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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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nicht gegen unsern Freund, so doch gegen uns. Wenn einer unserer Freunde
aus der Reise stirbt, so werden wir ein lebhaftes Bedauern fühlen, kein Lebewohl
bei seiner Abreise gesagt zu habe". Eine Abreise, ein Tod müssen mit einer
gewissen Feierlichkeit begangen werden, denn es ist etwas Feierliches darin. Dieses
Etwas verlangt Elpenor, er will uicht blos ein wenig Erde, er verlangt eine
Erinnerung.

Ich schreibe die folgenden Blätter um nachzuholen, was wir beim Begräb¬
nisse Beyles versäumt hatten. Ich will mit einige" seiner Freunde meine Ein¬
drücke und Erinnerungen theilen.

In allem originell -- und das ist in unserer Zeit der abgegriffeneu Geld¬
münzen ein wirkliches Verdienst -- bildete sich Beyle ein, liberal zu sein, während
er in der Tiefe seiner Seele ein vollendeter Aristokrat gewesen. Er konnte die
Albernen nicht ausstehen und hatte einen wüthenden Haß gegen Leute, die ihn
langweilten, und er wußte sein Lebelang einen Bösen von einem Lästigen nicht
recht zu unterscheiden. Er trug eine tiefe Verachtung für den französischen Staat
zur Schau, und er war bereit, alle Fehler hervorzuheben, deren man unsere
große Nation ohne Zweifel mit Unrecht beschuldigt: Leichtfertigkeit, Unüberlegtheit,
Unfvlgerichtigkeit in Worten und Handlungen. Im Grunde besaß er diese Mängel
im selben Grade, und um nur von der Unbesonnenheit zu reden, schrieb er ein¬
mal an M. aus ... einen Brief in Chiffern und legte den Schlüssel in demselben
Briefe bei.

Er war sein Lebelang nur durch seine Einbildungskraft beherrscht und machte
alles plötzlich und mit Enthusiasmus. Und doch that er sich zu Gute darauf,
blos seinem Verstände zu folgen. "Man muß sich in allem durch die Lo --git
leiten lassen", sagte er, indem er eine Pause zwischen den beiden Silben machte.
Aber er litt es ungeduldig, daß die Logik der andern nicht anch die seinige war.
Er discutirte übrigens nie. Die ihn nicht kannten, schrieben einem Uebermaße
von Stolz zu, was vielleicht blos Achtung vor der Ueberzeugung anderer gewesen.
"Sie sind eine Katze und ich bin eine Ratte" pflegte er zu sagen, um einer
Discusston ein Ende zu macheu.

Eines Tages wollten wir miteinander ein Drama machen. Unser Held hatte
ein Verbrechen begangen und war von Gewissensbissen gequält. "Was thut mau,
.um sich von Gewissensbissen zu befreien?" sagte Beyle. Er überlegte einen
Augenblick und rief: "Man muß eine Schule des wechselseitigen Unterrichts
gründen." Unser Drama kam nicht weiter.

Er hatte keinerlei religiöse Gedanken, oder wenn er welche hatte, so legte
er ein Gefühl des Zornes und des Grolles gegen die Vorsehung hinein: "Gott
entschuldigt blos", sagte er, "daß er nicht existirt." Einmal stellte er bei
Madame P. folgende kosmogonische Theorie auf: "Gott war ein sehr geschickter
Mechaniker. Er arbeitete Tag und Nacht an seiner Unternehmung, sprach wenig


nicht gegen unsern Freund, so doch gegen uns. Wenn einer unserer Freunde
aus der Reise stirbt, so werden wir ein lebhaftes Bedauern fühlen, kein Lebewohl
bei seiner Abreise gesagt zu habe». Eine Abreise, ein Tod müssen mit einer
gewissen Feierlichkeit begangen werden, denn es ist etwas Feierliches darin. Dieses
Etwas verlangt Elpenor, er will uicht blos ein wenig Erde, er verlangt eine
Erinnerung.

Ich schreibe die folgenden Blätter um nachzuholen, was wir beim Begräb¬
nisse Beyles versäumt hatten. Ich will mit einige» seiner Freunde meine Ein¬
drücke und Erinnerungen theilen.

In allem originell — und das ist in unserer Zeit der abgegriffeneu Geld¬
münzen ein wirkliches Verdienst — bildete sich Beyle ein, liberal zu sein, während
er in der Tiefe seiner Seele ein vollendeter Aristokrat gewesen. Er konnte die
Albernen nicht ausstehen und hatte einen wüthenden Haß gegen Leute, die ihn
langweilten, und er wußte sein Lebelang einen Bösen von einem Lästigen nicht
recht zu unterscheiden. Er trug eine tiefe Verachtung für den französischen Staat
zur Schau, und er war bereit, alle Fehler hervorzuheben, deren man unsere
große Nation ohne Zweifel mit Unrecht beschuldigt: Leichtfertigkeit, Unüberlegtheit,
Unfvlgerichtigkeit in Worten und Handlungen. Im Grunde besaß er diese Mängel
im selben Grade, und um nur von der Unbesonnenheit zu reden, schrieb er ein¬
mal an M. aus ... einen Brief in Chiffern und legte den Schlüssel in demselben
Briefe bei.

Er war sein Lebelang nur durch seine Einbildungskraft beherrscht und machte
alles plötzlich und mit Enthusiasmus. Und doch that er sich zu Gute darauf,
blos seinem Verstände zu folgen. „Man muß sich in allem durch die Lo —git
leiten lassen", sagte er, indem er eine Pause zwischen den beiden Silben machte.
Aber er litt es ungeduldig, daß die Logik der andern nicht anch die seinige war.
Er discutirte übrigens nie. Die ihn nicht kannten, schrieben einem Uebermaße
von Stolz zu, was vielleicht blos Achtung vor der Ueberzeugung anderer gewesen.
„Sie sind eine Katze und ich bin eine Ratte" pflegte er zu sagen, um einer
Discusston ein Ende zu macheu.

Eines Tages wollten wir miteinander ein Drama machen. Unser Held hatte
ein Verbrechen begangen und war von Gewissensbissen gequält. „Was thut mau,
.um sich von Gewissensbissen zu befreien?" sagte Beyle. Er überlegte einen
Augenblick und rief: „Man muß eine Schule des wechselseitigen Unterrichts
gründen." Unser Drama kam nicht weiter.

Er hatte keinerlei religiöse Gedanken, oder wenn er welche hatte, so legte
er ein Gefühl des Zornes und des Grolles gegen die Vorsehung hinein: „Gott
entschuldigt blos", sagte er, „daß er nicht existirt." Einmal stellte er bei
Madame P. folgende kosmogonische Theorie auf: „Gott war ein sehr geschickter
Mechaniker. Er arbeitete Tag und Nacht an seiner Unternehmung, sprach wenig


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[0341] nicht gegen unsern Freund, so doch gegen uns. Wenn einer unserer Freunde aus der Reise stirbt, so werden wir ein lebhaftes Bedauern fühlen, kein Lebewohl bei seiner Abreise gesagt zu habe». Eine Abreise, ein Tod müssen mit einer gewissen Feierlichkeit begangen werden, denn es ist etwas Feierliches darin. Dieses Etwas verlangt Elpenor, er will uicht blos ein wenig Erde, er verlangt eine Erinnerung. Ich schreibe die folgenden Blätter um nachzuholen, was wir beim Begräb¬ nisse Beyles versäumt hatten. Ich will mit einige» seiner Freunde meine Ein¬ drücke und Erinnerungen theilen. In allem originell — und das ist in unserer Zeit der abgegriffeneu Geld¬ münzen ein wirkliches Verdienst — bildete sich Beyle ein, liberal zu sein, während er in der Tiefe seiner Seele ein vollendeter Aristokrat gewesen. Er konnte die Albernen nicht ausstehen und hatte einen wüthenden Haß gegen Leute, die ihn langweilten, und er wußte sein Lebelang einen Bösen von einem Lästigen nicht recht zu unterscheiden. Er trug eine tiefe Verachtung für den französischen Staat zur Schau, und er war bereit, alle Fehler hervorzuheben, deren man unsere große Nation ohne Zweifel mit Unrecht beschuldigt: Leichtfertigkeit, Unüberlegtheit, Unfvlgerichtigkeit in Worten und Handlungen. Im Grunde besaß er diese Mängel im selben Grade, und um nur von der Unbesonnenheit zu reden, schrieb er ein¬ mal an M. aus ... einen Brief in Chiffern und legte den Schlüssel in demselben Briefe bei. Er war sein Lebelang nur durch seine Einbildungskraft beherrscht und machte alles plötzlich und mit Enthusiasmus. Und doch that er sich zu Gute darauf, blos seinem Verstände zu folgen. „Man muß sich in allem durch die Lo —git leiten lassen", sagte er, indem er eine Pause zwischen den beiden Silben machte. Aber er litt es ungeduldig, daß die Logik der andern nicht anch die seinige war. Er discutirte übrigens nie. Die ihn nicht kannten, schrieben einem Uebermaße von Stolz zu, was vielleicht blos Achtung vor der Ueberzeugung anderer gewesen. „Sie sind eine Katze und ich bin eine Ratte" pflegte er zu sagen, um einer Discusston ein Ende zu macheu. Eines Tages wollten wir miteinander ein Drama machen. Unser Held hatte ein Verbrechen begangen und war von Gewissensbissen gequält. „Was thut mau, .um sich von Gewissensbissen zu befreien?" sagte Beyle. Er überlegte einen Augenblick und rief: „Man muß eine Schule des wechselseitigen Unterrichts gründen." Unser Drama kam nicht weiter. Er hatte keinerlei religiöse Gedanken, oder wenn er welche hatte, so legte er ein Gefühl des Zornes und des Grolles gegen die Vorsehung hinein: „Gott entschuldigt blos", sagte er, „daß er nicht existirt." Einmal stellte er bei Madame P. folgende kosmogonische Theorie auf: „Gott war ein sehr geschickter Mechaniker. Er arbeitete Tag und Nacht an seiner Unternehmung, sprach wenig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/341>, abgerufen am 23.07.2024.