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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Veitstanz gefahren, und weil die vier übrigen Großmächte in dem Kampf zwischen
dem Sultan und dem Pascha von Aegypten eine Haltung einnahmen, die Frank¬
reich nicht behagte, tobten sie alle wie besessen und versicherten, zur Genugthuung
für ihre beleidigte Ehre müsse ihnen wenigstens die preußische Rheinprovinz ein¬
geräumt werden. So sind wir denn in der erbaulichen Lage, daß wir auch im
allergünstigsten Fall im Orient nichts gewinnen können, daß wir aber bei jeder
neuen Wendung der Dinge befürchten müssen, irgend einer unserer Nachbarn werde
die gute Gelegenheit dazu anwenden, einen Theil unseres Eigenthums an sich zu
reißen. Und in dieser Lage siud wir nun in 34 Staaten zersplittert, von denen
jeder, auch der kleinste sich bemüht eine selbstständige Politik zu treiben, von
denen jeder die Bewegungen des andern eifersüchtig bewacht und von denen
jeder im Grunde seines Herzens Deutschland ganz mit den Augen der Franzosen
ansieht, d. h. als eine gute Beute, die der erste beste an sich reißen kann,
der die Kraft und, den Willen dazu in sich fühlt.

Es ist schlimm genug, daß es so ist, aber wir tragen doch allein nicht die
Schuld daran. Die Verträge von 1814 und 13, an denen England redlichen
Theil genommen hat, haben Deutschland in eine Reihe souverainer Staaten ge¬
theilt, von denen jeder einzelne, weil seine Lage eine unmögliche ist, sich darauf
angewiesen sieht, sich ans die Kosten der anderen zu vergrößern und sie daher als
seine natürlichen Feinde zu betrachten. Der einzige Staat, dessen Besitzungen in
Deutschland leidlich abgerundet sind, und der nicht nöthig hat auf solche Vergröße¬
rungen zu denken, ist Oestreich; aber dies befindet sich wieder in einem andern
Conflict mit sich selbst. Es fühlt sich durch die Traditionen seiner Geschichte und
durch den Umfang seiner Macht dazu berufen, in Deutschland die Hegemonie zu
führen und doch verschließen ihm seine politischen Verwickelungen am Po und an
der unteren Donau die Möglichkeit, dies im deutschen Sinn zu thun. Alle wahren
Kernpunkte der deutschen Entwickelung liegen in Norddeutschland, und auf dieses
kann Oestreich nie einen directen Einfluß ausüben, wenn es nicht durch ganz
besondere, nicht leicht wiederkehrende Konstellationen, wie in der Zeit nach dem
Ollmützer Vertrag, dazu befähigt wird.

In der Zeit von 1816--48 war die Existenz Deutschlands weniger gefährdet,
aber diese Sicherheit war durch ein schweres Opfer erkauft. Man hatte alles
politische Leben auf die künstlichste Weise 'in Stagnation versetzt. Daß diese
Methode nicht die richtige war, daß sie vielmehr die bedrohlichsten Folgen nach
sich ziehen mußte, haben jetzt wol die Staatsmänner beider Großmächte vollständig
eingesehen. Denn auch die Politik des Schwarzenberg'sehen Cabinets ist nicht im
entferntesten mehr mit der des Metternich'sehen zusammenzustellen.

Metternichs einzige Sorge war darauf gerichtet, jede mögliche Bewegung,
von welcher Seite sie auch kommen mochte, im Keime zu ersticken, weil man bei
jeder Bewegung, bei jeder Veränderung irgend einen Riß in das Staatsleben


Veitstanz gefahren, und weil die vier übrigen Großmächte in dem Kampf zwischen
dem Sultan und dem Pascha von Aegypten eine Haltung einnahmen, die Frank¬
reich nicht behagte, tobten sie alle wie besessen und versicherten, zur Genugthuung
für ihre beleidigte Ehre müsse ihnen wenigstens die preußische Rheinprovinz ein¬
geräumt werden. So sind wir denn in der erbaulichen Lage, daß wir auch im
allergünstigsten Fall im Orient nichts gewinnen können, daß wir aber bei jeder
neuen Wendung der Dinge befürchten müssen, irgend einer unserer Nachbarn werde
die gute Gelegenheit dazu anwenden, einen Theil unseres Eigenthums an sich zu
reißen. Und in dieser Lage siud wir nun in 34 Staaten zersplittert, von denen
jeder, auch der kleinste sich bemüht eine selbstständige Politik zu treiben, von
denen jeder die Bewegungen des andern eifersüchtig bewacht und von denen
jeder im Grunde seines Herzens Deutschland ganz mit den Augen der Franzosen
ansieht, d. h. als eine gute Beute, die der erste beste an sich reißen kann,
der die Kraft und, den Willen dazu in sich fühlt.

Es ist schlimm genug, daß es so ist, aber wir tragen doch allein nicht die
Schuld daran. Die Verträge von 1814 und 13, an denen England redlichen
Theil genommen hat, haben Deutschland in eine Reihe souverainer Staaten ge¬
theilt, von denen jeder einzelne, weil seine Lage eine unmögliche ist, sich darauf
angewiesen sieht, sich ans die Kosten der anderen zu vergrößern und sie daher als
seine natürlichen Feinde zu betrachten. Der einzige Staat, dessen Besitzungen in
Deutschland leidlich abgerundet sind, und der nicht nöthig hat auf solche Vergröße¬
rungen zu denken, ist Oestreich; aber dies befindet sich wieder in einem andern
Conflict mit sich selbst. Es fühlt sich durch die Traditionen seiner Geschichte und
durch den Umfang seiner Macht dazu berufen, in Deutschland die Hegemonie zu
führen und doch verschließen ihm seine politischen Verwickelungen am Po und an
der unteren Donau die Möglichkeit, dies im deutschen Sinn zu thun. Alle wahren
Kernpunkte der deutschen Entwickelung liegen in Norddeutschland, und auf dieses
kann Oestreich nie einen directen Einfluß ausüben, wenn es nicht durch ganz
besondere, nicht leicht wiederkehrende Konstellationen, wie in der Zeit nach dem
Ollmützer Vertrag, dazu befähigt wird.

In der Zeit von 1816—48 war die Existenz Deutschlands weniger gefährdet,
aber diese Sicherheit war durch ein schweres Opfer erkauft. Man hatte alles
politische Leben auf die künstlichste Weise 'in Stagnation versetzt. Daß diese
Methode nicht die richtige war, daß sie vielmehr die bedrohlichsten Folgen nach
sich ziehen mußte, haben jetzt wol die Staatsmänner beider Großmächte vollständig
eingesehen. Denn auch die Politik des Schwarzenberg'sehen Cabinets ist nicht im
entferntesten mehr mit der des Metternich'sehen zusammenzustellen.

Metternichs einzige Sorge war darauf gerichtet, jede mögliche Bewegung,
von welcher Seite sie auch kommen mochte, im Keime zu ersticken, weil man bei
jeder Bewegung, bei jeder Veränderung irgend einen Riß in das Staatsleben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/18>, abgerufen am 01.07.2024.