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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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nichts, gar nichts, ich glaube an Teufel und Gespenster, und er dichtet sie nur und
glaubt daher nicht an sie, wie keiner an seine eigenen Schöpfungen glaubt; das
habe ich an Tieck sehr schön erlebt."--Lenau schreibt ihm einmal halb im Scherz:
"Du, der du einen so festen Glauben hast, daß ich mit allem Aufwande meiner
Zweifel und Entwürfe Deine Ueberzeugung vom Hereinragen einer Geisterwelt
in dieses elende Leben nicht im mindesten erschüttern konnte u. s. w." -- Lange
hatte er gehofft, in dem thätigen Leben Amerikas eine Heilung seiner gespaltenen
Empfindungen zu finden, aber er wurde auf das bitterste enttäuscht. "Die Natur
selbst", schreibt er, "ist kalt; die Conformation der Berge, die Einbuchtungen
der Thäler, alles ist gleichförmig und unphantastisch. Hat nun die Natur selbst
kein Gemüth, keine Phantasie, so kann sie anch ihren Geschöpfen nichts dergleichen
gebe". Hier lebt der Mensch in einer sonderbaren kalten Heimlichkeit, die ans
Unheimliche streift. Daß hier Menschen nud Thiere von Geschlecht zu Geschlecht
weiter herabkommen, ist manchem Naturforscher bereits aufgefallen. Es ist
buchstäblich wahr .... Ich muß hinauseilen aus Amerika, sonst verlier ich noch
mein Heimweh, wie es allen Deutschen nach einiger Zeit ergeht. Merkwürdig
ist es, wie die heftigsten Gefühle hier so schnell erkalten .... Trauriger
Boden! In dem großen Nebelbade Amerikas werden der Liebe leise die Adern
geöffnet, und sie verblutet sich unbemerkt."

Die Gemüthlichkeit, die in diesem Kreise herrschte, hat bei allem Rührender
doch auch etwas Unangenehmes. Gleich zu Anfang wird das Dntzen eingeführt, sie
schreiben sich gegenseitig i" Versen, und sie beobachten ihre Empfindungen auf
eine Weise, die eigentlich alle Natur verkümmert. So wenig wir mit dem
cynischen Ton einverstanden find, den Heine gegen die Schwabenschnle angestimmt
hat, so müssen wir doch gestehen, daß etwas Wahres darin liegt. Auch in dieser
Beziehung erinnern die Schwaben an den Hainbund.

Uhland war anerkannt der Mittelpunkt. Er ragte ansehnlich über die andern
heraus, wenn er sich auch, wie es scheint, mit den meisten von ihnen dichte. In
poetischer Beziehung war sein treuester Jünger Gustav Schwab, der am
strengsten zur Schule hielt und z. B. augenblicklich mit Chamisso brach, als dieser
einem Jahrgang des Musenalmanachs, den sie gemeinschaftlich Herausgaben, das
Bildniß Heines vorgesetzt hatte. Justinus Keruer und Eduard Möricke hatten
jeder seineu eigenen kleinen Kreis, standen aber in engster Beziehung zum Mittel¬
punkte; Paul Pfizer, Mayer, Schott und andere gesellten sich z" Uhland auch
in der LandtagSvppvsition von 1833. -- In dem ganzen Kreise wurde die Poesie
mit einer Sorgfalt und Andacht getrieben, die an unsere ältern Dichterschulen
erinnert. Jedes einzelne kleine Gedicht wurde sorgfältig besprochen und beurtheilt
und zuweilen an passenden Stellen mit einer gewissen Feierlichkeit vorgetragen;
zuweilen wurde auch auf eine etwas studentische Weise gekneipt. Ein vornehmer
junger Dichter, der gleichfalls dem Kreise nahe trat, war Graf Alexander von


nichts, gar nichts, ich glaube an Teufel und Gespenster, und er dichtet sie nur und
glaubt daher nicht an sie, wie keiner an seine eigenen Schöpfungen glaubt; das
habe ich an Tieck sehr schön erlebt."--Lenau schreibt ihm einmal halb im Scherz:
„Du, der du einen so festen Glauben hast, daß ich mit allem Aufwande meiner
Zweifel und Entwürfe Deine Ueberzeugung vom Hereinragen einer Geisterwelt
in dieses elende Leben nicht im mindesten erschüttern konnte u. s. w." — Lange
hatte er gehofft, in dem thätigen Leben Amerikas eine Heilung seiner gespaltenen
Empfindungen zu finden, aber er wurde auf das bitterste enttäuscht. „Die Natur
selbst", schreibt er, „ist kalt; die Conformation der Berge, die Einbuchtungen
der Thäler, alles ist gleichförmig und unphantastisch. Hat nun die Natur selbst
kein Gemüth, keine Phantasie, so kann sie anch ihren Geschöpfen nichts dergleichen
gebe». Hier lebt der Mensch in einer sonderbaren kalten Heimlichkeit, die ans
Unheimliche streift. Daß hier Menschen nud Thiere von Geschlecht zu Geschlecht
weiter herabkommen, ist manchem Naturforscher bereits aufgefallen. Es ist
buchstäblich wahr .... Ich muß hinauseilen aus Amerika, sonst verlier ich noch
mein Heimweh, wie es allen Deutschen nach einiger Zeit ergeht. Merkwürdig
ist es, wie die heftigsten Gefühle hier so schnell erkalten .... Trauriger
Boden! In dem großen Nebelbade Amerikas werden der Liebe leise die Adern
geöffnet, und sie verblutet sich unbemerkt."

Die Gemüthlichkeit, die in diesem Kreise herrschte, hat bei allem Rührender
doch auch etwas Unangenehmes. Gleich zu Anfang wird das Dntzen eingeführt, sie
schreiben sich gegenseitig i» Versen, und sie beobachten ihre Empfindungen auf
eine Weise, die eigentlich alle Natur verkümmert. So wenig wir mit dem
cynischen Ton einverstanden find, den Heine gegen die Schwabenschnle angestimmt
hat, so müssen wir doch gestehen, daß etwas Wahres darin liegt. Auch in dieser
Beziehung erinnern die Schwaben an den Hainbund.

Uhland war anerkannt der Mittelpunkt. Er ragte ansehnlich über die andern
heraus, wenn er sich auch, wie es scheint, mit den meisten von ihnen dichte. In
poetischer Beziehung war sein treuester Jünger Gustav Schwab, der am
strengsten zur Schule hielt und z. B. augenblicklich mit Chamisso brach, als dieser
einem Jahrgang des Musenalmanachs, den sie gemeinschaftlich Herausgaben, das
Bildniß Heines vorgesetzt hatte. Justinus Keruer und Eduard Möricke hatten
jeder seineu eigenen kleinen Kreis, standen aber in engster Beziehung zum Mittel¬
punkte; Paul Pfizer, Mayer, Schott und andere gesellten sich z» Uhland auch
in der LandtagSvppvsition von 1833. — In dem ganzen Kreise wurde die Poesie
mit einer Sorgfalt und Andacht getrieben, die an unsere ältern Dichterschulen
erinnert. Jedes einzelne kleine Gedicht wurde sorgfältig besprochen und beurtheilt
und zuweilen an passenden Stellen mit einer gewissen Feierlichkeit vorgetragen;
zuweilen wurde auch auf eine etwas studentische Weise gekneipt. Ein vornehmer
junger Dichter, der gleichfalls dem Kreise nahe trat, war Graf Alexander von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/380>, abgerufen am 03.07.2024.