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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Eltern sammt deinen eigenen verwaisten Geschwistern ernähren und Kleider für
dieselben schaffen."

Hierauf sprach Omer: "Nun denn mit Gott! Gute Nacht, Mejra. Ich
habe dich wohl verstanden, und wenn etwas daraus werden kann, spreche ich
morgen wieder vor."

Voll Freude, aber zugleich auch voll Kummer ging Omer vom Fenster der
schonen Mejra. "Wenn ich eine genügende Summe Geldes zusammenbringe,
wer ist dann glücklicher als ich! Wenn nicht, dann bin ich der unglücklichste!"
-- So träumte der nachdenklich gewordene Freier die ganze Nacht hindurch. Bei
Tagesanbruch wußte er sich vor Freude kaum zu fasse", weil ihm eingefallen war,
daß er einen reichen Juden unter seine besten Freunde zähle. -- "Wenn mir der
nicht borgt, wird mir niemand borgen!" -- dachte er und erhob sich alsbald und
machte sich auf den Weg. Er fand seinen Freund, den Juden, daheim und sprach
dem reichen Jsakar auf alle Weise zu, ihn zu dieser Anleihe zu bewegen.

Der Jude betheuerte, er sei sogar bereit, für seinen Freund Omer sein Blut
zu lassen, warum sollte er ihm nicht dreißig Beutel Piaster leihen? "Es soll mir
eine' Freude sein" -- sprach der Kaufmann Jsakar -- "wenn die schone Mejra
dein Weib wird." Dann fragte er seinen Freund Omer nach der Zeit, in wel¬
cher derselbe diese Schuld abzutragen gedenke?

"In sieben Jahren" -- gab dieser zur Antwort.

"Ana, mein lieber Freund! Aber wenn du in sieben Jahren nicht solltest
zahlen können, was hätte dann zu geschehen?"

Ich weiß nicht, wie ihnen dieser Vertrag einfiel, den sie beim Kadja gericht¬
lich bekräftigen ließen: daß, wenn Omer in sieben Jahren die Schuld von dreißig
Beuteln dem Juden nicht zurückzahlt, der Jude dem Omer auf der Gerichtsstube
ein Drams von der Zunge abschneiden und keiner an dem andern etwas zu for¬
dern haben soll.

Omer, der Bräutigam war überglücklich. Den ganzen Tag über that er
nichts und dachte an nichts als an seine Hochzeit, wie er dieselbe großartig aus¬
richten, aus welchem Scharlachlnch und Purpursammet er die Hochzeitgewäudcr
seiner Mejra zuschneiden lassen werde. Kurz gesagt, er dachte nicht sehr daran,
ans welche Weise er jene Summe fremden Geldes wiedererstatten, vielmehr ans
welche Weise er dasselbe am leichtesten vergeuden könnte.

Nach einem Monat übersiedelte Mejra in die Behausung des nunmehr wohl¬
habenden Omer. Ganze acht Tage ward ohne Unterbrechung banketirt. Niemand
kümmerte sich, wer da trank und wer zu bezahlen habe. Erst nach acht Tagen
ging die Hochzeitgcsellschaft auseinander. Omer blieb mit der schönen Mejra
allein.

Die Leute wunderten sich und konnten nicht begreifen, woher Omers Wohl¬
habenheit komme, daß er einen Aufwand führen konnte wie ein Beg. Doch gc-


Mrenzl'^te". III. IN.Z. 38

Eltern sammt deinen eigenen verwaisten Geschwistern ernähren und Kleider für
dieselben schaffen."

Hierauf sprach Omer: „Nun denn mit Gott! Gute Nacht, Mejra. Ich
habe dich wohl verstanden, und wenn etwas daraus werden kann, spreche ich
morgen wieder vor."

Voll Freude, aber zugleich auch voll Kummer ging Omer vom Fenster der
schonen Mejra. „Wenn ich eine genügende Summe Geldes zusammenbringe,
wer ist dann glücklicher als ich! Wenn nicht, dann bin ich der unglücklichste!"
— So träumte der nachdenklich gewordene Freier die ganze Nacht hindurch. Bei
Tagesanbruch wußte er sich vor Freude kaum zu fasse», weil ihm eingefallen war,
daß er einen reichen Juden unter seine besten Freunde zähle. — „Wenn mir der
nicht borgt, wird mir niemand borgen!" — dachte er und erhob sich alsbald und
machte sich auf den Weg. Er fand seinen Freund, den Juden, daheim und sprach
dem reichen Jsakar auf alle Weise zu, ihn zu dieser Anleihe zu bewegen.

Der Jude betheuerte, er sei sogar bereit, für seinen Freund Omer sein Blut
zu lassen, warum sollte er ihm nicht dreißig Beutel Piaster leihen? „Es soll mir
eine' Freude sein" — sprach der Kaufmann Jsakar — „wenn die schone Mejra
dein Weib wird." Dann fragte er seinen Freund Omer nach der Zeit, in wel¬
cher derselbe diese Schuld abzutragen gedenke?

„In sieben Jahren" — gab dieser zur Antwort.

„Ana, mein lieber Freund! Aber wenn du in sieben Jahren nicht solltest
zahlen können, was hätte dann zu geschehen?"

Ich weiß nicht, wie ihnen dieser Vertrag einfiel, den sie beim Kadja gericht¬
lich bekräftigen ließen: daß, wenn Omer in sieben Jahren die Schuld von dreißig
Beuteln dem Juden nicht zurückzahlt, der Jude dem Omer auf der Gerichtsstube
ein Drams von der Zunge abschneiden und keiner an dem andern etwas zu for¬
dern haben soll.

Omer, der Bräutigam war überglücklich. Den ganzen Tag über that er
nichts und dachte an nichts als an seine Hochzeit, wie er dieselbe großartig aus¬
richten, aus welchem Scharlachlnch und Purpursammet er die Hochzeitgewäudcr
seiner Mejra zuschneiden lassen werde. Kurz gesagt, er dachte nicht sehr daran,
ans welche Weise er jene Summe fremden Geldes wiedererstatten, vielmehr ans
welche Weise er dasselbe am leichtesten vergeuden könnte.

Nach einem Monat übersiedelte Mejra in die Behausung des nunmehr wohl¬
habenden Omer. Ganze acht Tage ward ohne Unterbrechung banketirt. Niemand
kümmerte sich, wer da trank und wer zu bezahlen habe. Erst nach acht Tagen
ging die Hochzeitgcsellschaft auseinander. Omer blieb mit der schönen Mejra
allein.

Die Leute wunderten sich und konnten nicht begreifen, woher Omers Wohl¬
habenheit komme, daß er einen Aufwand führen konnte wie ein Beg. Doch gc-


Mrenzl'^te». III. IN.Z. 38
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/463>, abgerufen am 23.07.2024.