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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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um das schwache Menschenkind in Versuchung und Stricke z" führen, erkannt hat,
ja es bindet pedantisch genug seine Richter an Gesetze, anstatt einzusehen, daß
über dem Gesetz die Staatsnothwcndigkeit stehen muß. Nur das eine Gute hat
diese Pedanterie, daß sie streng unparteiisch ist, deun nnter ihrem Schutze haben
Fürsten und Demagogen, Minister mit hochfürstlichen und mit Ouvriernamen
während der politischen Unwetter in ihrer Heimath geweilt, und wenn jetzt Kaiser
Napoleon UI. zürnt, daß seine Gegner ein Asyl in London finden, so sollte
Ludwig Napoleon zuweilen daran denken, daß er von demselben London ans nach
Boulogne unter Segel gegangen ist, um einen Manu vom Throne zu stürzen,
der sich ebenfalls für den gottbernfenen Retter der Gesellschaft hielt. Daß vor
Ruge und Kinkel auch einige andere deutsche Flüchtlinge entgegengesetzter politi¬
scher Meinung eine Zuflucht in London fanden, dürsten wir wohl in Erinnerung
zu bringen wagen. Einschreiten kann die englische Regierung nur gegen Flücht¬
linge, welche innerhalb ihrer Jurisdiction gegen befreundete Staaten conspiriren
oder zum Kriege rüsten; der Beweis muß aber so geliefert werden, daß eine
englische Jury darauf ihr schuldig aussprechen kann. Dabei darf mau nicht
vergessen, daß dem englischen Untersuchungsrichter alle Mittel entzogen sind, dem
Verdächtigen cvmprvmittirende Geständnisse abzulocken, und daß er rein darauf
angewiesen ist, ihm den Beweis der Schuld durch Zeugen zu liefern, und daß
die Erfahrungen dreier Jahrhunderte -- Erfahrungen, die mau auf dem Conti-
nent wohl gemacht, aber nicht benutzt hat -- dem Engländer die Nothwendig¬
keit gelehrt haben, den wegen Staatsverbrechen Angeklagten mit doppelten und
dreifache" Garantien gegen den servilen Diensteifer seiner Ankläger und selten
Richter zu schützen. Das Verlangen eines außerordentlichen Verfahrens gegen
Mazzini und audere Demagogen ist daher keine persönliche, sondern eine prin¬
cipielle Frage, welche im innigsten Zusammenhange mit den verfassungsmäßigen
Rechten jedes Engländers steht.

Allen, denen Gesetz und Ordnung ein Dorn im Auge sind, weil sie sich
ihren augenblicklichen politische" Bedürfnissen nicht unterordnen, wird es eine
wahre Jrende sein, wenn wir anch einmal von den Schwämmen und Pilzen
sprechen, die sich an dem festgefugten Staatswesen England's angesetzt haben;
wir nennen z. B. die Wahlcvrrnption. Das gegenwärtige Parlament giebt
Gelegenheit zu interessanten Einblicken in diese Mißbräuche. Bekanntlich ist es
unter dem conservativen Ministerium Derby gewählt, und die conservative Partei
fühlte das dringendste Bedürfniß nach einer entschiedenen Majorität, denn auch sie
spürte in sich den Beruf zu der Weltmission "den Wogen der Demokratie einen
Damm entgegenzusetzen." Da aber bekanntlich das sündige Menschengeschlecht
dem Guten weniger leicht zugänglich ist als dem Bösen, so glaubte sie ihren guten
Grundsätzen durch Hülfe ihrer goldnen Guineen Eingang bei den Wählern ver¬
schaffen zu müssen, und brachte dieses Mittel so eifrig in Anwendung, daß nicht


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um das schwache Menschenkind in Versuchung und Stricke z» führen, erkannt hat,
ja es bindet pedantisch genug seine Richter an Gesetze, anstatt einzusehen, daß
über dem Gesetz die Staatsnothwcndigkeit stehen muß. Nur das eine Gute hat
diese Pedanterie, daß sie streng unparteiisch ist, deun nnter ihrem Schutze haben
Fürsten und Demagogen, Minister mit hochfürstlichen und mit Ouvriernamen
während der politischen Unwetter in ihrer Heimath geweilt, und wenn jetzt Kaiser
Napoleon UI. zürnt, daß seine Gegner ein Asyl in London finden, so sollte
Ludwig Napoleon zuweilen daran denken, daß er von demselben London ans nach
Boulogne unter Segel gegangen ist, um einen Manu vom Throne zu stürzen,
der sich ebenfalls für den gottbernfenen Retter der Gesellschaft hielt. Daß vor
Ruge und Kinkel auch einige andere deutsche Flüchtlinge entgegengesetzter politi¬
scher Meinung eine Zuflucht in London fanden, dürsten wir wohl in Erinnerung
zu bringen wagen. Einschreiten kann die englische Regierung nur gegen Flücht¬
linge, welche innerhalb ihrer Jurisdiction gegen befreundete Staaten conspiriren
oder zum Kriege rüsten; der Beweis muß aber so geliefert werden, daß eine
englische Jury darauf ihr schuldig aussprechen kann. Dabei darf mau nicht
vergessen, daß dem englischen Untersuchungsrichter alle Mittel entzogen sind, dem
Verdächtigen cvmprvmittirende Geständnisse abzulocken, und daß er rein darauf
angewiesen ist, ihm den Beweis der Schuld durch Zeugen zu liefern, und daß
die Erfahrungen dreier Jahrhunderte — Erfahrungen, die mau auf dem Conti-
nent wohl gemacht, aber nicht benutzt hat — dem Engländer die Nothwendig¬
keit gelehrt haben, den wegen Staatsverbrechen Angeklagten mit doppelten und
dreifache« Garantien gegen den servilen Diensteifer seiner Ankläger und selten
Richter zu schützen. Das Verlangen eines außerordentlichen Verfahrens gegen
Mazzini und audere Demagogen ist daher keine persönliche, sondern eine prin¬
cipielle Frage, welche im innigsten Zusammenhange mit den verfassungsmäßigen
Rechten jedes Engländers steht.

Allen, denen Gesetz und Ordnung ein Dorn im Auge sind, weil sie sich
ihren augenblicklichen politische» Bedürfnissen nicht unterordnen, wird es eine
wahre Jrende sein, wenn wir anch einmal von den Schwämmen und Pilzen
sprechen, die sich an dem festgefugten Staatswesen England's angesetzt haben;
wir nennen z. B. die Wahlcvrrnption. Das gegenwärtige Parlament giebt
Gelegenheit zu interessanten Einblicken in diese Mißbräuche. Bekanntlich ist es
unter dem conservativen Ministerium Derby gewählt, und die conservative Partei
fühlte das dringendste Bedürfniß nach einer entschiedenen Majorität, denn auch sie
spürte in sich den Beruf zu der Weltmission „den Wogen der Demokratie einen
Damm entgegenzusetzen." Da aber bekanntlich das sündige Menschengeschlecht
dem Guten weniger leicht zugänglich ist als dem Bösen, so glaubte sie ihren guten
Grundsätzen durch Hülfe ihrer goldnen Guineen Eingang bei den Wählern ver¬
schaffen zu müssen, und brachte dieses Mittel so eifrig in Anwendung, daß nicht


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[0483] um das schwache Menschenkind in Versuchung und Stricke z» führen, erkannt hat, ja es bindet pedantisch genug seine Richter an Gesetze, anstatt einzusehen, daß über dem Gesetz die Staatsnothwcndigkeit stehen muß. Nur das eine Gute hat diese Pedanterie, daß sie streng unparteiisch ist, deun nnter ihrem Schutze haben Fürsten und Demagogen, Minister mit hochfürstlichen und mit Ouvriernamen während der politischen Unwetter in ihrer Heimath geweilt, und wenn jetzt Kaiser Napoleon UI. zürnt, daß seine Gegner ein Asyl in London finden, so sollte Ludwig Napoleon zuweilen daran denken, daß er von demselben London ans nach Boulogne unter Segel gegangen ist, um einen Manu vom Throne zu stürzen, der sich ebenfalls für den gottbernfenen Retter der Gesellschaft hielt. Daß vor Ruge und Kinkel auch einige andere deutsche Flüchtlinge entgegengesetzter politi¬ scher Meinung eine Zuflucht in London fanden, dürsten wir wohl in Erinnerung zu bringen wagen. Einschreiten kann die englische Regierung nur gegen Flücht¬ linge, welche innerhalb ihrer Jurisdiction gegen befreundete Staaten conspiriren oder zum Kriege rüsten; der Beweis muß aber so geliefert werden, daß eine englische Jury darauf ihr schuldig aussprechen kann. Dabei darf mau nicht vergessen, daß dem englischen Untersuchungsrichter alle Mittel entzogen sind, dem Verdächtigen cvmprvmittirende Geständnisse abzulocken, und daß er rein darauf angewiesen ist, ihm den Beweis der Schuld durch Zeugen zu liefern, und daß die Erfahrungen dreier Jahrhunderte — Erfahrungen, die mau auf dem Conti- nent wohl gemacht, aber nicht benutzt hat — dem Engländer die Nothwendig¬ keit gelehrt haben, den wegen Staatsverbrechen Angeklagten mit doppelten und dreifache« Garantien gegen den servilen Diensteifer seiner Ankläger und selten Richter zu schützen. Das Verlangen eines außerordentlichen Verfahrens gegen Mazzini und audere Demagogen ist daher keine persönliche, sondern eine prin¬ cipielle Frage, welche im innigsten Zusammenhange mit den verfassungsmäßigen Rechten jedes Engländers steht. Allen, denen Gesetz und Ordnung ein Dorn im Auge sind, weil sie sich ihren augenblicklichen politische» Bedürfnissen nicht unterordnen, wird es eine wahre Jrende sein, wenn wir anch einmal von den Schwämmen und Pilzen sprechen, die sich an dem festgefugten Staatswesen England's angesetzt haben; wir nennen z. B. die Wahlcvrrnption. Das gegenwärtige Parlament giebt Gelegenheit zu interessanten Einblicken in diese Mißbräuche. Bekanntlich ist es unter dem conservativen Ministerium Derby gewählt, und die conservative Partei fühlte das dringendste Bedürfniß nach einer entschiedenen Majorität, denn auch sie spürte in sich den Beruf zu der Weltmission „den Wogen der Demokratie einen Damm entgegenzusetzen." Da aber bekanntlich das sündige Menschengeschlecht dem Guten weniger leicht zugänglich ist als dem Bösen, so glaubte sie ihren guten Grundsätzen durch Hülfe ihrer goldnen Guineen Eingang bei den Wählern ver¬ schaffen zu müssen, und brachte dieses Mittel so eifrig in Anwendung, daß nicht 60"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/483>, abgerufen am 04.07.2024.