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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Die Regierung Louis Philipps suchte durch kleine Intrigue" ihren Einfluß
wiederzugewinnen. Sie unterstützte Mehemed Ali in seinen Unternehmungen
auf Syrien und die Maroniten in ihrem Kcimps für Unabhängigkeit. Das Mi߬
lingen dieser Intriguen untergrub den französischen Einfluß noch mehr. Mittler¬
weile hatte" auch die Protestanten durch das vou England und Preußen
gemeinschaftlich eingesetzte Bisthum ihre kirchlichen Verhältnisse im Orient organisirt.

Es ist mit dem Besitz der heiligen Stätte" für die Grieche" zugleich el"
materielles Interesse verbunden. Ihre Priester verrichten alljährlich dort el"
Wunder, das Herabziehen des heiligen Feuers vom Himmel, welches für sie die
Quelle reicher Einnahmen ist, und die Lateiner hatten sich natürlich diesem Wunder
widersetzt.

Als durch den Streit über die ungarischen Flüchtlinge Rußland und Oest¬
reich mit der Pforte in eine lebhafte Spannung gekommen waren, als ihre beider¬
seitigen Gesandten sich unthätig i" Bujukdere aufhielten, hielt der neue thaten¬
durstige Kaiser der Franzosen den Zeitpunkt für geeignet, die Rechte der Lateiner
wiederherzustellen. Er schickte zu diesem Zwecke den junge" Marquis v. La-
valette hin, der sich früher durch seine leidenschaftliche Verehrung der Fanny
Elster, sowie durch eine" seltsame" Zufall bekannt gemacht hatte, durch welche"
ihm, dem Gesandtschaftssecretär, in Persien die Ehrenbezeigungen und Geschenke
zu Theil wurden, die eigentlich dem Gesandte" bestimmt waren. Herr v. Lava-
lette stürmte sofort mit voller französischer Lebhaftigkeit zu Neschid Pascha, dem
damalige" Großvezier, einem liberalen, aber "icht mehr junge", behäbige" Mann,
der viel zu ruhig war, um'auf das leidenschaftliche, guccksilberartige Wesen des Fran¬
zosen einz"gehe". Dieser verschaffte sich sofort Eingang beim Sulla", stellte dem¬
selben vor, daß Neschid Pascha den Interesse" Fraiikreichs feindlich sei und daher
ein Bündniß mit Frankreich verhindere, und es gelang ihm i" der That, die
Absetzung desselben durchzusetzen. Stratford Canning ließ seinen bisherigen
Schützling fallen, weil er ihm i" Beziehung auf die Einrichtung einer Straße
zwischen Trapezunt und Erzerum, die für England große Wichtigkeit hatte, i"
de" Weg getreten war. Ebenso bewahrte der russische Gesandte, Herr v. Titvff,
ein tiefes Stillschweigen.

sowol der Sultan, als sein "euer Münster, Ali Pascha, ein kleiner beweg¬
licher, in den Boulevards vou Paris und in de" Clubs vo" London wohlbekannter
Man", waren daher fest davon überzeugt, daß mit der Bewilligung der franzö¬
sische" Forderungen, der Wiedereinführung der Lateiner in die heiligen Orte, den
übrigen Mächten nicht der geringste Anstoß gegeben werde. Ali Pascha ließ sich
außerdem durch Herrn v. Lavalette verführen, eine Anleihe auszuschreiben, eine
i" deu türkische" Anuale" unerhörte Neuerung. Die sämmtlichen Beamten des
türkischen Reichs waren gegen dies Unternehmen, weil sie glaubten, Ali Pascha
wolle sich nur allein dadurch bereicher", und ihnen selbst werde nichts zufließen;


Die Regierung Louis Philipps suchte durch kleine Intrigue» ihren Einfluß
wiederzugewinnen. Sie unterstützte Mehemed Ali in seinen Unternehmungen
auf Syrien und die Maroniten in ihrem Kcimps für Unabhängigkeit. Das Mi߬
lingen dieser Intriguen untergrub den französischen Einfluß noch mehr. Mittler¬
weile hatte» auch die Protestanten durch das vou England und Preußen
gemeinschaftlich eingesetzte Bisthum ihre kirchlichen Verhältnisse im Orient organisirt.

Es ist mit dem Besitz der heiligen Stätte» für die Grieche» zugleich el»
materielles Interesse verbunden. Ihre Priester verrichten alljährlich dort el»
Wunder, das Herabziehen des heiligen Feuers vom Himmel, welches für sie die
Quelle reicher Einnahmen ist, und die Lateiner hatten sich natürlich diesem Wunder
widersetzt.

Als durch den Streit über die ungarischen Flüchtlinge Rußland und Oest¬
reich mit der Pforte in eine lebhafte Spannung gekommen waren, als ihre beider¬
seitigen Gesandten sich unthätig i» Bujukdere aufhielten, hielt der neue thaten¬
durstige Kaiser der Franzosen den Zeitpunkt für geeignet, die Rechte der Lateiner
wiederherzustellen. Er schickte zu diesem Zwecke den junge» Marquis v. La-
valette hin, der sich früher durch seine leidenschaftliche Verehrung der Fanny
Elster, sowie durch eine» seltsame» Zufall bekannt gemacht hatte, durch welche»
ihm, dem Gesandtschaftssecretär, in Persien die Ehrenbezeigungen und Geschenke
zu Theil wurden, die eigentlich dem Gesandte» bestimmt waren. Herr v. Lava-
lette stürmte sofort mit voller französischer Lebhaftigkeit zu Neschid Pascha, dem
damalige» Großvezier, einem liberalen, aber »icht mehr junge», behäbige» Mann,
der viel zu ruhig war, um'auf das leidenschaftliche, guccksilberartige Wesen des Fran¬
zosen einz»gehe». Dieser verschaffte sich sofort Eingang beim Sulla», stellte dem¬
selben vor, daß Neschid Pascha den Interesse» Fraiikreichs feindlich sei und daher
ein Bündniß mit Frankreich verhindere, und es gelang ihm i» der That, die
Absetzung desselben durchzusetzen. Stratford Canning ließ seinen bisherigen
Schützling fallen, weil er ihm i» Beziehung auf die Einrichtung einer Straße
zwischen Trapezunt und Erzerum, die für England große Wichtigkeit hatte, i»
de» Weg getreten war. Ebenso bewahrte der russische Gesandte, Herr v. Titvff,
ein tiefes Stillschweigen.

sowol der Sultan, als sein »euer Münster, Ali Pascha, ein kleiner beweg¬
licher, in den Boulevards vou Paris und in de» Clubs vo» London wohlbekannter
Man», waren daher fest davon überzeugt, daß mit der Bewilligung der franzö¬
sische» Forderungen, der Wiedereinführung der Lateiner in die heiligen Orte, den
übrigen Mächten nicht der geringste Anstoß gegeben werde. Ali Pascha ließ sich
außerdem durch Herrn v. Lavalette verführen, eine Anleihe auszuschreiben, eine
i» deu türkische» Anuale» unerhörte Neuerung. Die sämmtlichen Beamten des
türkischen Reichs waren gegen dies Unternehmen, weil sie glaubten, Ali Pascha
wolle sich nur allein dadurch bereicher», und ihnen selbst werde nichts zufließen;


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[0234] Die Regierung Louis Philipps suchte durch kleine Intrigue» ihren Einfluß wiederzugewinnen. Sie unterstützte Mehemed Ali in seinen Unternehmungen auf Syrien und die Maroniten in ihrem Kcimps für Unabhängigkeit. Das Mi߬ lingen dieser Intriguen untergrub den französischen Einfluß noch mehr. Mittler¬ weile hatte» auch die Protestanten durch das vou England und Preußen gemeinschaftlich eingesetzte Bisthum ihre kirchlichen Verhältnisse im Orient organisirt. Es ist mit dem Besitz der heiligen Stätte» für die Grieche» zugleich el» materielles Interesse verbunden. Ihre Priester verrichten alljährlich dort el» Wunder, das Herabziehen des heiligen Feuers vom Himmel, welches für sie die Quelle reicher Einnahmen ist, und die Lateiner hatten sich natürlich diesem Wunder widersetzt. Als durch den Streit über die ungarischen Flüchtlinge Rußland und Oest¬ reich mit der Pforte in eine lebhafte Spannung gekommen waren, als ihre beider¬ seitigen Gesandten sich unthätig i» Bujukdere aufhielten, hielt der neue thaten¬ durstige Kaiser der Franzosen den Zeitpunkt für geeignet, die Rechte der Lateiner wiederherzustellen. Er schickte zu diesem Zwecke den junge» Marquis v. La- valette hin, der sich früher durch seine leidenschaftliche Verehrung der Fanny Elster, sowie durch eine» seltsame» Zufall bekannt gemacht hatte, durch welche» ihm, dem Gesandtschaftssecretär, in Persien die Ehrenbezeigungen und Geschenke zu Theil wurden, die eigentlich dem Gesandte» bestimmt waren. Herr v. Lava- lette stürmte sofort mit voller französischer Lebhaftigkeit zu Neschid Pascha, dem damalige» Großvezier, einem liberalen, aber »icht mehr junge», behäbige» Mann, der viel zu ruhig war, um'auf das leidenschaftliche, guccksilberartige Wesen des Fran¬ zosen einz»gehe». Dieser verschaffte sich sofort Eingang beim Sulla», stellte dem¬ selben vor, daß Neschid Pascha den Interesse» Fraiikreichs feindlich sei und daher ein Bündniß mit Frankreich verhindere, und es gelang ihm i» der That, die Absetzung desselben durchzusetzen. Stratford Canning ließ seinen bisherigen Schützling fallen, weil er ihm i» Beziehung auf die Einrichtung einer Straße zwischen Trapezunt und Erzerum, die für England große Wichtigkeit hatte, i» de» Weg getreten war. Ebenso bewahrte der russische Gesandte, Herr v. Titvff, ein tiefes Stillschweigen. sowol der Sultan, als sein »euer Münster, Ali Pascha, ein kleiner beweg¬ licher, in den Boulevards vou Paris und in de» Clubs vo» London wohlbekannter Man», waren daher fest davon überzeugt, daß mit der Bewilligung der franzö¬ sische» Forderungen, der Wiedereinführung der Lateiner in die heiligen Orte, den übrigen Mächten nicht der geringste Anstoß gegeben werde. Ali Pascha ließ sich außerdem durch Herrn v. Lavalette verführen, eine Anleihe auszuschreiben, eine i» deu türkische» Anuale» unerhörte Neuerung. Die sämmtlichen Beamten des türkischen Reichs waren gegen dies Unternehmen, weil sie glaubten, Ali Pascha wolle sich nur allein dadurch bereicher», und ihnen selbst werde nichts zufließen;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/234>, abgerufen am 23.07.2024.