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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Herr Rosenkranz, vor dem wir im übrigen die größte Hochachtung empfinden,
möge uns hier einen Ausdruck verzeihen, den wir unmöglich unterdrücken können.
Diese Auffassung von dem Wesen des Erhabenen ist gradezu schülerhaft, noch
viel schülerhafter, als die des Lord Horion bei Jean Paul. Wir können ihm
den Ausdruck nicht ersparen, weil es zu arg ist, wenn ein Lehrer der Philosophie
mit Kant auf eine ähnliche Weise umspringt. Wenn das am grünen Holz ge¬
schieht, was soll man vom dürren erwarten! Die Schülerhaftigkeit liegt nämlich
darin, daß die doppelte Bedeutung des Begriffs'Objectivität verkannt wird.
Das Gefühl des Erhabenen ist insofern objectiv, als es einen Gegenstand er¬
fordert, der in allen gleich organisirten Wesen das nämliche Gefühl hervorruft,
aber nicht insofern objectiv, daß es ein eigens organisirtes Subject überflüssig
machte. Freilich können wir uns denken, daß der Niagarafall existirte, auch
wenn keine Menschen da wären, die ihn sehen oder ihn sich vorstellen könnten,
aber alsdann wäre es auch mit dem Gefühl des Erhabenen vorbei. Für einen
Gulliver aus dem Nieseulaude, der deu Niagarafall durchwaten könnte, wäre der
Niagarafall so wenig erhaben, als für uns eine Schleuße. Um einen Gegenstand
erhaben zu finden, muß man zu ihm emporblicken können. Für Gott und für
die Thiere giebt es nichts erhabenes, denn sie können nicht emporblicken. Als
Gott die Welt geschaffen hatte sah er wol, daß sie gut war, aber er konnte nicht
sehen, daß sie erhaben war. Gut ist sie an sich, aber erhaben nur für den tief¬
kühlenden und wenig umfassenden Menschen. Das Thier empfindet wol das Ge¬
witter, die Lawine, das zornige Auge des Herrn mit Schrecken, aber nicht als
erhaben, denn es ist ihm gegenüber nicht frei. Das Erhabene liegt nicht in dem
Gegenstand, sondern in der Seele, die durch den Gegenstand afficirt wird. --
Wir können uus diese Verwirrung bei Rosenkranz nur daraus erklären, daß sie
dnrch eine ähnliche aber entgegengesetzte bei Rüge hervorgerufen ist.

Wie sehr Rüge seine Lehrer mißverstanden hat, wird ans einem bestimmten
Beispiel am deutlichsten hervorgehen. In seiner Polemik gegen die Romantiker
kommt er einmal auf die Vorliebe derselben für das Naturwüchsige zu sprechen,
z. B. für den Urwald, und erklärt, der Urwald sei ganz und gar nicht schön,
sondern nur der Park sei schön, da nur dasjenige schöZ genannt werden könne,
was aus dem Geist hervorginge. Hier scheint es fast, als ob er in denselben
Fehler verfallen ist, wie Rosenkranz, nämlich das Schöne ganz in das Object
aufgehen zu lassen. Die Productivität des menschlichen Geistes in dem Hervor¬
bringen des Schönen zeigt sich zunächst nicht in dem Machen desselben, sondern
in der Aufnahme desselben in die ästhetische Empfindung. Das künstlerisch ge¬
bildetste Auge, das eine schöne Landschaft empfindet, bringt dieselbe in der That
als solche hervor, denn sie ist an sich uicht vorhanden. Es ist ganz unbegreiflich,
wie Rosenkranz sich über einen so ganz einfachen Punkt täuschen kann. Die
materiellen Bestandtheile, aus denen die Landschaft gebildet wird, sind allerdings


Herr Rosenkranz, vor dem wir im übrigen die größte Hochachtung empfinden,
möge uns hier einen Ausdruck verzeihen, den wir unmöglich unterdrücken können.
Diese Auffassung von dem Wesen des Erhabenen ist gradezu schülerhaft, noch
viel schülerhafter, als die des Lord Horion bei Jean Paul. Wir können ihm
den Ausdruck nicht ersparen, weil es zu arg ist, wenn ein Lehrer der Philosophie
mit Kant auf eine ähnliche Weise umspringt. Wenn das am grünen Holz ge¬
schieht, was soll man vom dürren erwarten! Die Schülerhaftigkeit liegt nämlich
darin, daß die doppelte Bedeutung des Begriffs'Objectivität verkannt wird.
Das Gefühl des Erhabenen ist insofern objectiv, als es einen Gegenstand er¬
fordert, der in allen gleich organisirten Wesen das nämliche Gefühl hervorruft,
aber nicht insofern objectiv, daß es ein eigens organisirtes Subject überflüssig
machte. Freilich können wir uns denken, daß der Niagarafall existirte, auch
wenn keine Menschen da wären, die ihn sehen oder ihn sich vorstellen könnten,
aber alsdann wäre es auch mit dem Gefühl des Erhabenen vorbei. Für einen
Gulliver aus dem Nieseulaude, der deu Niagarafall durchwaten könnte, wäre der
Niagarafall so wenig erhaben, als für uns eine Schleuße. Um einen Gegenstand
erhaben zu finden, muß man zu ihm emporblicken können. Für Gott und für
die Thiere giebt es nichts erhabenes, denn sie können nicht emporblicken. Als
Gott die Welt geschaffen hatte sah er wol, daß sie gut war, aber er konnte nicht
sehen, daß sie erhaben war. Gut ist sie an sich, aber erhaben nur für den tief¬
kühlenden und wenig umfassenden Menschen. Das Thier empfindet wol das Ge¬
witter, die Lawine, das zornige Auge des Herrn mit Schrecken, aber nicht als
erhaben, denn es ist ihm gegenüber nicht frei. Das Erhabene liegt nicht in dem
Gegenstand, sondern in der Seele, die durch den Gegenstand afficirt wird. —
Wir können uus diese Verwirrung bei Rosenkranz nur daraus erklären, daß sie
dnrch eine ähnliche aber entgegengesetzte bei Rüge hervorgerufen ist.

Wie sehr Rüge seine Lehrer mißverstanden hat, wird ans einem bestimmten
Beispiel am deutlichsten hervorgehen. In seiner Polemik gegen die Romantiker
kommt er einmal auf die Vorliebe derselben für das Naturwüchsige zu sprechen,
z. B. für den Urwald, und erklärt, der Urwald sei ganz und gar nicht schön,
sondern nur der Park sei schön, da nur dasjenige schöZ genannt werden könne,
was aus dem Geist hervorginge. Hier scheint es fast, als ob er in denselben
Fehler verfallen ist, wie Rosenkranz, nämlich das Schöne ganz in das Object
aufgehen zu lassen. Die Productivität des menschlichen Geistes in dem Hervor¬
bringen des Schönen zeigt sich zunächst nicht in dem Machen desselben, sondern
in der Aufnahme desselben in die ästhetische Empfindung. Das künstlerisch ge¬
bildetste Auge, das eine schöne Landschaft empfindet, bringt dieselbe in der That
als solche hervor, denn sie ist an sich uicht vorhanden. Es ist ganz unbegreiflich,
wie Rosenkranz sich über einen so ganz einfachen Punkt täuschen kann. Die
materiellen Bestandtheile, aus denen die Landschaft gebildet wird, sind allerdings


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[0013] Herr Rosenkranz, vor dem wir im übrigen die größte Hochachtung empfinden, möge uns hier einen Ausdruck verzeihen, den wir unmöglich unterdrücken können. Diese Auffassung von dem Wesen des Erhabenen ist gradezu schülerhaft, noch viel schülerhafter, als die des Lord Horion bei Jean Paul. Wir können ihm den Ausdruck nicht ersparen, weil es zu arg ist, wenn ein Lehrer der Philosophie mit Kant auf eine ähnliche Weise umspringt. Wenn das am grünen Holz ge¬ schieht, was soll man vom dürren erwarten! Die Schülerhaftigkeit liegt nämlich darin, daß die doppelte Bedeutung des Begriffs'Objectivität verkannt wird. Das Gefühl des Erhabenen ist insofern objectiv, als es einen Gegenstand er¬ fordert, der in allen gleich organisirten Wesen das nämliche Gefühl hervorruft, aber nicht insofern objectiv, daß es ein eigens organisirtes Subject überflüssig machte. Freilich können wir uns denken, daß der Niagarafall existirte, auch wenn keine Menschen da wären, die ihn sehen oder ihn sich vorstellen könnten, aber alsdann wäre es auch mit dem Gefühl des Erhabenen vorbei. Für einen Gulliver aus dem Nieseulaude, der deu Niagarafall durchwaten könnte, wäre der Niagarafall so wenig erhaben, als für uns eine Schleuße. Um einen Gegenstand erhaben zu finden, muß man zu ihm emporblicken können. Für Gott und für die Thiere giebt es nichts erhabenes, denn sie können nicht emporblicken. Als Gott die Welt geschaffen hatte sah er wol, daß sie gut war, aber er konnte nicht sehen, daß sie erhaben war. Gut ist sie an sich, aber erhaben nur für den tief¬ kühlenden und wenig umfassenden Menschen. Das Thier empfindet wol das Ge¬ witter, die Lawine, das zornige Auge des Herrn mit Schrecken, aber nicht als erhaben, denn es ist ihm gegenüber nicht frei. Das Erhabene liegt nicht in dem Gegenstand, sondern in der Seele, die durch den Gegenstand afficirt wird. — Wir können uus diese Verwirrung bei Rosenkranz nur daraus erklären, daß sie dnrch eine ähnliche aber entgegengesetzte bei Rüge hervorgerufen ist. Wie sehr Rüge seine Lehrer mißverstanden hat, wird ans einem bestimmten Beispiel am deutlichsten hervorgehen. In seiner Polemik gegen die Romantiker kommt er einmal auf die Vorliebe derselben für das Naturwüchsige zu sprechen, z. B. für den Urwald, und erklärt, der Urwald sei ganz und gar nicht schön, sondern nur der Park sei schön, da nur dasjenige schöZ genannt werden könne, was aus dem Geist hervorginge. Hier scheint es fast, als ob er in denselben Fehler verfallen ist, wie Rosenkranz, nämlich das Schöne ganz in das Object aufgehen zu lassen. Die Productivität des menschlichen Geistes in dem Hervor¬ bringen des Schönen zeigt sich zunächst nicht in dem Machen desselben, sondern in der Aufnahme desselben in die ästhetische Empfindung. Das künstlerisch ge¬ bildetste Auge, das eine schöne Landschaft empfindet, bringt dieselbe in der That als solche hervor, denn sie ist an sich uicht vorhanden. Es ist ganz unbegreiflich, wie Rosenkranz sich über einen so ganz einfachen Punkt täuschen kann. Die materiellen Bestandtheile, aus denen die Landschaft gebildet wird, sind allerdings

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/13>, abgerufen am 23.07.2024.