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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Stellung seines Lebens, in welcher mit einem unvergleichlichen Humor die Lächer¬
lichkeit der englischen Gesellschaft gegeißelt wird, ihrem rigoristischen Moralprincip,
von Zeit zu Zeit ein beliebiges Opfer zu schlachten, während sie andere Sünder
frei ausgehen ließ, als durch die ästhetische Kritik. Macaulay scheint uns von
der poetischen Bedeutung Byrons doch nur die Außenseite aufgefaßt zu haben.

Die Abhandlung über Johnson (1831) ist mehr in der Form einer Re¬
cension gehalten, als die übrigen "Versuche". Wir freuen uns über den Witz
und die Entschiedenheit, mit der die schlechten Schriftsteller, die über Johnson
geschrieben, zurechtgewiesen werden, aber diese liegen uns selbst zu fern, als daß
wir ein unmittelbares Interesse daran nehmen sollten.

Der zweite Band enthält eine Abhandlung über den älteren Dichter
Bunyan (1830), deu uns der Verfasser zu überschätzen scheint; dagegen eine
sehr bedeutende und interessante Analyse von Horace Walpole (1833), einem
der sonderbarsten englischen Schriftsteller, in dem Macaulay eine ganze Gattung
der englischen Literatur auf das glänzendste charakterisirt. -- Sehr dependent ist
die Abhandlung über die Revolutionsgeschichte von Makintosh (183S). Sie
enthält eine zwar kurzgefaßte, aber eigentlich erschöpfende geschichtsphilosophische
Uebersicht der englischen Entwicklung, die bei dem spätern größern Geschichtwerke
den leitenden Gesichtspunkt gebildet hat. Macaulay zeigt uns, daß, wenn wir
kleinere Zeiträume der englischen Geschichte zusammenstellen, wir leicht auf die
Vorstellung gerathen, es bestehe dieselbe aus einem beständigen Wechsel von
Fortschritt und Rückschritt, während wir bei einer Vergleichung größerer Zeitab¬
schnitte sehr bald gewahr werden, daß darin eine Täuschung liegt, daß der Rück¬
schritt immer mir ein Umweg ist, der doch die Entwickelung weiter geführt hat.
Macaulay könnte dieses Gesetz in der ganzen Weltgeschichte wiederfinden und
er wird nur durch die den Engländern angeborne Abneigung gegen Abstractionen
und Verallgemeinerungen davon zurückgehalten, diesem Gesetz eine größere Aus¬
dehnung und eine bestimmtere Fassung zu geben. So macht er z. B. in der
übrigens sehr interessanten Abhandlung über Rankes Geschichte des Papstthums
(18i0) die Bemerkung, daß wir in der eigentlichen Wissenschaft und in der
materiellen Beherrschung des Lebens zwar einen beständigen Fortschritt wahrneh¬
men, daß aber in der religiösen und philosophischen Aufklärung eine solche Kon¬
tinuität nicht nachzuweisen ist. Er stellt die Regeneration des Katholicismus im
16. und 17. Jahrhundert und seine äußerlichen Siege, die auf die Erhebung des
Protestantismus erfolgten, mit der verwandten Erscheinung im 19. Jahrhundert,
die als eine Reaction gegen die Aufklärung eintrat, in Parallele und kommt zu
dem Resultat, daß hier ein beständiger Wechsel von Ebbe und Flut stattfindet,
der uns keine sehr erfreulichen Aussichten in die Zukunft eröffnet. In äußer¬
licher Beziehung ist das freilich ganz richtig, aber hätte Macaulay das innere
Wesen der Gegensätze schärfer ins Auge gesaßt, so würde er doch gefunden haben,


Stellung seines Lebens, in welcher mit einem unvergleichlichen Humor die Lächer¬
lichkeit der englischen Gesellschaft gegeißelt wird, ihrem rigoristischen Moralprincip,
von Zeit zu Zeit ein beliebiges Opfer zu schlachten, während sie andere Sünder
frei ausgehen ließ, als durch die ästhetische Kritik. Macaulay scheint uns von
der poetischen Bedeutung Byrons doch nur die Außenseite aufgefaßt zu haben.

Die Abhandlung über Johnson (1831) ist mehr in der Form einer Re¬
cension gehalten, als die übrigen „Versuche". Wir freuen uns über den Witz
und die Entschiedenheit, mit der die schlechten Schriftsteller, die über Johnson
geschrieben, zurechtgewiesen werden, aber diese liegen uns selbst zu fern, als daß
wir ein unmittelbares Interesse daran nehmen sollten.

Der zweite Band enthält eine Abhandlung über den älteren Dichter
Bunyan (1830), deu uns der Verfasser zu überschätzen scheint; dagegen eine
sehr bedeutende und interessante Analyse von Horace Walpole (1833), einem
der sonderbarsten englischen Schriftsteller, in dem Macaulay eine ganze Gattung
der englischen Literatur auf das glänzendste charakterisirt. — Sehr dependent ist
die Abhandlung über die Revolutionsgeschichte von Makintosh (183S). Sie
enthält eine zwar kurzgefaßte, aber eigentlich erschöpfende geschichtsphilosophische
Uebersicht der englischen Entwicklung, die bei dem spätern größern Geschichtwerke
den leitenden Gesichtspunkt gebildet hat. Macaulay zeigt uns, daß, wenn wir
kleinere Zeiträume der englischen Geschichte zusammenstellen, wir leicht auf die
Vorstellung gerathen, es bestehe dieselbe aus einem beständigen Wechsel von
Fortschritt und Rückschritt, während wir bei einer Vergleichung größerer Zeitab¬
schnitte sehr bald gewahr werden, daß darin eine Täuschung liegt, daß der Rück¬
schritt immer mir ein Umweg ist, der doch die Entwickelung weiter geführt hat.
Macaulay könnte dieses Gesetz in der ganzen Weltgeschichte wiederfinden und
er wird nur durch die den Engländern angeborne Abneigung gegen Abstractionen
und Verallgemeinerungen davon zurückgehalten, diesem Gesetz eine größere Aus¬
dehnung und eine bestimmtere Fassung zu geben. So macht er z. B. in der
übrigens sehr interessanten Abhandlung über Rankes Geschichte des Papstthums
(18i0) die Bemerkung, daß wir in der eigentlichen Wissenschaft und in der
materiellen Beherrschung des Lebens zwar einen beständigen Fortschritt wahrneh¬
men, daß aber in der religiösen und philosophischen Aufklärung eine solche Kon¬
tinuität nicht nachzuweisen ist. Er stellt die Regeneration des Katholicismus im
16. und 17. Jahrhundert und seine äußerlichen Siege, die auf die Erhebung des
Protestantismus erfolgten, mit der verwandten Erscheinung im 19. Jahrhundert,
die als eine Reaction gegen die Aufklärung eintrat, in Parallele und kommt zu
dem Resultat, daß hier ein beständiger Wechsel von Ebbe und Flut stattfindet,
der uns keine sehr erfreulichen Aussichten in die Zukunft eröffnet. In äußer¬
licher Beziehung ist das freilich ganz richtig, aber hätte Macaulay das innere
Wesen der Gegensätze schärfer ins Auge gesaßt, so würde er doch gefunden haben,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/490>, abgerufen am 23.07.2024.