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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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welcher die Waaren bei dem kostspieligen Transport nur zu sehr hohen Preisen
zu liefern vermag, in Attock ein indisch-astatischer Verkehr entgegentreten, der
jenen ohne Zweifel bald überflügeln müßte, Attock ist als Meßplatz vorzüglich
gelegen und würde den Verkehr mit Centralasten nach allen Richtungen auf die
leichteste Weise ermitteln. Hier tritt an dem neuen Projecte eine politische Seite
hervor, eine Beziehung zu der Stellung der beiden Großmächte, welche um die
Herrschaft Asiens, die eine von der Landseite, die andere von der Seeseite her,
kämpfen. Der Handel ist hier stets der Eroberung vorangeschritten und die Kauf¬
leute sind die Vorposten der Armeen. Daß Nußland seinen Einfluß soweit nach
Süden, uach Persien und China ausdehnen konnte, liegt in nichts anderem, als
in dem Uebergewicht, das es hier durch den russisch-asiatischen Handelsverkehr
erlangt hat, während der britisch-centralasiatische Handel von Ostindien aus
bis jetzt von weit geringerer Bedeutung ist.

Daß ein lebhafter Handelsverkehr, zunächst zwischen dem Euphrat und der
syrischen Küste, dann nach Erweiterung des europäischen Eisenbahnnetzes bis an
den Bosporus zwischen dem Euphrat und der Donan auf den Culturzustand der
zwischenliegenden Länder nicht ohne Einfluß bleiben kann, versteht sich von selbst.
Diese Länder sind von der Natur reich begabt. Lassen wir die kornreichen Ge¬
genden der unteren Donau unberücksichtigt, und betrachten die Länder, welche die
Eisenbahn vou Seleiicia nach Bussorah durchschneiden würde, so finden wir hier
zunächst an den Ufern des Orontes das milde Syrien, das Italien des Orients,
mit seinem, durch die Nähe des Meeres temperirten Klima. Hier gedeihen außer
den gewöhnlichen Getreidearten Mais, Reis, Tabak, Wein, der an die Gewächse
des südlichen Spaniens erinnert; die Olive, die Feige, die Aprikose, der Maul-
beerbaum. Die Seidenzucht wird von den angesiedelten Europäern betrieben.
In den Gärten vou Sidon und Beirut sieht man auch das Zuckerrohr. Auch
Baumwolle liefert das Laud, und kann es in Zukunft in viel größeren Quantitäten,
so gut wie Aegypten liefern. Jetzt liegen Millionen fruchtbarer Aecker uuauge-
baut. Europäische Colonisation würde, wenn überhaupt in größerem Maßstabe
im Orient möglich, hier besonders leicht sein, wenigstens solange hier das milde
türkische Regiment herrscht, das dem christlichen Europäer mit wenigen Be¬
schränkungen seine Eigenthümlichkeiten, sein Gemeindeleben, seine eigne Gerichts¬
barkeit, und somit eine selbstständige Entwicklung gestattet. Hier ist ein fried¬
liches Beieinanderleben der Christen und der Moslems viel leichter als in
jenen Grenzländern der Türkei und des christlichen Europas, in denen fremder
Einfluß fortdauernd Reibungen zwischen beiden Bevölkerungen hervorzurufen
und die Religion zum Fanatismus zu steigen, sucht. Der Handel versöhnt,
seine friedliche Macht wird die Toleranz, welche die türkischen Behörden gegen
die christlichen Bewohner des Landes ausüben, mehr und mehr auf das Verhältniß
der Bevölkerungen zu einander übertragen, und auch jenen "vereinzelten AuS-


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welcher die Waaren bei dem kostspieligen Transport nur zu sehr hohen Preisen
zu liefern vermag, in Attock ein indisch-astatischer Verkehr entgegentreten, der
jenen ohne Zweifel bald überflügeln müßte, Attock ist als Meßplatz vorzüglich
gelegen und würde den Verkehr mit Centralasten nach allen Richtungen auf die
leichteste Weise ermitteln. Hier tritt an dem neuen Projecte eine politische Seite
hervor, eine Beziehung zu der Stellung der beiden Großmächte, welche um die
Herrschaft Asiens, die eine von der Landseite, die andere von der Seeseite her,
kämpfen. Der Handel ist hier stets der Eroberung vorangeschritten und die Kauf¬
leute sind die Vorposten der Armeen. Daß Nußland seinen Einfluß soweit nach
Süden, uach Persien und China ausdehnen konnte, liegt in nichts anderem, als
in dem Uebergewicht, das es hier durch den russisch-asiatischen Handelsverkehr
erlangt hat, während der britisch-centralasiatische Handel von Ostindien aus
bis jetzt von weit geringerer Bedeutung ist.

Daß ein lebhafter Handelsverkehr, zunächst zwischen dem Euphrat und der
syrischen Küste, dann nach Erweiterung des europäischen Eisenbahnnetzes bis an
den Bosporus zwischen dem Euphrat und der Donan auf den Culturzustand der
zwischenliegenden Länder nicht ohne Einfluß bleiben kann, versteht sich von selbst.
Diese Länder sind von der Natur reich begabt. Lassen wir die kornreichen Ge¬
genden der unteren Donau unberücksichtigt, und betrachten die Länder, welche die
Eisenbahn vou Seleiicia nach Bussorah durchschneiden würde, so finden wir hier
zunächst an den Ufern des Orontes das milde Syrien, das Italien des Orients,
mit seinem, durch die Nähe des Meeres temperirten Klima. Hier gedeihen außer
den gewöhnlichen Getreidearten Mais, Reis, Tabak, Wein, der an die Gewächse
des südlichen Spaniens erinnert; die Olive, die Feige, die Aprikose, der Maul-
beerbaum. Die Seidenzucht wird von den angesiedelten Europäern betrieben.
In den Gärten vou Sidon und Beirut sieht man auch das Zuckerrohr. Auch
Baumwolle liefert das Laud, und kann es in Zukunft in viel größeren Quantitäten,
so gut wie Aegypten liefern. Jetzt liegen Millionen fruchtbarer Aecker uuauge-
baut. Europäische Colonisation würde, wenn überhaupt in größerem Maßstabe
im Orient möglich, hier besonders leicht sein, wenigstens solange hier das milde
türkische Regiment herrscht, das dem christlichen Europäer mit wenigen Be¬
schränkungen seine Eigenthümlichkeiten, sein Gemeindeleben, seine eigne Gerichts¬
barkeit, und somit eine selbstständige Entwicklung gestattet. Hier ist ein fried¬
liches Beieinanderleben der Christen und der Moslems viel leichter als in
jenen Grenzländern der Türkei und des christlichen Europas, in denen fremder
Einfluß fortdauernd Reibungen zwischen beiden Bevölkerungen hervorzurufen
und die Religion zum Fanatismus zu steigen, sucht. Der Handel versöhnt,
seine friedliche Macht wird die Toleranz, welche die türkischen Behörden gegen
die christlichen Bewohner des Landes ausüben, mehr und mehr auf das Verhältniß
der Bevölkerungen zu einander übertragen, und auch jenen „vereinzelten AuS-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/187>, abgerufen am 01.07.2024.