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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Gewürze abgestumpft. Daß in der That zwischen "Vanil^an'" und "l'lmäonnis"
ein erheblicher Unterschied ist, können wir nicht sagen, das zweite Werk aber hat
allgemein weniger angesprochen, als das erste, weil es das zweite war. Das
Glaubenssystem des Pessimismus ist bald erschöpft.

Vielleicht wird es mit dem neuen Roman in absteigender Linie fortgehen,
und doch, wenn man ihn an sich betrachtet, so findet sich mich hier ein so reicher
Schatz an feine" Beobachtungen, daß er ein ernstes Studium verdient. Wir
haben schon angedeutet, daß der Dichter sich diesmal auf das historische Gebiet
begeben hat. Der Roman beginnt mit dem Jahre und endigt 1718, 'er
spielt also in der Zeit, die anch Bulwer zu seinem "Devcreur," deu Gegenstand
gegeben hat. Mit diesem Werk hat er überhaupt manche Aehnlichkeit. Er ist
gleichfalls eine Familiengeschichte, auf welche die öffentlichen Verhältnisse nur von
ferne einwirken. In den eigentlichen historischen Schilderungen ist Thackeray nicht
glücklich gewesen, er erzählt viel zu hastig, zu fragmentarisch und zerstreut, um
unser Verständniß, geschweige denn unser Interesse zu erregen. Wenn wir
solche Schilderungen lesen, so tritt uns die Größe W. Scott's recht lebhaft vor
Angen. Dagegen ist in den individuellen Geschichten ein großer Neiz. Zwar
wiederhole" sich auch hier die alten Physiognomien, wir treffen die alten Be¬
kannten aus Vanlt^-rir alle wieder an, Rebekka und Amalie, Dobbin und
George, aber doch in sehr interessanten Variationen und mit einer weit großem
Noblesse ausgeführt. In den Nebenfiguren haben wir, wie immer bei Thackeray,
eine Reihe kleiner Meisterstücke. Vor allem Andern hinreißend ist aber die Dar¬
stellung einer Leidenschaft; sie ist in so feinen Zügen und doch mit einer solchen
Gluth ausgeführt, daß die ganze englische Literatur seit Shakespeare nicht ihres
Gleichen hat, und daß die französischen Gemälde ähnlicher Art grob und plump
dagegen aussehen. Hier ist auch die Manier deö Dichters, mehr anzudeuten, als
auszuführen, ganz angebracht, denn die beabsichtigte Wirkung wird doch völlig
erreicht. Es ist die gewaltige Sprache der Natur, von einem poetischen Sinn
aufgefaßt und verklärt. Und doch macht der Schluß eiuen noch viel unbefrie¬
digendem Eindruck, als selbst der von V-mit^zur. Erst ganz am Ende ver¬
sinkt das Weib, welches die Stelle Rebekka's einnimmt, in der wir zwar
eine gewisse Perversität der Anlage erkannten, aber doch auch einen gewissen
Adel der Gesinnung, der sie vor schlimmeren Abwegen zu bewahren schien,
plötzlich, ganz unvorbereitet, ganz unmotivirr, ganz beiläufig in einen Schlamm,
der uns mit Ekel erfüllt. Fast eben so schlimm ist die Auflösung jenes andern
Verhältnisses, obgleich dem Anschein nach eine günstige. Zu Anfang des
Romans ist der Held zwölf Jahre alt, seine Beschützerin die Mutter zweier
Kinder, von denen das eine wenigstens fünf Jahre zählt. Er wird von ihr
erzogen, und es entspinnt sich jenes zarte Verhältniß, das wir oben angedeutet
haben. Ihr Gemahl wird erschlagen, "ach längerer Abwesenheit sieht ihr Schützling


Gewürze abgestumpft. Daß in der That zwischen „Vanil^an'" und „l'lmäonnis"
ein erheblicher Unterschied ist, können wir nicht sagen, das zweite Werk aber hat
allgemein weniger angesprochen, als das erste, weil es das zweite war. Das
Glaubenssystem des Pessimismus ist bald erschöpft.

Vielleicht wird es mit dem neuen Roman in absteigender Linie fortgehen,
und doch, wenn man ihn an sich betrachtet, so findet sich mich hier ein so reicher
Schatz an feine» Beobachtungen, daß er ein ernstes Studium verdient. Wir
haben schon angedeutet, daß der Dichter sich diesmal auf das historische Gebiet
begeben hat. Der Roman beginnt mit dem Jahre und endigt 1718, 'er
spielt also in der Zeit, die anch Bulwer zu seinem „Devcreur," deu Gegenstand
gegeben hat. Mit diesem Werk hat er überhaupt manche Aehnlichkeit. Er ist
gleichfalls eine Familiengeschichte, auf welche die öffentlichen Verhältnisse nur von
ferne einwirken. In den eigentlichen historischen Schilderungen ist Thackeray nicht
glücklich gewesen, er erzählt viel zu hastig, zu fragmentarisch und zerstreut, um
unser Verständniß, geschweige denn unser Interesse zu erregen. Wenn wir
solche Schilderungen lesen, so tritt uns die Größe W. Scott's recht lebhaft vor
Angen. Dagegen ist in den individuellen Geschichten ein großer Neiz. Zwar
wiederhole« sich auch hier die alten Physiognomien, wir treffen die alten Be¬
kannten aus Vanlt^-rir alle wieder an, Rebekka und Amalie, Dobbin und
George, aber doch in sehr interessanten Variationen und mit einer weit großem
Noblesse ausgeführt. In den Nebenfiguren haben wir, wie immer bei Thackeray,
eine Reihe kleiner Meisterstücke. Vor allem Andern hinreißend ist aber die Dar¬
stellung einer Leidenschaft; sie ist in so feinen Zügen und doch mit einer solchen
Gluth ausgeführt, daß die ganze englische Literatur seit Shakespeare nicht ihres
Gleichen hat, und daß die französischen Gemälde ähnlicher Art grob und plump
dagegen aussehen. Hier ist auch die Manier deö Dichters, mehr anzudeuten, als
auszuführen, ganz angebracht, denn die beabsichtigte Wirkung wird doch völlig
erreicht. Es ist die gewaltige Sprache der Natur, von einem poetischen Sinn
aufgefaßt und verklärt. Und doch macht der Schluß eiuen noch viel unbefrie¬
digendem Eindruck, als selbst der von V-mit^zur. Erst ganz am Ende ver¬
sinkt das Weib, welches die Stelle Rebekka's einnimmt, in der wir zwar
eine gewisse Perversität der Anlage erkannten, aber doch auch einen gewissen
Adel der Gesinnung, der sie vor schlimmeren Abwegen zu bewahren schien,
plötzlich, ganz unvorbereitet, ganz unmotivirr, ganz beiläufig in einen Schlamm,
der uns mit Ekel erfüllt. Fast eben so schlimm ist die Auflösung jenes andern
Verhältnisses, obgleich dem Anschein nach eine günstige. Zu Anfang des
Romans ist der Held zwölf Jahre alt, seine Beschützerin die Mutter zweier
Kinder, von denen das eine wenigstens fünf Jahre zählt. Er wird von ihr
erzogen, und es entspinnt sich jenes zarte Verhältniß, das wir oben angedeutet
haben. Ihr Gemahl wird erschlagen, »ach längerer Abwesenheit sieht ihr Schützling


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/56>, abgerufen am 24.07.2024.