Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

es freilich noch viel zu tadeln: bald war die Kleidung nicht gut gewählt, bald die
Haltung unbequem; bald hatte der eine zu lauge Glieder, bald war der andere
zu> leicht. Am liebsten hätten wir die hofmeisternde Alte gleich zurückgeschickt.
Aber als wir endlich ins Gleichgewicht gebracht waren, die Maulthiere lustig
Schellen und Quasten schüttelten und unter den Bäumen der allees-maritimes
"us ein frischer Wind umwehte, erheiterte sich Urracas Antlitz. Sie begann zu
fragen, zu erzählen und als uns die weißen Häuser des Lootseudorfes Boucaii
entgegeuschimmerten, wußten wir unter seinen Bewohnern Bescheid, als ob wir
jahrelang dort gelebt hätten. Zuweilen unterbrach Urracas Erzählungen das
grüßende ^äiswt (Gott befohlen) zu Markte ziehender Bauerfrauen, oder der
Segen eines Bettelmönches, oder die Neckereien vorübersegelnder Fischer. Wo
ein Kreuz am Wege stand, schlug sie die Brust und betete; zuweilen stimmte sie
mit schrillem Tone die Weise eines alten Noels an oder erzählte Sagen und
Liebesgeschichten in so cvnfuser Mischung von Französisch, Baskisch und Patois,
daß wir mehr durch die Mienen, als durch die Worte den Sinn erfuhren.

Auch der Wechsel der Umgebung nahm unsere Aufmerksamkeit in Anspruch.
Die Ufer des Adour verflache" sich in der Nähe des Meeres und auch die Vege¬
tation verschwindet mehr und mehr. Wir durchschneiden ein Fichtenholz, sehen
zuletzt einige Weinpflanznngen, deren Ertrag und Existenz nur zu oft durch
Springfluten nud Stürme bedroht sein mag, und dann beginnt das Gebiet der
Dünen, das dem oberflächlichen Blicke so einförmig scheint, dem aufmerksamen
Beobachter aber ein Leben erschließt, das an den interessantesten Verwandlungen
und Entwickelungen reich ist.

Die hochansteigenden Wogen der Flut wühlen den Strand ans und tragen
Mnschelüberreste, Seetang, Sand und allerlei Gewürm bis an den Fuß des
Düuengürtcls; aber indem sie ihm auf diese Weise Nahrung zuführen, erschüttert
der Wogenschlag die breite Basis der Hügelketten und höhlt sie hier und da zu
tiefen Grotten aus. -- Die Zeit der Ebbe kommt -- langsam ziehen sich die
Wasser zurück, endlich blinken auf dem sanft abfallenden Strande nur noch einzelne
Wasserrinnen und Tümpel. Die Sonnenglnten verzehren die Feuchtigkeit der
Oberfläche, die Winde segen und rollen den trocknen Sand, ballen ihn zusammen,
häufen ihn zu Hügeln und zerstören früher aufgeschichtete Dämme und Hügel.
Muscheln und Fische, die häßlichen Gallertmassen der Quallen, die schwarzen
Meerkühe mit den vier langen Armen, Polypen und Schnecken, von der Flut
ans Land getragen, werden theils vom wehenden Sande begraben, theils ein
Raub der Möven, die schreiend und flügelschlagend den Strand bevölkern. Hier
und da spatzire ein Reiher, der verachtungsvoll das Gewimmel überschaut, oder
das Erscheinen des Adlers, der in der Höhe weite Kreise zieht, verscheucht die
Vögelschar.

Und dann das Meer! Schon lange unterschieden wir, die Stimmen des


es freilich noch viel zu tadeln: bald war die Kleidung nicht gut gewählt, bald die
Haltung unbequem; bald hatte der eine zu lauge Glieder, bald war der andere
zu> leicht. Am liebsten hätten wir die hofmeisternde Alte gleich zurückgeschickt.
Aber als wir endlich ins Gleichgewicht gebracht waren, die Maulthiere lustig
Schellen und Quasten schüttelten und unter den Bäumen der allees-maritimes
»us ein frischer Wind umwehte, erheiterte sich Urracas Antlitz. Sie begann zu
fragen, zu erzählen und als uns die weißen Häuser des Lootseudorfes Boucaii
entgegeuschimmerten, wußten wir unter seinen Bewohnern Bescheid, als ob wir
jahrelang dort gelebt hätten. Zuweilen unterbrach Urracas Erzählungen das
grüßende ^äiswt (Gott befohlen) zu Markte ziehender Bauerfrauen, oder der
Segen eines Bettelmönches, oder die Neckereien vorübersegelnder Fischer. Wo
ein Kreuz am Wege stand, schlug sie die Brust und betete; zuweilen stimmte sie
mit schrillem Tone die Weise eines alten Noels an oder erzählte Sagen und
Liebesgeschichten in so cvnfuser Mischung von Französisch, Baskisch und Patois,
daß wir mehr durch die Mienen, als durch die Worte den Sinn erfuhren.

Auch der Wechsel der Umgebung nahm unsere Aufmerksamkeit in Anspruch.
Die Ufer des Adour verflache» sich in der Nähe des Meeres und auch die Vege¬
tation verschwindet mehr und mehr. Wir durchschneiden ein Fichtenholz, sehen
zuletzt einige Weinpflanznngen, deren Ertrag und Existenz nur zu oft durch
Springfluten nud Stürme bedroht sein mag, und dann beginnt das Gebiet der
Dünen, das dem oberflächlichen Blicke so einförmig scheint, dem aufmerksamen
Beobachter aber ein Leben erschließt, das an den interessantesten Verwandlungen
und Entwickelungen reich ist.

Die hochansteigenden Wogen der Flut wühlen den Strand ans und tragen
Mnschelüberreste, Seetang, Sand und allerlei Gewürm bis an den Fuß des
Düuengürtcls; aber indem sie ihm auf diese Weise Nahrung zuführen, erschüttert
der Wogenschlag die breite Basis der Hügelketten und höhlt sie hier und da zu
tiefen Grotten aus. — Die Zeit der Ebbe kommt — langsam ziehen sich die
Wasser zurück, endlich blinken auf dem sanft abfallenden Strande nur noch einzelne
Wasserrinnen und Tümpel. Die Sonnenglnten verzehren die Feuchtigkeit der
Oberfläche, die Winde segen und rollen den trocknen Sand, ballen ihn zusammen,
häufen ihn zu Hügeln und zerstören früher aufgeschichtete Dämme und Hügel.
Muscheln und Fische, die häßlichen Gallertmassen der Quallen, die schwarzen
Meerkühe mit den vier langen Armen, Polypen und Schnecken, von der Flut
ans Land getragen, werden theils vom wehenden Sande begraben, theils ein
Raub der Möven, die schreiend und flügelschlagend den Strand bevölkern. Hier
und da spatzire ein Reiher, der verachtungsvoll das Gewimmel überschaut, oder
das Erscheinen des Adlers, der in der Höhe weite Kreise zieht, verscheucht die
Vögelschar.

Und dann das Meer! Schon lange unterschieden wir, die Stimmen des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96425"/>
            <p xml:id="ID_801" prev="#ID_800"> es freilich noch viel zu tadeln: bald war die Kleidung nicht gut gewählt, bald die<lb/>
Haltung unbequem; bald hatte der eine zu lauge Glieder, bald war der andere<lb/>
zu&gt; leicht. Am liebsten hätten wir die hofmeisternde Alte gleich zurückgeschickt.<lb/>
Aber als wir endlich ins Gleichgewicht gebracht waren, die Maulthiere lustig<lb/>
Schellen und Quasten schüttelten und unter den Bäumen der allees-maritimes<lb/>
»us ein frischer Wind umwehte, erheiterte sich Urracas Antlitz. Sie begann zu<lb/>
fragen, zu erzählen und als uns die weißen Häuser des Lootseudorfes Boucaii<lb/>
entgegeuschimmerten, wußten wir unter seinen Bewohnern Bescheid, als ob wir<lb/>
jahrelang dort gelebt hätten. Zuweilen unterbrach Urracas Erzählungen das<lb/>
grüßende ^äiswt (Gott befohlen) zu Markte ziehender Bauerfrauen, oder der<lb/>
Segen eines Bettelmönches, oder die Neckereien vorübersegelnder Fischer. Wo<lb/>
ein Kreuz am Wege stand, schlug sie die Brust und betete; zuweilen stimmte sie<lb/>
mit schrillem Tone die Weise eines alten Noels an oder erzählte Sagen und<lb/>
Liebesgeschichten in so cvnfuser Mischung von Französisch, Baskisch und Patois,<lb/>
daß wir mehr durch die Mienen, als durch die Worte den Sinn erfuhren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_802"> Auch der Wechsel der Umgebung nahm unsere Aufmerksamkeit in Anspruch.<lb/>
Die Ufer des Adour verflache» sich in der Nähe des Meeres und auch die Vege¬<lb/>
tation verschwindet mehr und mehr. Wir durchschneiden ein Fichtenholz, sehen<lb/>
zuletzt einige Weinpflanznngen, deren Ertrag und Existenz nur zu oft durch<lb/>
Springfluten nud Stürme bedroht sein mag, und dann beginnt das Gebiet der<lb/>
Dünen, das dem oberflächlichen Blicke so einförmig scheint, dem aufmerksamen<lb/>
Beobachter aber ein Leben erschließt, das an den interessantesten Verwandlungen<lb/>
und Entwickelungen reich ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_803"> Die hochansteigenden Wogen der Flut wühlen den Strand ans und tragen<lb/>
Mnschelüberreste, Seetang, Sand und allerlei Gewürm bis an den Fuß des<lb/>
Düuengürtcls; aber indem sie ihm auf diese Weise Nahrung zuführen, erschüttert<lb/>
der Wogenschlag die breite Basis der Hügelketten und höhlt sie hier und da zu<lb/>
tiefen Grotten aus. &#x2014; Die Zeit der Ebbe kommt &#x2014; langsam ziehen sich die<lb/>
Wasser zurück, endlich blinken auf dem sanft abfallenden Strande nur noch einzelne<lb/>
Wasserrinnen und Tümpel. Die Sonnenglnten verzehren die Feuchtigkeit der<lb/>
Oberfläche, die Winde segen und rollen den trocknen Sand, ballen ihn zusammen,<lb/>
häufen ihn zu Hügeln und zerstören früher aufgeschichtete Dämme und Hügel.<lb/>
Muscheln und Fische, die häßlichen Gallertmassen der Quallen, die schwarzen<lb/>
Meerkühe mit den vier langen Armen, Polypen und Schnecken, von der Flut<lb/>
ans Land getragen, werden theils vom wehenden Sande begraben, theils ein<lb/>
Raub der Möven, die schreiend und flügelschlagend den Strand bevölkern. Hier<lb/>
und da spatzire ein Reiher, der verachtungsvoll das Gewimmel überschaut, oder<lb/>
das Erscheinen des Adlers, der in der Höhe weite Kreise zieht, verscheucht die<lb/>
Vögelschar.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_804" next="#ID_805"> Und dann das Meer!  Schon lange unterschieden wir, die Stimmen des</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0250] es freilich noch viel zu tadeln: bald war die Kleidung nicht gut gewählt, bald die Haltung unbequem; bald hatte der eine zu lauge Glieder, bald war der andere zu> leicht. Am liebsten hätten wir die hofmeisternde Alte gleich zurückgeschickt. Aber als wir endlich ins Gleichgewicht gebracht waren, die Maulthiere lustig Schellen und Quasten schüttelten und unter den Bäumen der allees-maritimes »us ein frischer Wind umwehte, erheiterte sich Urracas Antlitz. Sie begann zu fragen, zu erzählen und als uns die weißen Häuser des Lootseudorfes Boucaii entgegeuschimmerten, wußten wir unter seinen Bewohnern Bescheid, als ob wir jahrelang dort gelebt hätten. Zuweilen unterbrach Urracas Erzählungen das grüßende ^äiswt (Gott befohlen) zu Markte ziehender Bauerfrauen, oder der Segen eines Bettelmönches, oder die Neckereien vorübersegelnder Fischer. Wo ein Kreuz am Wege stand, schlug sie die Brust und betete; zuweilen stimmte sie mit schrillem Tone die Weise eines alten Noels an oder erzählte Sagen und Liebesgeschichten in so cvnfuser Mischung von Französisch, Baskisch und Patois, daß wir mehr durch die Mienen, als durch die Worte den Sinn erfuhren. Auch der Wechsel der Umgebung nahm unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. Die Ufer des Adour verflache» sich in der Nähe des Meeres und auch die Vege¬ tation verschwindet mehr und mehr. Wir durchschneiden ein Fichtenholz, sehen zuletzt einige Weinpflanznngen, deren Ertrag und Existenz nur zu oft durch Springfluten nud Stürme bedroht sein mag, und dann beginnt das Gebiet der Dünen, das dem oberflächlichen Blicke so einförmig scheint, dem aufmerksamen Beobachter aber ein Leben erschließt, das an den interessantesten Verwandlungen und Entwickelungen reich ist. Die hochansteigenden Wogen der Flut wühlen den Strand ans und tragen Mnschelüberreste, Seetang, Sand und allerlei Gewürm bis an den Fuß des Düuengürtcls; aber indem sie ihm auf diese Weise Nahrung zuführen, erschüttert der Wogenschlag die breite Basis der Hügelketten und höhlt sie hier und da zu tiefen Grotten aus. — Die Zeit der Ebbe kommt — langsam ziehen sich die Wasser zurück, endlich blinken auf dem sanft abfallenden Strande nur noch einzelne Wasserrinnen und Tümpel. Die Sonnenglnten verzehren die Feuchtigkeit der Oberfläche, die Winde segen und rollen den trocknen Sand, ballen ihn zusammen, häufen ihn zu Hügeln und zerstören früher aufgeschichtete Dämme und Hügel. Muscheln und Fische, die häßlichen Gallertmassen der Quallen, die schwarzen Meerkühe mit den vier langen Armen, Polypen und Schnecken, von der Flut ans Land getragen, werden theils vom wehenden Sande begraben, theils ein Raub der Möven, die schreiend und flügelschlagend den Strand bevölkern. Hier und da spatzire ein Reiher, der verachtungsvoll das Gewimmel überschaut, oder das Erscheinen des Adlers, der in der Höhe weite Kreise zieht, verscheucht die Vögelschar. Und dann das Meer! Schon lange unterschieden wir, die Stimmen des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/250
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/250>, abgerufen am 03.07.2024.