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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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fanatischen Ansicht nach, dem Interesse muhammedanischer Herrschaft nicht mehr
conform sein sollte.

Am Mittwoch empfingen die Vertreter Frankreichs und Oestreichs, nämlich
Herr von la Conr und Baron von Brück fast gleichzeitig durch extraordinäre
Couriere einen Entwurf der vier Großmächte, Frankreich, Oestreich, England und
Preußen, zur Schlichtung der Streitfrage zwischen dem hiesigen Gouvernement
und dem Cat'met von Se. Petersburg, zugefertigt. Auch gelangte, ich weiß
uicht ob durch denselben Courier (es war Oberst Ruf) eine Abschrift eines auto-
graphen Schreibens des Kaisers von Oestreich an den Sultan in die Hände
des Juternuntins, der sich beeilte, den Großvezier davon in Kenntniß zu setzen,
nud einige Tage darauf das inzwischen angelangte Original (der Wortlaut der
Copie war durch den Telegraphen bis Semlin vermittelt und dort aufgesetzt
worden) dem Monarchen übergab.

Man durste bis zum Freitag noch einige Zweifel hegen, ob das Project,
von dem oben die Rede war, seitens Rußlands angenommen werden wurde, eine
Ungewißheit, die durch eine, ebenfalls telegraphisch bis Semlin beförderte De¬
pesche, datirt vom 6. August aus Wien, die Erledigung faud. Es war darin
dem Freiherrn von Brück die ausdrückliche Mittheilung gemacht, wie Rußland
seine definitive Einwilligung zu der schiedsrichterlichen Entscheidung der vier Mächte
gegeben habe, und daß es nunmehr nur daraus ankomme, die Pforte gleichfalls
zur Annahme zu bewegen.

Es ist wahrscheinlich, daß bereits am 1-1. d. Mes. der besagte Entwurf den
Ministern des Sultans vorgebreitet gewesen ist. Dieselben vereinigten sich an
diesem Tage, und zwar in den Nachmittagstunden, zu einem Medschliß (Minister-
rates) welches bis zum Sonnenniedergang währte. Ein Beschluß wurde in diesem
Conseil uoch uicht gefaßt, und zwar erklärt sich solches aus dem Umstände, daß
Lord Redcliffe am erwähnten Tage noch ohne directe Benachrichtigung von seiner
Regierung war. Die für ihn ausgefertigten Instructionen überbrachte erst am
12. gegen Abend der Steamer Caradoc, welcher zum Empfang derselben in
Marseille stationirt gewesen war und die Reise von dorther in außerordentlich
kurzer Zeit gemacht haben soll.

Soeben donnern die Batterien von Toppana. Schwere, weithin hallende
Donnerschläge! Ich kann nicht in Erfahrung bringen, welchem Anlaß es gilt.

Herr von Brück scheint Auftrag bekommen zu haben, die Meinung der an¬
gesehensten unter den Mitgliedern des Staatsconseils z" bearbeiten und im vor¬
aus sich deren Zustimmung zu der erwähnten Proposttiou zu sichern. Am Freitag
machte er verschiedenen Ministern seinen Besuch. Ich war im Hanse des einen
anwesend, als sein Wagen vorfuhr. Eine einfache Kalesche, ein Kutscher mit
einem Tressenhut ans dem Bock als Lenker der beiden Pferde. Sonst kein Prunk.
Ueber dem Jnternuutins befand sich der erste Dragoman der östreichischen Lega-


fanatischen Ansicht nach, dem Interesse muhammedanischer Herrschaft nicht mehr
conform sein sollte.

Am Mittwoch empfingen die Vertreter Frankreichs und Oestreichs, nämlich
Herr von la Conr und Baron von Brück fast gleichzeitig durch extraordinäre
Couriere einen Entwurf der vier Großmächte, Frankreich, Oestreich, England und
Preußen, zur Schlichtung der Streitfrage zwischen dem hiesigen Gouvernement
und dem Cat'met von Se. Petersburg, zugefertigt. Auch gelangte, ich weiß
uicht ob durch denselben Courier (es war Oberst Ruf) eine Abschrift eines auto-
graphen Schreibens des Kaisers von Oestreich an den Sultan in die Hände
des Juternuntins, der sich beeilte, den Großvezier davon in Kenntniß zu setzen,
nud einige Tage darauf das inzwischen angelangte Original (der Wortlaut der
Copie war durch den Telegraphen bis Semlin vermittelt und dort aufgesetzt
worden) dem Monarchen übergab.

Man durste bis zum Freitag noch einige Zweifel hegen, ob das Project,
von dem oben die Rede war, seitens Rußlands angenommen werden wurde, eine
Ungewißheit, die durch eine, ebenfalls telegraphisch bis Semlin beförderte De¬
pesche, datirt vom 6. August aus Wien, die Erledigung faud. Es war darin
dem Freiherrn von Brück die ausdrückliche Mittheilung gemacht, wie Rußland
seine definitive Einwilligung zu der schiedsrichterlichen Entscheidung der vier Mächte
gegeben habe, und daß es nunmehr nur daraus ankomme, die Pforte gleichfalls
zur Annahme zu bewegen.

Es ist wahrscheinlich, daß bereits am 1-1. d. Mes. der besagte Entwurf den
Ministern des Sultans vorgebreitet gewesen ist. Dieselben vereinigten sich an
diesem Tage, und zwar in den Nachmittagstunden, zu einem Medschliß (Minister-
rates) welches bis zum Sonnenniedergang währte. Ein Beschluß wurde in diesem
Conseil uoch uicht gefaßt, und zwar erklärt sich solches aus dem Umstände, daß
Lord Redcliffe am erwähnten Tage noch ohne directe Benachrichtigung von seiner
Regierung war. Die für ihn ausgefertigten Instructionen überbrachte erst am
12. gegen Abend der Steamer Caradoc, welcher zum Empfang derselben in
Marseille stationirt gewesen war und die Reise von dorther in außerordentlich
kurzer Zeit gemacht haben soll.

Soeben donnern die Batterien von Toppana. Schwere, weithin hallende
Donnerschläge! Ich kann nicht in Erfahrung bringen, welchem Anlaß es gilt.

Herr von Brück scheint Auftrag bekommen zu haben, die Meinung der an¬
gesehensten unter den Mitgliedern des Staatsconseils z» bearbeiten und im vor¬
aus sich deren Zustimmung zu der erwähnten Proposttiou zu sichern. Am Freitag
machte er verschiedenen Ministern seinen Besuch. Ich war im Hanse des einen
anwesend, als sein Wagen vorfuhr. Eine einfache Kalesche, ein Kutscher mit
einem Tressenhut ans dem Bock als Lenker der beiden Pferde. Sonst kein Prunk.
Ueber dem Jnternuutins befand sich der erste Dragoman der östreichischen Lega-


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[0427] fanatischen Ansicht nach, dem Interesse muhammedanischer Herrschaft nicht mehr conform sein sollte. Am Mittwoch empfingen die Vertreter Frankreichs und Oestreichs, nämlich Herr von la Conr und Baron von Brück fast gleichzeitig durch extraordinäre Couriere einen Entwurf der vier Großmächte, Frankreich, Oestreich, England und Preußen, zur Schlichtung der Streitfrage zwischen dem hiesigen Gouvernement und dem Cat'met von Se. Petersburg, zugefertigt. Auch gelangte, ich weiß uicht ob durch denselben Courier (es war Oberst Ruf) eine Abschrift eines auto- graphen Schreibens des Kaisers von Oestreich an den Sultan in die Hände des Juternuntins, der sich beeilte, den Großvezier davon in Kenntniß zu setzen, nud einige Tage darauf das inzwischen angelangte Original (der Wortlaut der Copie war durch den Telegraphen bis Semlin vermittelt und dort aufgesetzt worden) dem Monarchen übergab. Man durste bis zum Freitag noch einige Zweifel hegen, ob das Project, von dem oben die Rede war, seitens Rußlands angenommen werden wurde, eine Ungewißheit, die durch eine, ebenfalls telegraphisch bis Semlin beförderte De¬ pesche, datirt vom 6. August aus Wien, die Erledigung faud. Es war darin dem Freiherrn von Brück die ausdrückliche Mittheilung gemacht, wie Rußland seine definitive Einwilligung zu der schiedsrichterlichen Entscheidung der vier Mächte gegeben habe, und daß es nunmehr nur daraus ankomme, die Pforte gleichfalls zur Annahme zu bewegen. Es ist wahrscheinlich, daß bereits am 1-1. d. Mes. der besagte Entwurf den Ministern des Sultans vorgebreitet gewesen ist. Dieselben vereinigten sich an diesem Tage, und zwar in den Nachmittagstunden, zu einem Medschliß (Minister- rates) welches bis zum Sonnenniedergang währte. Ein Beschluß wurde in diesem Conseil uoch uicht gefaßt, und zwar erklärt sich solches aus dem Umstände, daß Lord Redcliffe am erwähnten Tage noch ohne directe Benachrichtigung von seiner Regierung war. Die für ihn ausgefertigten Instructionen überbrachte erst am 12. gegen Abend der Steamer Caradoc, welcher zum Empfang derselben in Marseille stationirt gewesen war und die Reise von dorther in außerordentlich kurzer Zeit gemacht haben soll. Soeben donnern die Batterien von Toppana. Schwere, weithin hallende Donnerschläge! Ich kann nicht in Erfahrung bringen, welchem Anlaß es gilt. Herr von Brück scheint Auftrag bekommen zu haben, die Meinung der an¬ gesehensten unter den Mitgliedern des Staatsconseils z» bearbeiten und im vor¬ aus sich deren Zustimmung zu der erwähnten Proposttiou zu sichern. Am Freitag machte er verschiedenen Ministern seinen Besuch. Ich war im Hanse des einen anwesend, als sein Wagen vorfuhr. Eine einfache Kalesche, ein Kutscher mit einem Tressenhut ans dem Bock als Lenker der beiden Pferde. Sonst kein Prunk. Ueber dem Jnternuutins befand sich der erste Dragoman der östreichischen Lega-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/427>, abgerufen am 23.07.2024.