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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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seiner Macht stände, wie die Grenzen nnn einmal lägen (!!!), Zuzüge von seinem
Gebiete her nach Montenegro hinüber zu hindern.

Das sind genug Thatsachen, um genaue Schlußfolgerungen ziehen zu können.
Oestreich, so viel ist klar, hält den Moment für gekommen, um mit einem that¬
kräftige" Systeme orientalischer Politik ans- und zugleich Nußland gegenüber zu
trete". Aber so wunderbar und eigenthümlich sind die Verhältnisse verschlungen,
daß es in seinem Interesse liegt, diese Macht in den Kreis seiner politische"
Operationen hineinzuziehen, schon um sich derselben wie eines Gegengewichts
gegen die Einmischung des Westens zu bedienen. Und Rußland hat in keiner
Hinsicht ans sich warten lassen.

Diese Macht führte ihrerseits bereits seit acht Monaten äußerst lebhafte
Unterhandlungen am hiesigen Orte. Aber sie waren, im Gegensatz zu den heutigen,
mehr secundärer, vielleicht insbesondere einleitender Natur. Endlich ist man von
den heiligen Stätten zu Jerusalem ans die Berge von Czeruagora übergegangen.

Was Montenegro anlangt, so sind in dieser Angelegenheit die Interesse"
Rußlands allerdings wesentlich andere, als die Oestreichs. Für Rußland ist Czeruagora
vor alleu anderen ein slavischer, uatioualverwandter, in Zukunft vielleicht ihm
zugehöriger Staat, der um seine Unabhängigkeit kämpft. Und dieser Umstand
ergiebt eine ganz andere Norm, rückstchtlich .der Stellung zu ihm für die
Monarchie der Nvmanovs, wie dort für die Habsburger.

Seit drei Tagen trägt man sich hier mit dem Gerücht, die Russen hätten
die Donaufürstenthümer besehe. Ja sie machten Miene, Silistria und Nußpuck
zu occupiren. Wenn diese Nachricht, die durch ein in den hiesigen Hafen
ciugelanfenes russ. Kriegsschiff überbracht worden und bereits am Dienstag
(8. d. Mes.) durch Staatsrath Ogeroff an Fuad Effendi im voraus notificirt worden
sein soll, sich bestätigen sollte, so lieferte die Thatsache den ausgiebigste" Beleg
für meine vorstehende Erörterung. Nach der Conferenz mit Ogeroff ließ Fuad
Effendi den Colonel Rose, Englands Geschäftsträger, um eine Unterredung bitten,
welche im Kvnak (türk. Hans) des auswärtigen Ministers, am 9. d. Mes.
(Mittwoch) Statt fand.

So viel von den, bei der hiesigen Situation in's Spiel kommenden poli¬
tischen Motiven. Nunmehr von jener selbst.

Graf Leiningen ist noch hier; indeß bleibt es in Ungewißheit, ob er nicht
jeden Augenblick abreisen wird. Er ist in innigem Verkehr mit dem russischen
Geschäftsträger, Staatsrath Ogeroff, unterhandelt indeß, wie zu erwarten war,
ganz selbstständig, und man weiß bis jetzt nichts Bestimmtes von Collectivnotcn.
Was darüber gleichwohl erzählt wird, beruht wol nur ans jeder Begründung ent¬
behrenden Gerüchten. Am ü- und V. d. Mes. sind Couriere nach Wien abge¬
fertigt worden, wodurch sich die öffentliche Stimmung ans eine Zeit lang beruhigen


Grenzboten. I. -IM. oj.

seiner Macht stände, wie die Grenzen nnn einmal lägen (!!!), Zuzüge von seinem
Gebiete her nach Montenegro hinüber zu hindern.

Das sind genug Thatsachen, um genaue Schlußfolgerungen ziehen zu können.
Oestreich, so viel ist klar, hält den Moment für gekommen, um mit einem that¬
kräftige» Systeme orientalischer Politik ans- und zugleich Nußland gegenüber zu
trete». Aber so wunderbar und eigenthümlich sind die Verhältnisse verschlungen,
daß es in seinem Interesse liegt, diese Macht in den Kreis seiner politische»
Operationen hineinzuziehen, schon um sich derselben wie eines Gegengewichts
gegen die Einmischung des Westens zu bedienen. Und Rußland hat in keiner
Hinsicht ans sich warten lassen.

Diese Macht führte ihrerseits bereits seit acht Monaten äußerst lebhafte
Unterhandlungen am hiesigen Orte. Aber sie waren, im Gegensatz zu den heutigen,
mehr secundärer, vielleicht insbesondere einleitender Natur. Endlich ist man von
den heiligen Stätten zu Jerusalem ans die Berge von Czeruagora übergegangen.

Was Montenegro anlangt, so sind in dieser Angelegenheit die Interesse»
Rußlands allerdings wesentlich andere, als die Oestreichs. Für Rußland ist Czeruagora
vor alleu anderen ein slavischer, uatioualverwandter, in Zukunft vielleicht ihm
zugehöriger Staat, der um seine Unabhängigkeit kämpft. Und dieser Umstand
ergiebt eine ganz andere Norm, rückstchtlich .der Stellung zu ihm für die
Monarchie der Nvmanovs, wie dort für die Habsburger.

Seit drei Tagen trägt man sich hier mit dem Gerücht, die Russen hätten
die Donaufürstenthümer besehe. Ja sie machten Miene, Silistria und Nußpuck
zu occupiren. Wenn diese Nachricht, die durch ein in den hiesigen Hafen
ciugelanfenes russ. Kriegsschiff überbracht worden und bereits am Dienstag
(8. d. Mes.) durch Staatsrath Ogeroff an Fuad Effendi im voraus notificirt worden
sein soll, sich bestätigen sollte, so lieferte die Thatsache den ausgiebigste» Beleg
für meine vorstehende Erörterung. Nach der Conferenz mit Ogeroff ließ Fuad
Effendi den Colonel Rose, Englands Geschäftsträger, um eine Unterredung bitten,
welche im Kvnak (türk. Hans) des auswärtigen Ministers, am 9. d. Mes.
(Mittwoch) Statt fand.

So viel von den, bei der hiesigen Situation in's Spiel kommenden poli¬
tischen Motiven. Nunmehr von jener selbst.

Graf Leiningen ist noch hier; indeß bleibt es in Ungewißheit, ob er nicht
jeden Augenblick abreisen wird. Er ist in innigem Verkehr mit dem russischen
Geschäftsträger, Staatsrath Ogeroff, unterhandelt indeß, wie zu erwarten war,
ganz selbstständig, und man weiß bis jetzt nichts Bestimmtes von Collectivnotcn.
Was darüber gleichwohl erzählt wird, beruht wol nur ans jeder Begründung ent¬
behrenden Gerüchten. Am ü- und V. d. Mes. sind Couriere nach Wien abge¬
fertigt worden, wodurch sich die öffentliche Stimmung ans eine Zeit lang beruhigen


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[0433] seiner Macht stände, wie die Grenzen nnn einmal lägen (!!!), Zuzüge von seinem Gebiete her nach Montenegro hinüber zu hindern. Das sind genug Thatsachen, um genaue Schlußfolgerungen ziehen zu können. Oestreich, so viel ist klar, hält den Moment für gekommen, um mit einem that¬ kräftige» Systeme orientalischer Politik ans- und zugleich Nußland gegenüber zu trete». Aber so wunderbar und eigenthümlich sind die Verhältnisse verschlungen, daß es in seinem Interesse liegt, diese Macht in den Kreis seiner politische» Operationen hineinzuziehen, schon um sich derselben wie eines Gegengewichts gegen die Einmischung des Westens zu bedienen. Und Rußland hat in keiner Hinsicht ans sich warten lassen. Diese Macht führte ihrerseits bereits seit acht Monaten äußerst lebhafte Unterhandlungen am hiesigen Orte. Aber sie waren, im Gegensatz zu den heutigen, mehr secundärer, vielleicht insbesondere einleitender Natur. Endlich ist man von den heiligen Stätten zu Jerusalem ans die Berge von Czeruagora übergegangen. Was Montenegro anlangt, so sind in dieser Angelegenheit die Interesse» Rußlands allerdings wesentlich andere, als die Oestreichs. Für Rußland ist Czeruagora vor alleu anderen ein slavischer, uatioualverwandter, in Zukunft vielleicht ihm zugehöriger Staat, der um seine Unabhängigkeit kämpft. Und dieser Umstand ergiebt eine ganz andere Norm, rückstchtlich .der Stellung zu ihm für die Monarchie der Nvmanovs, wie dort für die Habsburger. Seit drei Tagen trägt man sich hier mit dem Gerücht, die Russen hätten die Donaufürstenthümer besehe. Ja sie machten Miene, Silistria und Nußpuck zu occupiren. Wenn diese Nachricht, die durch ein in den hiesigen Hafen ciugelanfenes russ. Kriegsschiff überbracht worden und bereits am Dienstag (8. d. Mes.) durch Staatsrath Ogeroff an Fuad Effendi im voraus notificirt worden sein soll, sich bestätigen sollte, so lieferte die Thatsache den ausgiebigste» Beleg für meine vorstehende Erörterung. Nach der Conferenz mit Ogeroff ließ Fuad Effendi den Colonel Rose, Englands Geschäftsträger, um eine Unterredung bitten, welche im Kvnak (türk. Hans) des auswärtigen Ministers, am 9. d. Mes. (Mittwoch) Statt fand. So viel von den, bei der hiesigen Situation in's Spiel kommenden poli¬ tischen Motiven. Nunmehr von jener selbst. Graf Leiningen ist noch hier; indeß bleibt es in Ungewißheit, ob er nicht jeden Augenblick abreisen wird. Er ist in innigem Verkehr mit dem russischen Geschäftsträger, Staatsrath Ogeroff, unterhandelt indeß, wie zu erwarten war, ganz selbstständig, und man weiß bis jetzt nichts Bestimmtes von Collectivnotcn. Was darüber gleichwohl erzählt wird, beruht wol nur ans jeder Begründung ent¬ behrenden Gerüchten. Am ü- und V. d. Mes. sind Couriere nach Wien abge¬ fertigt worden, wodurch sich die öffentliche Stimmung ans eine Zeit lang beruhigen Grenzboten. I. -IM. oj.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/433>, abgerufen am 24.07.2024.