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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Republik, welche das Princip der Sparsamkeit auf ihre Fahne schrieb, minderte
die Einnahmen, vergrößerte die Ausgaben, vermehrte die schwebende Schuld in
beunruhigender Weise, machte daher neue Anleihen nothwendig und stellte der
finanzielle" Zukunft Frankreichs ein sehr bedenkliches Prognostikon.

Nach dem 2. December wurde die Jnstallirung des Kaiserreichs mit einer
Rücksichtslosigkeit gegen die Mittel des Staates betrieben, die Ausgabe" in so
verschwenderischer und zum Theil gänzlich nutzloser Weise gesteigert, daß es schien,
die neue Gewalt huldige dem Spruch ,,aprös nous 1e ÄewKs." So bedeu¬
tend durch den fieberhaften Aufschwung der speculator und Fabrikthätigkeit die
indirecten Einnahmen namentlich sich hoben, so konnten sie voraussichtlich damit
nicht Schritt halten. Das letzte Budget schloß mit einem bedeutenden Deficit.
Die Finanzlage Frankreichs durfte somit die lebhafteste Beunruhigung erwecken
und erweckte sie auch wirklich, und zwar nicht blos bei den der Regierung
L. Napoleons feindlichen Parteien. So absolutistisch aber heutzutage ein Staat
regiert werden mag, der öffentliche Credit läßt sich nicht durch Polizei und Militär,
nicht durch Belagerungszustände, Standrecht und Deportationen erzwingen. Der
unumschränkteste Selbstherrscher wird sich von dem Vertrauen oder Mißtrauen
des Geldmarktes abhängig fühlen, wenn er sich auch um Vertraue" oder Mi߬
trauen Pou Parlamenten nicht zu kümmern hat. Louis Napoleon sah ein, daß
er deu ungünstigen Anschein der finanziellen Sorglosigkeit, der auf seiner Re¬
gierung lastete, um jeden Preis beseitigen müsse; er stellte an seine Minister und
an den Staatsrath das entschiedene Verlange", dem legislative" Körper ein Budget
ohne Deficit vorzulegen- Man sollte glaube", an dieser Ausgabe könnte unter
Umständen anch der ergebenste Gehorsam scheitern. Es ist indeß etwas Anderes
ein Budget im Gleichgewicht vorlegen und es im Gleichgewicht abschließen,
und da es sich vorläufig nur um das erstere handelte, so wurde der Befehl
Sr. Majestät glücklich vollführt, obwol nicht ohne die verzweifeltste Gegenwehr
einiger unglücklichen Portefenilleinhaber, in deren Departements der Staatsrath
unerbittlich strich und kürzte.

Millionen Francs Einnahmen und ebenso viel Ausgaben sür das
kommende Finanzjahr war das Resultat der kaiserlichen Willenserklärung und der
Anstrengungen der getreuen Staatsräthe. Es verlohnt sich der Mühe, die Neel-
lität oder vielmehr Realität dieses Budgets etwas näher zu prüfen, zu unter¬
suche", ob es mehr Ansprüche auf Wirklichkeit hat, als die Städte, welche
Potcmkiu an den Straßen während der Reise seiner kaiserlichen Herrin hervor¬
zauberte und die über Nacht wieder verschwanden. Ein treffliches Material hierzu
liefert die Rede, die am 18. Mai der Abgeordnete Vicomte de Flavigny bei der
Budgetberathnng des legislative" Körpers hielt, und deren interessante Nach-
weisungen im Auslande über der orientalischen Krisis ziemlich unbeachtet ge¬
bliebe" si"d.


Republik, welche das Princip der Sparsamkeit auf ihre Fahne schrieb, minderte
die Einnahmen, vergrößerte die Ausgaben, vermehrte die schwebende Schuld in
beunruhigender Weise, machte daher neue Anleihen nothwendig und stellte der
finanzielle» Zukunft Frankreichs ein sehr bedenkliches Prognostikon.

Nach dem 2. December wurde die Jnstallirung des Kaiserreichs mit einer
Rücksichtslosigkeit gegen die Mittel des Staates betrieben, die Ausgabe» in so
verschwenderischer und zum Theil gänzlich nutzloser Weise gesteigert, daß es schien,
die neue Gewalt huldige dem Spruch ,,aprös nous 1e ÄewKs." So bedeu¬
tend durch den fieberhaften Aufschwung der speculator und Fabrikthätigkeit die
indirecten Einnahmen namentlich sich hoben, so konnten sie voraussichtlich damit
nicht Schritt halten. Das letzte Budget schloß mit einem bedeutenden Deficit.
Die Finanzlage Frankreichs durfte somit die lebhafteste Beunruhigung erwecken
und erweckte sie auch wirklich, und zwar nicht blos bei den der Regierung
L. Napoleons feindlichen Parteien. So absolutistisch aber heutzutage ein Staat
regiert werden mag, der öffentliche Credit läßt sich nicht durch Polizei und Militär,
nicht durch Belagerungszustände, Standrecht und Deportationen erzwingen. Der
unumschränkteste Selbstherrscher wird sich von dem Vertrauen oder Mißtrauen
des Geldmarktes abhängig fühlen, wenn er sich auch um Vertraue» oder Mi߬
trauen Pou Parlamenten nicht zu kümmern hat. Louis Napoleon sah ein, daß
er deu ungünstigen Anschein der finanziellen Sorglosigkeit, der auf seiner Re¬
gierung lastete, um jeden Preis beseitigen müsse; er stellte an seine Minister und
an den Staatsrath das entschiedene Verlange», dem legislative» Körper ein Budget
ohne Deficit vorzulegen- Man sollte glaube», an dieser Ausgabe könnte unter
Umständen anch der ergebenste Gehorsam scheitern. Es ist indeß etwas Anderes
ein Budget im Gleichgewicht vorlegen und es im Gleichgewicht abschließen,
und da es sich vorläufig nur um das erstere handelte, so wurde der Befehl
Sr. Majestät glücklich vollführt, obwol nicht ohne die verzweifeltste Gegenwehr
einiger unglücklichen Portefenilleinhaber, in deren Departements der Staatsrath
unerbittlich strich und kürzte.

Millionen Francs Einnahmen und ebenso viel Ausgaben sür das
kommende Finanzjahr war das Resultat der kaiserlichen Willenserklärung und der
Anstrengungen der getreuen Staatsräthe. Es verlohnt sich der Mühe, die Neel-
lität oder vielmehr Realität dieses Budgets etwas näher zu prüfen, zu unter¬
suche», ob es mehr Ansprüche auf Wirklichkeit hat, als die Städte, welche
Potcmkiu an den Straßen während der Reise seiner kaiserlichen Herrin hervor¬
zauberte und die über Nacht wieder verschwanden. Ein treffliches Material hierzu
liefert die Rede, die am 18. Mai der Abgeordnete Vicomte de Flavigny bei der
Budgetberathnng des legislative» Körpers hielt, und deren interessante Nach-
weisungen im Auslande über der orientalischen Krisis ziemlich unbeachtet ge¬
bliebe» si»d.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/275>, abgerufen am 03.07.2024.