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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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"Der Bankerott" müssen wir das Gegentheil sagen, als von den Dramen
Schmids. Während dieser die wildesten Begebenheiten durch seine Reflexionen
in das Niveau des Gewöhnlichen und Hergebrachten herabzieht, schrauben diese
beiden Dichter die alltäglichsten Situationen in einen ganz wüsten und unbegreif¬
lichen Empfwdnngskrcis herauf. Das erste Stück beginnt gleich damit, daß ein
junger Edelmann seinen Freund fragt: "Wenn dir jemand im Vertrauen mittheilte,
daß er sich das Leben nehmen wolle, würdest dn ihn an seinem Vorhaben hin¬
dern? würdest du um Hilfe rufen? würdest du ihm die Waffen entreißen?" --
"Das wäre ja gemein!" -- "Es freut mich, daß du so denkst."--
Wenn das gleich im Anfang des Stücks steht, so kann man sich den weitern
Verlauf denken. Jener junge Edelmann gehört zu der Modeclasse der Blasirten.
Er ist überzeugt, für keinen Beruf zu passen, und weist auch die Idee, nach
Amerika auszuwandern, zurück. "Daß ich den Bauer um seinen Stand beneide,
macht mich das zum Bauer? Lieber Freund, die Erkenntniß, daß die fast ein¬
seitig geistige Ausbildung, diese philosophischen Grübeleien, das nichtsnutzige
Nachdenken über Welterschaffung und Menschenzweck uns nur untüchtig zum Leben
macheu, diese Erkenntniß kann uns wol den Stand der Kindheit zurückwünschen
lassen, aber wiedergeben kann sie ihn nicht. Der Wahnsinn, mit Bewußtsein
naiv sein zu wollen, mag sehr in der Mode sein; ich bin darüber hinaus." --
Das ist im ganzen sehr verständig gesprochen, und wir sind schon halb geneigt,
den Grafen Hochstädt in seinem Selbstmordplan nicht weiter zu stören, da macht
ihn sein Freund darauf aufmerksam, daß er ihm noch eine Gefälligkeit erweisen
könne. Er liebt nämlich eine junge Prinzessin, die aber einen schurkischen Mini-
sterialrath heirathen soll. Hochstädt verspricht, die Sache in Ordnung zu bringen.
Nun folgt eine Scene, die an Lächerlichkeit ihres Gleichen sucht. Jener Mini-
sterialrath erzählt dem Grafen, der ihn besucht, ganz offen, daß er eine Reihe
von Gaunereien verübt hat, worauf ihn dieser bedroht, ihn den Gerichten zu
überliefern, wenn er seiner Braut nicht entsagte. Das geschieht. Hochstädt eilt
mit dieser Botschaft zur Prinzessin, sängt auf eine höchst seltsame Weise an, über
Rosen und Nachtigallen zu reden, theilt dann sein Geschäft mit, und die beiden
verlieben sich nicht nur sofort ineinander, sondern sie verloben sich auch. Im
vierten Act ist der Ministerialrath vollständig gestürzt und beleidigt in seiner Ver¬
zweiflung den Ruf der Prinzessin, worauf Hochstädt ihn niederschießt. Die
Gerichtsdiener kommen, um ihn abzuholen; er will mit seiner neugewonnenen
Braut entfliehen, da fällt diese in Ohnmacht, er glaubt, sie sei todt, erschießt
sich, worauf sie erwacht und gleichfalls stirbt. -- Die ganze Geschichte macht einen
um so peinlichern Eindruck, da wir es offenbar mit einem gebildeten Manne zu
thun haben. -- Das zweite bürgerliche Trauerspiel gehört zu den wunderbarsten
Erfindungen, die uns in Deutschland vorgekommen sind. Es handelt von den
Mysterien des Reichthums, hinter denen sich ein glänzendes Elend verbirgt. Es


63 *

„Der Bankerott" müssen wir das Gegentheil sagen, als von den Dramen
Schmids. Während dieser die wildesten Begebenheiten durch seine Reflexionen
in das Niveau des Gewöhnlichen und Hergebrachten herabzieht, schrauben diese
beiden Dichter die alltäglichsten Situationen in einen ganz wüsten und unbegreif¬
lichen Empfwdnngskrcis herauf. Das erste Stück beginnt gleich damit, daß ein
junger Edelmann seinen Freund fragt: „Wenn dir jemand im Vertrauen mittheilte,
daß er sich das Leben nehmen wolle, würdest dn ihn an seinem Vorhaben hin¬
dern? würdest du um Hilfe rufen? würdest du ihm die Waffen entreißen?" —
„Das wäre ja gemein!" — „Es freut mich, daß du so denkst."--
Wenn das gleich im Anfang des Stücks steht, so kann man sich den weitern
Verlauf denken. Jener junge Edelmann gehört zu der Modeclasse der Blasirten.
Er ist überzeugt, für keinen Beruf zu passen, und weist auch die Idee, nach
Amerika auszuwandern, zurück. „Daß ich den Bauer um seinen Stand beneide,
macht mich das zum Bauer? Lieber Freund, die Erkenntniß, daß die fast ein¬
seitig geistige Ausbildung, diese philosophischen Grübeleien, das nichtsnutzige
Nachdenken über Welterschaffung und Menschenzweck uns nur untüchtig zum Leben
macheu, diese Erkenntniß kann uns wol den Stand der Kindheit zurückwünschen
lassen, aber wiedergeben kann sie ihn nicht. Der Wahnsinn, mit Bewußtsein
naiv sein zu wollen, mag sehr in der Mode sein; ich bin darüber hinaus." —
Das ist im ganzen sehr verständig gesprochen, und wir sind schon halb geneigt,
den Grafen Hochstädt in seinem Selbstmordplan nicht weiter zu stören, da macht
ihn sein Freund darauf aufmerksam, daß er ihm noch eine Gefälligkeit erweisen
könne. Er liebt nämlich eine junge Prinzessin, die aber einen schurkischen Mini-
sterialrath heirathen soll. Hochstädt verspricht, die Sache in Ordnung zu bringen.
Nun folgt eine Scene, die an Lächerlichkeit ihres Gleichen sucht. Jener Mini-
sterialrath erzählt dem Grafen, der ihn besucht, ganz offen, daß er eine Reihe
von Gaunereien verübt hat, worauf ihn dieser bedroht, ihn den Gerichten zu
überliefern, wenn er seiner Braut nicht entsagte. Das geschieht. Hochstädt eilt
mit dieser Botschaft zur Prinzessin, sängt auf eine höchst seltsame Weise an, über
Rosen und Nachtigallen zu reden, theilt dann sein Geschäft mit, und die beiden
verlieben sich nicht nur sofort ineinander, sondern sie verloben sich auch. Im
vierten Act ist der Ministerialrath vollständig gestürzt und beleidigt in seiner Ver¬
zweiflung den Ruf der Prinzessin, worauf Hochstädt ihn niederschießt. Die
Gerichtsdiener kommen, um ihn abzuholen; er will mit seiner neugewonnenen
Braut entfliehen, da fällt diese in Ohnmacht, er glaubt, sie sei todt, erschießt
sich, worauf sie erwacht und gleichfalls stirbt. — Die ganze Geschichte macht einen
um so peinlichern Eindruck, da wir es offenbar mit einem gebildeten Manne zu
thun haben. — Das zweite bürgerliche Trauerspiel gehört zu den wunderbarsten
Erfindungen, die uns in Deutschland vorgekommen sind. Es handelt von den
Mysterien des Reichthums, hinter denen sich ein glänzendes Elend verbirgt. Es


63 *
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[0425] „Der Bankerott" müssen wir das Gegentheil sagen, als von den Dramen Schmids. Während dieser die wildesten Begebenheiten durch seine Reflexionen in das Niveau des Gewöhnlichen und Hergebrachten herabzieht, schrauben diese beiden Dichter die alltäglichsten Situationen in einen ganz wüsten und unbegreif¬ lichen Empfwdnngskrcis herauf. Das erste Stück beginnt gleich damit, daß ein junger Edelmann seinen Freund fragt: „Wenn dir jemand im Vertrauen mittheilte, daß er sich das Leben nehmen wolle, würdest dn ihn an seinem Vorhaben hin¬ dern? würdest du um Hilfe rufen? würdest du ihm die Waffen entreißen?" — „Das wäre ja gemein!" — „Es freut mich, daß du so denkst."-- Wenn das gleich im Anfang des Stücks steht, so kann man sich den weitern Verlauf denken. Jener junge Edelmann gehört zu der Modeclasse der Blasirten. Er ist überzeugt, für keinen Beruf zu passen, und weist auch die Idee, nach Amerika auszuwandern, zurück. „Daß ich den Bauer um seinen Stand beneide, macht mich das zum Bauer? Lieber Freund, die Erkenntniß, daß die fast ein¬ seitig geistige Ausbildung, diese philosophischen Grübeleien, das nichtsnutzige Nachdenken über Welterschaffung und Menschenzweck uns nur untüchtig zum Leben macheu, diese Erkenntniß kann uns wol den Stand der Kindheit zurückwünschen lassen, aber wiedergeben kann sie ihn nicht. Der Wahnsinn, mit Bewußtsein naiv sein zu wollen, mag sehr in der Mode sein; ich bin darüber hinaus." — Das ist im ganzen sehr verständig gesprochen, und wir sind schon halb geneigt, den Grafen Hochstädt in seinem Selbstmordplan nicht weiter zu stören, da macht ihn sein Freund darauf aufmerksam, daß er ihm noch eine Gefälligkeit erweisen könne. Er liebt nämlich eine junge Prinzessin, die aber einen schurkischen Mini- sterialrath heirathen soll. Hochstädt verspricht, die Sache in Ordnung zu bringen. Nun folgt eine Scene, die an Lächerlichkeit ihres Gleichen sucht. Jener Mini- sterialrath erzählt dem Grafen, der ihn besucht, ganz offen, daß er eine Reihe von Gaunereien verübt hat, worauf ihn dieser bedroht, ihn den Gerichten zu überliefern, wenn er seiner Braut nicht entsagte. Das geschieht. Hochstädt eilt mit dieser Botschaft zur Prinzessin, sängt auf eine höchst seltsame Weise an, über Rosen und Nachtigallen zu reden, theilt dann sein Geschäft mit, und die beiden verlieben sich nicht nur sofort ineinander, sondern sie verloben sich auch. Im vierten Act ist der Ministerialrath vollständig gestürzt und beleidigt in seiner Ver¬ zweiflung den Ruf der Prinzessin, worauf Hochstädt ihn niederschießt. Die Gerichtsdiener kommen, um ihn abzuholen; er will mit seiner neugewonnenen Braut entfliehen, da fällt diese in Ohnmacht, er glaubt, sie sei todt, erschießt sich, worauf sie erwacht und gleichfalls stirbt. — Die ganze Geschichte macht einen um so peinlichern Eindruck, da wir es offenbar mit einem gebildeten Manne zu thun haben. — Das zweite bürgerliche Trauerspiel gehört zu den wunderbarsten Erfindungen, die uns in Deutschland vorgekommen sind. Es handelt von den Mysterien des Reichthums, hinter denen sich ein glänzendes Elend verbirgt. Es 63 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/425>, abgerufen am 23.07.2024.