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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Daviele ist derselbe Mann, welcher einen Tag lang Minister gewesen und die ge¬
setzgebende Versammlung dnrch seine alberne Vertheidigung der Regierung nicht
aus dem homerischen Gelächter Herauskommen ließ. Besonders komisch war
eine Apostrophe, die folgendermaßen begann: Voug 1a ualli-alte?, IVIessicmrs eomme
on ne l'a ^mais msIli-Mvo..> la pröroxalivs. Die Versammlung konnte gar nicht
zu sich kommen und Napoleon Bonaparte, jetzt kaiserlicher Erbprinz, damals Mit¬
glied der Montagne, verließ seinen Sitz, indem er halblaut ausrief: daß man
einen solchen Kerl von der Tribüne herabschmeißen mußte -- da er die Regierung,
die er vertheidigen solle, ebenso entehre wie die Versammlung, zu der er spreche.
Im Noueuer Proceß benahm sich Herr Daviele nicht taktvoller. Zunächst las er
ans einer in Brüssel über den Proceß der Korrespondenten gedruckten Broschüre
die Rede des Pariser Gcueralprocuratorö vor. Nun waren die Sitzungen in
Paris so geheim, daß selbst die Advocaten und namentlich deren Batounier
Berryer nicht zugelassen wurden, und es kauu daher keine legale Stenographie
der Rede des Geueralprocnratvrs existiren. Sämmtliche Advocaten protestirten
gegen dieses Verfahre" und Daviele mußte innehalten. Ein anderer Geniestreich,
der ihm nicht wohler bekam, war folgender: Einer der Angeklagten, Herr Flandin,
ein Arzt und Chemiker, behauptet, sich gar nicht mit Politik zu befasse". Um
das Gegentheilen beweisen, bediente sich Daviele einer Broschüre, die or. Flandin
im Jahre herausgegeben, in welcher er das Land über die Befürchtungen
vor dem Jahre 1832 zu beruhigen und zu beweisen suchte, daß es sich nur um
eine" Wahlstreit zwischen ,den Candidaten zur Präsidentschaft handeln könne.
Heißt das keine Politik treiben, rief Daviele triumphirend aus! Berryer, der
diese Broschüre nicht kannte, ließ den Procurator bitten, daß er ihm dieselbe
doch zur Einsicht schicke. Der geistvolle Advocat blätterte darin und fand eine
Stelle über Louis Bonaparte, in welcher Flaudin sagt: wie kann man noch Be-
fürchtungen hegen, hat doch der Präsident geschworen, die Constitution treu auf¬
recht zu erhalten und seine Gewalt unverkürzt in die Hände seiner gesetzlichen
Nachfolger zu legen. Wie kann man noch irgend eine Besorgniß aussprechen,
wo man es mit einem so zarten Gewissen zu thun hat, wie jenes von Louis
Napoleon." Berryer las in seiner Replik diese Stelle vor, indem er hinzufügte:
Nun frage ich, ob der ein Politiker ist, der solche Dinge sagt, ob sich darin
nicht vielmehr der naivste Dilettantismus ausspricht. Dieser unerwartete Zwischen-
fall brachte eine so große Wirkung hervor, daß das Publicum zu applaudiren
begann und selbst die Stühle sich einer gewissen Bewegung nicht erwehren konn¬
ten. Hierauf sprach Dufour und nach ihm Ploqne. Letzterer war so schlagend
und beredt in seiner Erwiderung, daß er sichtlich großen Eindruck auf Zuhörer
und Richter machte und daß Dufour ihm selbst die Palme jenes Tages abgetre¬
ten. Seiner meisterhaften Rede muß es auch zugeschrieben werden, daß der Kaiser
das ihm zugedachte Angebinde zum Namensfeste nicht erhalten hat. Nun wer-


Daviele ist derselbe Mann, welcher einen Tag lang Minister gewesen und die ge¬
setzgebende Versammlung dnrch seine alberne Vertheidigung der Regierung nicht
aus dem homerischen Gelächter Herauskommen ließ. Besonders komisch war
eine Apostrophe, die folgendermaßen begann: Voug 1a ualli-alte?, IVIessicmrs eomme
on ne l'a ^mais msIli-Mvo..> la pröroxalivs. Die Versammlung konnte gar nicht
zu sich kommen und Napoleon Bonaparte, jetzt kaiserlicher Erbprinz, damals Mit¬
glied der Montagne, verließ seinen Sitz, indem er halblaut ausrief: daß man
einen solchen Kerl von der Tribüne herabschmeißen mußte — da er die Regierung,
die er vertheidigen solle, ebenso entehre wie die Versammlung, zu der er spreche.
Im Noueuer Proceß benahm sich Herr Daviele nicht taktvoller. Zunächst las er
ans einer in Brüssel über den Proceß der Korrespondenten gedruckten Broschüre
die Rede des Pariser Gcueralprocuratorö vor. Nun waren die Sitzungen in
Paris so geheim, daß selbst die Advocaten und namentlich deren Batounier
Berryer nicht zugelassen wurden, und es kauu daher keine legale Stenographie
der Rede des Geueralprocnratvrs existiren. Sämmtliche Advocaten protestirten
gegen dieses Verfahre» und Daviele mußte innehalten. Ein anderer Geniestreich,
der ihm nicht wohler bekam, war folgender: Einer der Angeklagten, Herr Flandin,
ein Arzt und Chemiker, behauptet, sich gar nicht mit Politik zu befasse». Um
das Gegentheilen beweisen, bediente sich Daviele einer Broschüre, die or. Flandin
im Jahre herausgegeben, in welcher er das Land über die Befürchtungen
vor dem Jahre 1832 zu beruhigen und zu beweisen suchte, daß es sich nur um
eine» Wahlstreit zwischen ,den Candidaten zur Präsidentschaft handeln könne.
Heißt das keine Politik treiben, rief Daviele triumphirend aus! Berryer, der
diese Broschüre nicht kannte, ließ den Procurator bitten, daß er ihm dieselbe
doch zur Einsicht schicke. Der geistvolle Advocat blätterte darin und fand eine
Stelle über Louis Bonaparte, in welcher Flaudin sagt: wie kann man noch Be-
fürchtungen hegen, hat doch der Präsident geschworen, die Constitution treu auf¬
recht zu erhalten und seine Gewalt unverkürzt in die Hände seiner gesetzlichen
Nachfolger zu legen. Wie kann man noch irgend eine Besorgniß aussprechen,
wo man es mit einem so zarten Gewissen zu thun hat, wie jenes von Louis
Napoleon." Berryer las in seiner Replik diese Stelle vor, indem er hinzufügte:
Nun frage ich, ob der ein Politiker ist, der solche Dinge sagt, ob sich darin
nicht vielmehr der naivste Dilettantismus ausspricht. Dieser unerwartete Zwischen-
fall brachte eine so große Wirkung hervor, daß das Publicum zu applaudiren
begann und selbst die Stühle sich einer gewissen Bewegung nicht erwehren konn¬
ten. Hierauf sprach Dufour und nach ihm Ploqne. Letzterer war so schlagend
und beredt in seiner Erwiderung, daß er sichtlich großen Eindruck auf Zuhörer
und Richter machte und daß Dufour ihm selbst die Palme jenes Tages abgetre¬
ten. Seiner meisterhaften Rede muß es auch zugeschrieben werden, daß der Kaiser
das ihm zugedachte Angebinde zum Namensfeste nicht erhalten hat. Nun wer-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/387>, abgerufen am 03.07.2024.