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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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man nämlich die in der Verfassung selbst statnirten Ausnahmen um der allgemeinen
Grundsätze willen ignoriren zu dürfen glaubt. Das Ministerium hat nämlich
schlechtweg die Erlaubniß zur gerichtlichen Verfolgung des Abg. Alte"dove" nach¬
gesucht, unbekümmert darum, daß Art. 8t der Verf. in Betreff der Abgeordneten
ausdrücklich bestimmt: "Sie können für ihre Abstimmungen in der Kammer
niemals, für ihre darin ausgesprochenen Meinungen nur innerhalb der Kammer
auf den Grund der Geschäftsordnung (Art. 78) zur Rechenschaft gezogen werden."
Die Geschäftsordnung, die von der Kammer nach Art. 78 vollständig antoiiomisch
festgestellt wird, statuirt eine gerichtliche Verfolgung der Abgeordneten für ihre in
der Kammer geäußerten Meinungen schon deßhalb nicht, weil verfassungsmäßig
die Abgeordneten in dieser Beziehung "nnr innerhalb der Kammer" zur Rechen¬
schaft gezogen werden dürfen. Aber Art. i bestimmt: "Alle Preußen sind vor
dem Gesetze gleich," -- und wahrscheinlich ist es dieser allgemeine Grundsatz, vor
dem -- der Meinung des Ministeriums zufolge -- jene ausdrückliche Bestimmung des
Art. 8i verstummen muß. Nu" hat aber die Anforderung des Ministeriums selbst
uuter den Mitglieder" der Rechten großen Anstoß erregt; man sühlt, daß es unzulässig
ist, ein in der Hitze des parlamentarischen Kampfs gesprochenes Wort, ein an dem Orte
gesprochenes Wort, der zur politischen Erörterung geradezu bestimmt ist, demselben
Strafgesetz zu unterwerfen, dem ein mit Vorbedacht und ohne gesetzliche Nöthigung
geschriebener Artikel unterliegt; man fühlt, daß es ""gerecht ist, Abgeordnete zur
Vernehmung ihrer Meinungen einzuberufen, sie da"" ihrer Ac"ßer""ge" wegen
gerichtlich z" verfolgen, und doch dem Ministerium das Recht einzuräumen, daß
es die zur Vertheidigung des Angeklagten erforderlichen amtlichen Actenstücke als
Amtsgeheimnisse den Gerichten vorenthalten darf. Es ist also vorauszusehen,
daß nur eine Minorität, ans de" pu'tout-Mimsterielleu bestehend, bereit sein
wird, die Genehmigung zur Anklage des Abg. Aldenhovcn zu ertheile". Allein
nach der Auffassung, welche der Forderung der Regierung zum Grunde liegt, ist
die Sache damit noch nicht abgethan. Das Ministerium! hält nämlich eine Ver¬
folgung des Abg. Aldenhovcn für zulässig, sobald die Kammer ihre Genehmigung
dazu ertheilt hat; sie stellt also die in der Kammer ausgesprochenen Meinungen
in dieselbe Linie mit den von einem Abgeordneten an irgend einen? andern
Orte verübten Vergehen, "ut wenn die Kammer zur gerichtliche" Verfolgung
eines solche" Vergehens die Ge"chmig""g "icht ertheilt, bleiben die Gerichte
verpflichtet, nach Beendigung der Sitzu"gSpcriode die U"ters"es""g zu eröffne".
Die Consequenz der NegiernngSansicht, daß eine gerichtliche Verfolgung in dem
vorliegenden Falle überhaupt zulässig ist, würde also die sei", daß die Regierung
nach dem Schlüsse der Session bei einem Gerichtshöfe die Bestrafung des Abg.
Aldenhoven uachsnchte. Daun wird sich zeigen, wie es mit der preußischen Justiz
bestellt ist.

Die Verfassungscommission der zweiten Kammer hat den Gesetzentwurf über


man nämlich die in der Verfassung selbst statnirten Ausnahmen um der allgemeinen
Grundsätze willen ignoriren zu dürfen glaubt. Das Ministerium hat nämlich
schlechtweg die Erlaubniß zur gerichtlichen Verfolgung des Abg. Alte»dove» nach¬
gesucht, unbekümmert darum, daß Art. 8t der Verf. in Betreff der Abgeordneten
ausdrücklich bestimmt: „Sie können für ihre Abstimmungen in der Kammer
niemals, für ihre darin ausgesprochenen Meinungen nur innerhalb der Kammer
auf den Grund der Geschäftsordnung (Art. 78) zur Rechenschaft gezogen werden."
Die Geschäftsordnung, die von der Kammer nach Art. 78 vollständig antoiiomisch
festgestellt wird, statuirt eine gerichtliche Verfolgung der Abgeordneten für ihre in
der Kammer geäußerten Meinungen schon deßhalb nicht, weil verfassungsmäßig
die Abgeordneten in dieser Beziehung „nnr innerhalb der Kammer" zur Rechen¬
schaft gezogen werden dürfen. Aber Art. i bestimmt: „Alle Preußen sind vor
dem Gesetze gleich," — und wahrscheinlich ist es dieser allgemeine Grundsatz, vor
dem — der Meinung des Ministeriums zufolge — jene ausdrückliche Bestimmung des
Art. 8i verstummen muß. Nu» hat aber die Anforderung des Ministeriums selbst
uuter den Mitglieder» der Rechten großen Anstoß erregt; man sühlt, daß es unzulässig
ist, ein in der Hitze des parlamentarischen Kampfs gesprochenes Wort, ein an dem Orte
gesprochenes Wort, der zur politischen Erörterung geradezu bestimmt ist, demselben
Strafgesetz zu unterwerfen, dem ein mit Vorbedacht und ohne gesetzliche Nöthigung
geschriebener Artikel unterliegt; man fühlt, daß es »»gerecht ist, Abgeordnete zur
Vernehmung ihrer Meinungen einzuberufen, sie da»» ihrer Ac»ßer»»ge» wegen
gerichtlich z» verfolgen, und doch dem Ministerium das Recht einzuräumen, daß
es die zur Vertheidigung des Angeklagten erforderlichen amtlichen Actenstücke als
Amtsgeheimnisse den Gerichten vorenthalten darf. Es ist also vorauszusehen,
daß nur eine Minorität, ans de» pu'tout-Mimsterielleu bestehend, bereit sein
wird, die Genehmigung zur Anklage des Abg. Aldenhovcn zu ertheile». Allein
nach der Auffassung, welche der Forderung der Regierung zum Grunde liegt, ist
die Sache damit noch nicht abgethan. Das Ministerium! hält nämlich eine Ver¬
folgung des Abg. Aldenhovcn für zulässig, sobald die Kammer ihre Genehmigung
dazu ertheilt hat; sie stellt also die in der Kammer ausgesprochenen Meinungen
in dieselbe Linie mit den von einem Abgeordneten an irgend einen? andern
Orte verübten Vergehen, »ut wenn die Kammer zur gerichtliche» Verfolgung
eines solche» Vergehens die Ge»chmig»»g »icht ertheilt, bleiben die Gerichte
verpflichtet, nach Beendigung der Sitzu»gSpcriode die U»ters»es»»g zu eröffne».
Die Consequenz der NegiernngSansicht, daß eine gerichtliche Verfolgung in dem
vorliegenden Falle überhaupt zulässig ist, würde also die sei», daß die Regierung
nach dem Schlüsse der Session bei einem Gerichtshöfe die Bestrafung des Abg.
Aldenhoven uachsnchte. Daun wird sich zeigen, wie es mit der preußischen Justiz
bestellt ist.

Die Verfassungscommission der zweiten Kammer hat den Gesetzentwurf über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/478>, abgerufen am 04.07.2024.