Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.Dieser (geboren 1714) hatte bis in sein reifes Mannesalter sich streng der ita¬ Die Bücher der meisten dieser Opern, vor allem aber der Alceste und der beiden Es läßt sich nicht schwer nachweisen, daß Gluck aus der italienischen Schule nichts Nreuzlwte". III. 18S3. ü
Dieser (geboren 1714) hatte bis in sein reifes Mannesalter sich streng der ita¬ Die Bücher der meisten dieser Opern, vor allem aber der Alceste und der beiden Es läßt sich nicht schwer nachweisen, daß Gluck aus der italienischen Schule nichts Nreuzlwte». III. 18S3. ü
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0041" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96216"/> <p xml:id="ID_101"> Dieser (geboren 1714) hatte bis in sein reifes Mannesalter sich streng der ita¬<lb/> lienischen Schule angeschlossen und so war es ihm möglich geworden, daß er, unterstützt<lb/> durch die Stabilität der Opernform, in einem Zeitraum von 18 Jahren nicht weniger als 48<lb/> große italienische Opern schrieb. Erst im Jahre 1764 machteer den ersten Versuch einer<lb/> Neuerung in der Oper durch die Komposition des „Orpheus"; er wurde dahin geführt<lb/> sowol durch eigenes Nachdenken, als durch die Anregung vieler verständiger Zeitgenossen,<lb/> unter denen besonders Nanieri ti Casalbigi in Florenz hervorzuheben ist. Sein<lb/> Streben war besonders darauf gerichtet, den Anmaßungen der Sänger zu begegnen, die<lb/> versteinerte Form zu zerbrechen und Dichtungen auszuwählen, deren Scenen durch ge¬<lb/> schickte Motivirung innig miteinander verbunden waren, in denen die Gesammtheit<lb/> der Handlung zu einer wirklich dramatischen Wahrheit sich erhob. In dem „Orpheus"<lb/> ist seine Abhängigkeit von der gewohnten Schule noch ziemlich bemerklich, obwol auf der<lb/> andern Seite sich in ihm Stellen von der größten dramatischen Wirksamkeit finden. Mit<lb/> der „Alceste," die bald darauf folgte, hat er alle früheren Erinnerungen vertilgt; es<lb/> tritt uns ein neuer Geist entgegen, den mir die geistreichen Franzosen jener Zeit zu be¬<lb/> greifen im Stande waren. Die Ursache liegt in der Verwandtschaft der frühern fran¬<lb/> zösischen Schule zu der neuen Weise Glück's. Durch das geflissentliche Ausscheiden der<lb/> hergebrachten Arien, durch die vorwiegende recitativisch-declamatorische Behandlung des<lb/> Stoffes, die mit dem raschen Fortschreiten der dramatischen Handlung eng verknüpft<lb/> ist, durch die für jene Zeit geschickte Anwendung einer volleren und gewichtigeren Jnstru¬<lb/> mentation, welche schon von der französischen Schule mit mehr Planmäßigkeit gehand¬<lb/> habt wurde, als von der italienischen, bot er eine Menge Uebergangspunkte, die man<lb/> bisher zum Verständniß der italienischen Musik vergeblich gesucht hatte. Als Gluck<lb/> (1774), in Paris auftrat, wirkte eine eifrige Partei für den Italiener Piceini. Doch<lb/> gewann er sich bald Freunde, und wir sehen zu jener Zeit die Gluckisten und Pic-<lb/> cinisten einander lebhaft bekämpfen. Aus jenen Zeiten stammen noch die beiden<lb/> „Iphigenien" (in Antis und in Tauris), denen noch „Armida" und „Echo und Nar-<lb/> cissus" folgte. Die zwei Opern „Roland" und „die Danaiden" vollendete er nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_102"> Die Bücher der meisten dieser Opern, vor allem aber der Alceste und der beiden<lb/> Iphigenien zeichnen sich dnrch hohen poetischen Schwung und durch logische Anordnung<lb/> der Scenen aus. Sie gestatten dem einzelnen Individuum nur so viel Zeit und Spiel¬<lb/> raum, als die Darstellung der Situation und die Ausführung der poetischen Ideen zu¬<lb/> lassen. Die Handlung schreitet unaufhaltsam vorwärts und sogar, wo die Massen in<lb/> Action treten, greisen sie so lange nur in das ganze Getriebe ein, als die poetische Wahrheit<lb/> ihnen gestattet. Wir'erinnern hier beispielsweise an die Chöre der Alceste und Iphi-<lb/> genie, die verständig hervortreten, wenn es die Handlung gebietet, sich eben nie in die wei¬<lb/> ten Reflexionen und breiten Schlnßausführnngen verlieren, wie dies z. B. im Finale<lb/> des zweiten Acts von Tannhäuser und -noch mehr in dem Fiualchore des ersten Akts<lb/> vom Lohengrin geschieht. Es scheint uns in dieser bescheidenen, und doch wirkungs¬<lb/> vollen Anordnung der Massen ein großer Vorzug zu liegen, denn das Gewicht der<lb/> Chöre besteht nicht in dem colossalen Aufbau vou musikalischen Sätzen oder in der<lb/> übertriebenen Anwendung von äußeren Mitteln, es ruht vielmehr in der jedesmaligen<lb/> Stellung, welche sie den Eiuzelvcrtretern der Handlung gegenüber einnehmen, und in der<lb/> Wichtigkeit des dramatischen Vorgangs, in den sie eingreifen.</p><lb/> <p xml:id="ID_103" next="#ID_104"> Es läßt sich nicht schwer nachweisen, daß Gluck aus der italienischen Schule nichts</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Nreuzlwte». III. 18S3. ü</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0041]
Dieser (geboren 1714) hatte bis in sein reifes Mannesalter sich streng der ita¬
lienischen Schule angeschlossen und so war es ihm möglich geworden, daß er, unterstützt
durch die Stabilität der Opernform, in einem Zeitraum von 18 Jahren nicht weniger als 48
große italienische Opern schrieb. Erst im Jahre 1764 machteer den ersten Versuch einer
Neuerung in der Oper durch die Komposition des „Orpheus"; er wurde dahin geführt
sowol durch eigenes Nachdenken, als durch die Anregung vieler verständiger Zeitgenossen,
unter denen besonders Nanieri ti Casalbigi in Florenz hervorzuheben ist. Sein
Streben war besonders darauf gerichtet, den Anmaßungen der Sänger zu begegnen, die
versteinerte Form zu zerbrechen und Dichtungen auszuwählen, deren Scenen durch ge¬
schickte Motivirung innig miteinander verbunden waren, in denen die Gesammtheit
der Handlung zu einer wirklich dramatischen Wahrheit sich erhob. In dem „Orpheus"
ist seine Abhängigkeit von der gewohnten Schule noch ziemlich bemerklich, obwol auf der
andern Seite sich in ihm Stellen von der größten dramatischen Wirksamkeit finden. Mit
der „Alceste," die bald darauf folgte, hat er alle früheren Erinnerungen vertilgt; es
tritt uns ein neuer Geist entgegen, den mir die geistreichen Franzosen jener Zeit zu be¬
greifen im Stande waren. Die Ursache liegt in der Verwandtschaft der frühern fran¬
zösischen Schule zu der neuen Weise Glück's. Durch das geflissentliche Ausscheiden der
hergebrachten Arien, durch die vorwiegende recitativisch-declamatorische Behandlung des
Stoffes, die mit dem raschen Fortschreiten der dramatischen Handlung eng verknüpft
ist, durch die für jene Zeit geschickte Anwendung einer volleren und gewichtigeren Jnstru¬
mentation, welche schon von der französischen Schule mit mehr Planmäßigkeit gehand¬
habt wurde, als von der italienischen, bot er eine Menge Uebergangspunkte, die man
bisher zum Verständniß der italienischen Musik vergeblich gesucht hatte. Als Gluck
(1774), in Paris auftrat, wirkte eine eifrige Partei für den Italiener Piceini. Doch
gewann er sich bald Freunde, und wir sehen zu jener Zeit die Gluckisten und Pic-
cinisten einander lebhaft bekämpfen. Aus jenen Zeiten stammen noch die beiden
„Iphigenien" (in Antis und in Tauris), denen noch „Armida" und „Echo und Nar-
cissus" folgte. Die zwei Opern „Roland" und „die Danaiden" vollendete er nicht.
Die Bücher der meisten dieser Opern, vor allem aber der Alceste und der beiden
Iphigenien zeichnen sich dnrch hohen poetischen Schwung und durch logische Anordnung
der Scenen aus. Sie gestatten dem einzelnen Individuum nur so viel Zeit und Spiel¬
raum, als die Darstellung der Situation und die Ausführung der poetischen Ideen zu¬
lassen. Die Handlung schreitet unaufhaltsam vorwärts und sogar, wo die Massen in
Action treten, greisen sie so lange nur in das ganze Getriebe ein, als die poetische Wahrheit
ihnen gestattet. Wir'erinnern hier beispielsweise an die Chöre der Alceste und Iphi-
genie, die verständig hervortreten, wenn es die Handlung gebietet, sich eben nie in die wei¬
ten Reflexionen und breiten Schlnßausführnngen verlieren, wie dies z. B. im Finale
des zweiten Acts von Tannhäuser und -noch mehr in dem Fiualchore des ersten Akts
vom Lohengrin geschieht. Es scheint uns in dieser bescheidenen, und doch wirkungs¬
vollen Anordnung der Massen ein großer Vorzug zu liegen, denn das Gewicht der
Chöre besteht nicht in dem colossalen Aufbau vou musikalischen Sätzen oder in der
übertriebenen Anwendung von äußeren Mitteln, es ruht vielmehr in der jedesmaligen
Stellung, welche sie den Eiuzelvcrtretern der Handlung gegenüber einnehmen, und in der
Wichtigkeit des dramatischen Vorgangs, in den sie eingreifen.
Es läßt sich nicht schwer nachweisen, daß Gluck aus der italienischen Schule nichts
Nreuzlwte». III. 18S3. ü
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |