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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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der fast enthusiastischen Erregung, mit der man die Kunde von revolutionairen
Bewegungen in Italien ciufgeiwimneu hatte. Nur ein Glied aus der langen und
dicht geschaffenen Kette von Ereignissen, wie sie das Jahr 1848 mit sich brachte,
wäre von Nöthen, um ihr momentan ein wenig Luft zu machen. In den
Staatsmännern zu Stambul lebte, während der europäischen Revolutions-Krisen,
das Gefühl, daß diese Periode die beste zum Fvrtbetrieb der Regeneration des
Reiches sei. Aber man hat sie schlecht benutzt! "Ja!" ruft Mohammed Ali-
Pascha aus: "wenn ich bereits damals Grvßvezicr gewesen!" Aber es ist gewiß,
daß wir kaum andere Dinge, wie uuter Reschid'ö Regime, erlebt haben wurden.
Am meisten für diese Ansicht sprechen die Intriguen, welche im Schoße des
Ministeriums, wie im Serail, täglich um angesponnen werde". Sie wissen be¬
reits, daß man vorlängst beschlossen hatte, sich der fanariotischcn Griechen, (so
genannt von einem Stadttheil Stambuls, dem Fanar) im Staatsdienst zu ent¬
ledigen. Zunächst wurden die Fürsten Calimachi und Karadscha, ersterer wegen
Abschlusses der bekannten Staatsanleihe, letzterer wegen Contrahirung einer
Menge schlecht garautirter Privatanlcihen, über die von Berlin aus, hierher
berichtet sein soll, ihrer Gesandschaftsposten entsetzt. Nunmehr hat auch der Ver¬
treter der Pforte zu Loudv", Herr Mussurus, seine Abberufung erhalte". Wich¬
tiger als diese kleinen Ausscheidungen ist die Nachricht, daß Fnad Effendi nener-
dings wiederum Anstalten zur ttebersiedelnng nach Paris macht. Ihm würde in
solchem Falle der Posten von Wcly-Pascha (bisher Gesandter am französischen
Hofe) zufallen, indeß dieser sich nach London begeben würde, um den des Herrn
MussnrnS einzunehmen. Daß man den geschickten Minister der auswärtigen An¬
gelegenheiten nach der französischen Hauptstadt zu senden beabsichtigt, findet hier
eine doppelte Auslegung. Die Einen sind geneigt, darin nur eine Cabale
gegen den vormaligen Kollegen Ali- und Neschid-Paschas zu erkennen, den man
jetzt, nachdem mit Oestreich contrcchirt ist und seine Beihilfe an hiesiger Stelle
entbehrlich sei, aus dem Kreise des Cabinets bannen wolle. Andere dagegen,
welche die Sachlage ernster nehmen "ut die Unterhandlungen des Grafen Lei¬
ningen lediglich als die Einleitung anderweitiger Schritte Oestreichs und Ru߬
lands betrachten, wollen in der beabsichtigten Entsendung des türkischen Staats¬
mannes par oxeölwiu'.u das Bekenntniß des ottomanischen Ministeriums erblicken,
daß die Entscheidung über die Geschicke der Pforte gegenwärtig mehr in den bei¬
den großen Hauptstädten des europäischen Westen, Paris und London, wie in
Stambul selber zu suchen sei. Sicher ist es, daß man, in Anbetracht der
Dinge, die da kommen werden, die Blicke Vertrauens- und sehnsuchtsvoll aus
Frankreich und England gewendet hat.

Wenn Fnad Effendi wirklich nach Paris gehen sollte, so würde seine Stel-
lung, dem allgemeinen Vermuthen nach, der Art sein, daß er gleichzeitig die
Beziehungen der Pforte zu England zu übersehen, und in dieser Hinsicht Wely-


der fast enthusiastischen Erregung, mit der man die Kunde von revolutionairen
Bewegungen in Italien ciufgeiwimneu hatte. Nur ein Glied aus der langen und
dicht geschaffenen Kette von Ereignissen, wie sie das Jahr 1848 mit sich brachte,
wäre von Nöthen, um ihr momentan ein wenig Luft zu machen. In den
Staatsmännern zu Stambul lebte, während der europäischen Revolutions-Krisen,
das Gefühl, daß diese Periode die beste zum Fvrtbetrieb der Regeneration des
Reiches sei. Aber man hat sie schlecht benutzt! „Ja!" ruft Mohammed Ali-
Pascha aus: „wenn ich bereits damals Grvßvezicr gewesen!" Aber es ist gewiß,
daß wir kaum andere Dinge, wie uuter Reschid'ö Regime, erlebt haben wurden.
Am meisten für diese Ansicht sprechen die Intriguen, welche im Schoße des
Ministeriums, wie im Serail, täglich um angesponnen werde». Sie wissen be¬
reits, daß man vorlängst beschlossen hatte, sich der fanariotischcn Griechen, (so
genannt von einem Stadttheil Stambuls, dem Fanar) im Staatsdienst zu ent¬
ledigen. Zunächst wurden die Fürsten Calimachi und Karadscha, ersterer wegen
Abschlusses der bekannten Staatsanleihe, letzterer wegen Contrahirung einer
Menge schlecht garautirter Privatanlcihen, über die von Berlin aus, hierher
berichtet sein soll, ihrer Gesandschaftsposten entsetzt. Nunmehr hat auch der Ver¬
treter der Pforte zu Loudv», Herr Mussurus, seine Abberufung erhalte». Wich¬
tiger als diese kleinen Ausscheidungen ist die Nachricht, daß Fnad Effendi nener-
dings wiederum Anstalten zur ttebersiedelnng nach Paris macht. Ihm würde in
solchem Falle der Posten von Wcly-Pascha (bisher Gesandter am französischen
Hofe) zufallen, indeß dieser sich nach London begeben würde, um den des Herrn
MussnrnS einzunehmen. Daß man den geschickten Minister der auswärtigen An¬
gelegenheiten nach der französischen Hauptstadt zu senden beabsichtigt, findet hier
eine doppelte Auslegung. Die Einen sind geneigt, darin nur eine Cabale
gegen den vormaligen Kollegen Ali- und Neschid-Paschas zu erkennen, den man
jetzt, nachdem mit Oestreich contrcchirt ist und seine Beihilfe an hiesiger Stelle
entbehrlich sei, aus dem Kreise des Cabinets bannen wolle. Andere dagegen,
welche die Sachlage ernster nehmen »ut die Unterhandlungen des Grafen Lei¬
ningen lediglich als die Einleitung anderweitiger Schritte Oestreichs und Ru߬
lands betrachten, wollen in der beabsichtigten Entsendung des türkischen Staats¬
mannes par oxeölwiu'.u das Bekenntniß des ottomanischen Ministeriums erblicken,
daß die Entscheidung über die Geschicke der Pforte gegenwärtig mehr in den bei¬
den großen Hauptstädten des europäischen Westen, Paris und London, wie in
Stambul selber zu suchen sei. Sicher ist es, daß man, in Anbetracht der
Dinge, die da kommen werden, die Blicke Vertrauens- und sehnsuchtsvoll aus
Frankreich und England gewendet hat.

Wenn Fnad Effendi wirklich nach Paris gehen sollte, so würde seine Stel-
lung, dem allgemeinen Vermuthen nach, der Art sein, daß er gleichzeitig die
Beziehungen der Pforte zu England zu übersehen, und in dieser Hinsicht Wely-


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[0519] der fast enthusiastischen Erregung, mit der man die Kunde von revolutionairen Bewegungen in Italien ciufgeiwimneu hatte. Nur ein Glied aus der langen und dicht geschaffenen Kette von Ereignissen, wie sie das Jahr 1848 mit sich brachte, wäre von Nöthen, um ihr momentan ein wenig Luft zu machen. In den Staatsmännern zu Stambul lebte, während der europäischen Revolutions-Krisen, das Gefühl, daß diese Periode die beste zum Fvrtbetrieb der Regeneration des Reiches sei. Aber man hat sie schlecht benutzt! „Ja!" ruft Mohammed Ali- Pascha aus: „wenn ich bereits damals Grvßvezicr gewesen!" Aber es ist gewiß, daß wir kaum andere Dinge, wie uuter Reschid'ö Regime, erlebt haben wurden. Am meisten für diese Ansicht sprechen die Intriguen, welche im Schoße des Ministeriums, wie im Serail, täglich um angesponnen werde». Sie wissen be¬ reits, daß man vorlängst beschlossen hatte, sich der fanariotischcn Griechen, (so genannt von einem Stadttheil Stambuls, dem Fanar) im Staatsdienst zu ent¬ ledigen. Zunächst wurden die Fürsten Calimachi und Karadscha, ersterer wegen Abschlusses der bekannten Staatsanleihe, letzterer wegen Contrahirung einer Menge schlecht garautirter Privatanlcihen, über die von Berlin aus, hierher berichtet sein soll, ihrer Gesandschaftsposten entsetzt. Nunmehr hat auch der Ver¬ treter der Pforte zu Loudv», Herr Mussurus, seine Abberufung erhalte». Wich¬ tiger als diese kleinen Ausscheidungen ist die Nachricht, daß Fnad Effendi nener- dings wiederum Anstalten zur ttebersiedelnng nach Paris macht. Ihm würde in solchem Falle der Posten von Wcly-Pascha (bisher Gesandter am französischen Hofe) zufallen, indeß dieser sich nach London begeben würde, um den des Herrn MussnrnS einzunehmen. Daß man den geschickten Minister der auswärtigen An¬ gelegenheiten nach der französischen Hauptstadt zu senden beabsichtigt, findet hier eine doppelte Auslegung. Die Einen sind geneigt, darin nur eine Cabale gegen den vormaligen Kollegen Ali- und Neschid-Paschas zu erkennen, den man jetzt, nachdem mit Oestreich contrcchirt ist und seine Beihilfe an hiesiger Stelle entbehrlich sei, aus dem Kreise des Cabinets bannen wolle. Andere dagegen, welche die Sachlage ernster nehmen »ut die Unterhandlungen des Grafen Lei¬ ningen lediglich als die Einleitung anderweitiger Schritte Oestreichs und Ru߬ lands betrachten, wollen in der beabsichtigten Entsendung des türkischen Staats¬ mannes par oxeölwiu'.u das Bekenntniß des ottomanischen Ministeriums erblicken, daß die Entscheidung über die Geschicke der Pforte gegenwärtig mehr in den bei¬ den großen Hauptstädten des europäischen Westen, Paris und London, wie in Stambul selber zu suchen sei. Sicher ist es, daß man, in Anbetracht der Dinge, die da kommen werden, die Blicke Vertrauens- und sehnsuchtsvoll aus Frankreich und England gewendet hat. Wenn Fnad Effendi wirklich nach Paris gehen sollte, so würde seine Stel- lung, dem allgemeinen Vermuthen nach, der Art sein, daß er gleichzeitig die Beziehungen der Pforte zu England zu übersehen, und in dieser Hinsicht Wely-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/519>, abgerufen am 24.07.2024.