen verheißungs¬ voller Aera, so sei hier gleich angemerkt, daß sogar außer in ein paar Badeorten, nur noch in Ludwigshafen, gegenüber Mannheim, sowie in Bockenheim bei Frankfurt, solche Twolitheater ihre Existenz ermöglichen. Der Indifferentismus gegen das Theater ist also stärker, als selbst die Vergnügungssucht, er beherrscht nicht blos die höhere Bildung, souderu auch die Mittelschichten. An wem liegt die Schuld dieses Indifferentismus? Zum großen Theil gewiß an der nun einmal vorhandenen Stimmung des Publicums; zum ebenso großen Theil aber anch daran, daß die Directionen selber der Verwilderung des Geschmacks nach Kräften geschmeichelt haben, weil es ihnen im Augenblicke die Kasse füllte — um nachher eine desto tiefere Ebbe nachfolgen zu lassen. Denn das Theater kann mit der Herabzerrnng seiner Productionen doch nnr bis zu einem gewissen Punkte gehen; Gladiatoren¬ spiele, Stiergefechte oder wirkliche Massenkämpfe bleiben vor der Hand noch immer Eigenthum des Circus, obgleich wir keineswegs daran zweifeln, daß auch dazu die Theaterdirectoren gern die Hand geboten haben würden, wenn nicht die räumlichen Beschränkungen der Bühne sie daran verhinderten. Die Versuche dazu sind gemacht worden. Man würde jedoch ungerecht sein, wenn man in einem großen Theile des Publicums einzelner Theaterorte nicht auch uoch audere, wen» gleich nicht ästhetische, doch sittliche Gründe als maßgebend oder doch als mit¬ bedingend für die Gleichgiltigkeit gegen das Theater ansahe. Ohne uns näher auf diese wenig reinliche Angelegenheit einzulassen, bemerken wir, daß allerdings an manchen Orten, namentlich in Bezug auf das Engagement des weiblichen Personals die Wünsche einzelner Herrn vom Comite" oder sonstiger einflußreicher Persönlichkeiten bedingender erscheinen, als die ästhetischen Stimmen der öffent¬ lichen Kritik und die Aeußerungen des Publicums. Anderwärts sind wieder die Directoren selber durch verwandtschaftliche und andere Bezüge der Art befangen, so daß das Engagement für einzelne Fächer in der Oper und dem Schauspiel nur getroffen scheint, um begünstigte» Persönlichkeiten die weniger lohnende» Partieen ihres Faches abzunehmen oder ihnen in jeder Hinsicht als ungefährliche Folie zu dienen. Noch anderwärts ist das einmal vorhandene, theils veraltete, theils sonst ungenügend gewordene Personal so fest ineinander gewachsen und verveltert, daß weder eine Reorganisation desselben, noch das Hervortreten eines aufwachsenden Talents in einem angemessenen Wirkungskreise möglich wird. Unter solchen allgemeinen Verhältnissen leidet natürlich auch das Repertoir, ganz abgesehen von den Mängeln der Darstellung. Fast alle Direktionen, welche ihr Unternehmen ans eigenen Mitteln oder mit geringen Zuschüssen leiten, handeln natürlich einfach als Speculanten. Das Publicum will vor allem Opern, mit¬ unter ein Singspiel, höchstens noch leichte„Lustspiele und Birch-Pfeifferiadeu;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/494>, abgerufen am 03.07.2024.