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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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nicht, seine Freunde hielten den Augenblick noch nicht für passend. Die Herren
Laity und Pcrsigny, als Unruhestifter verhaftet, aber sogleich wieder entlassen
von einer Regierung, der jede Art von Gewalt widerstrebte, waren unmittelbar
nach dem Votum nach London gereist, um dem Prinzen dessen Sinn und Trag¬
weite ja genau auseinanderzusetzen. Dieses Votum war ihrer Ansicht zufolge blos
ein Act der Opposition gegen den Vvllziehuugsausschuß; mau würde sich täu¬
schen, darin einen Ausdruck von Sympathie für Louis Napoleon sehen zu wollen.
Die große Majorität der Versammlung, sagten diese eifrigen Bonapartisten, sei
noch entschieden republikanisch gesinnt. Die Rechte schiene in der That bereits
zum Augriffe bereit, allein dies geschähe unter dem Einflüsse der Herren Falloux,
Thiers und Montalembert in einem dynastischen Interesse. Der Prinz Louis
hätte nur eine untergeordnete Stellung, wenn er in eine so gestimmte Versamm¬
lung träte. Er würde daselbst als wenig gefährlich geduldet, also vernachlässigt
werden. Entweder begänne er einen frühzeitige,: Kampf, um besiegt zu werden,
oder er würde sich stets schweigend verhalten, unter der Menge von Volks¬
vertretern sich verlieren und unmerklich um sein Blendwerk kommen. Jeder seiner
Stimmzettel würde gedeutet und glossirt werden; er böte seinen Feinden tausend
Vorwande. Louis Bonaparte begriff die Nichtigkeit dieser Rathschläge. Er fühlte
keinerlei Rednertalent, keinerlei Begeisterung, keine Bewegung in sich, die geeig¬
net wären, eine Versanuulnng hinzureißen. Er sah sich übrigens die Volkshaufen
zuströmen und mir deu Schwierigkeiten anwachsen; Alles rieth ihm zu temporisiren;
er richtete daher an den Präsidenten der Nationalversammlung folgendes Schrei¬
ben, das in der Sitzung vom 1ö. Juni verlesen worden:

"Herc Präsident, Ich war im Begriffe abzureisen und mich an meinen
Posten zu begeben, als ich erfuhr, daß meine Wahl bedauernswerthen Unruhen
und unheilvollen Irrthümern zum Vorwande diene. Ich habe nicht die Ehre
gesucht, Volksvertreter zu werden, weil ich die schmählichen Verdächtigungen
kannte, deren Gegenstand ich bin. Noch weniger strebte ich die Gewalt an.
Wenn das Volk mir Pflichten auferlegte, würde ich selbe zu erfülle" wissen;
aber ich weise Alle von mir zurück, die mir Absichten zuschreiben, die ich nicht
hege. Mein Name ist ein Symbol von Ordnung, Nationalität und Ruhm, ich
würde ita mit dem lebhaftesten Schmerze zur Vermehrung der Unruhen und
Spaltungen des Vaterlandes dienen scheu. Um ein solches Unglück zu vermeiden,
würde ich lieber in der Verbannung bleiben. Ich bin bereit, Alles für das Glück
Frankreichs zu opfern,"

Dieser Brief verursachte in der Nationalversammlung eine unangenehme
Wirkung. Er drückte seine Entsagung in einem eigenthümlich hochmüthigen Tone
aus. General Cavaignac hob die bedeutungsvolle Umgehung des Wortes Re¬
publik hervor. Die H. H. Aubray Thouret, Banne, David (von Angers) lenkten


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nicht, seine Freunde hielten den Augenblick noch nicht für passend. Die Herren
Laity und Pcrsigny, als Unruhestifter verhaftet, aber sogleich wieder entlassen
von einer Regierung, der jede Art von Gewalt widerstrebte, waren unmittelbar
nach dem Votum nach London gereist, um dem Prinzen dessen Sinn und Trag¬
weite ja genau auseinanderzusetzen. Dieses Votum war ihrer Ansicht zufolge blos
ein Act der Opposition gegen den Vvllziehuugsausschuß; mau würde sich täu¬
schen, darin einen Ausdruck von Sympathie für Louis Napoleon sehen zu wollen.
Die große Majorität der Versammlung, sagten diese eifrigen Bonapartisten, sei
noch entschieden republikanisch gesinnt. Die Rechte schiene in der That bereits
zum Augriffe bereit, allein dies geschähe unter dem Einflüsse der Herren Falloux,
Thiers und Montalembert in einem dynastischen Interesse. Der Prinz Louis
hätte nur eine untergeordnete Stellung, wenn er in eine so gestimmte Versamm¬
lung träte. Er würde daselbst als wenig gefährlich geduldet, also vernachlässigt
werden. Entweder begänne er einen frühzeitige,: Kampf, um besiegt zu werden,
oder er würde sich stets schweigend verhalten, unter der Menge von Volks¬
vertretern sich verlieren und unmerklich um sein Blendwerk kommen. Jeder seiner
Stimmzettel würde gedeutet und glossirt werden; er böte seinen Feinden tausend
Vorwande. Louis Bonaparte begriff die Nichtigkeit dieser Rathschläge. Er fühlte
keinerlei Rednertalent, keinerlei Begeisterung, keine Bewegung in sich, die geeig¬
net wären, eine Versanuulnng hinzureißen. Er sah sich übrigens die Volkshaufen
zuströmen und mir deu Schwierigkeiten anwachsen; Alles rieth ihm zu temporisiren;
er richtete daher an den Präsidenten der Nationalversammlung folgendes Schrei¬
ben, das in der Sitzung vom 1ö. Juni verlesen worden:

„Herc Präsident, Ich war im Begriffe abzureisen und mich an meinen
Posten zu begeben, als ich erfuhr, daß meine Wahl bedauernswerthen Unruhen
und unheilvollen Irrthümern zum Vorwande diene. Ich habe nicht die Ehre
gesucht, Volksvertreter zu werden, weil ich die schmählichen Verdächtigungen
kannte, deren Gegenstand ich bin. Noch weniger strebte ich die Gewalt an.
Wenn das Volk mir Pflichten auferlegte, würde ich selbe zu erfülle» wissen;
aber ich weise Alle von mir zurück, die mir Absichten zuschreiben, die ich nicht
hege. Mein Name ist ein Symbol von Ordnung, Nationalität und Ruhm, ich
würde ita mit dem lebhaftesten Schmerze zur Vermehrung der Unruhen und
Spaltungen des Vaterlandes dienen scheu. Um ein solches Unglück zu vermeiden,
würde ich lieber in der Verbannung bleiben. Ich bin bereit, Alles für das Glück
Frankreichs zu opfern,"

Dieser Brief verursachte in der Nationalversammlung eine unangenehme
Wirkung. Er drückte seine Entsagung in einem eigenthümlich hochmüthigen Tone
aus. General Cavaignac hob die bedeutungsvolle Umgehung des Wortes Re¬
publik hervor. Die H. H. Aubray Thouret, Banne, David (von Angers) lenkten


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[0427] nicht, seine Freunde hielten den Augenblick noch nicht für passend. Die Herren Laity und Pcrsigny, als Unruhestifter verhaftet, aber sogleich wieder entlassen von einer Regierung, der jede Art von Gewalt widerstrebte, waren unmittelbar nach dem Votum nach London gereist, um dem Prinzen dessen Sinn und Trag¬ weite ja genau auseinanderzusetzen. Dieses Votum war ihrer Ansicht zufolge blos ein Act der Opposition gegen den Vvllziehuugsausschuß; mau würde sich täu¬ schen, darin einen Ausdruck von Sympathie für Louis Napoleon sehen zu wollen. Die große Majorität der Versammlung, sagten diese eifrigen Bonapartisten, sei noch entschieden republikanisch gesinnt. Die Rechte schiene in der That bereits zum Augriffe bereit, allein dies geschähe unter dem Einflüsse der Herren Falloux, Thiers und Montalembert in einem dynastischen Interesse. Der Prinz Louis hätte nur eine untergeordnete Stellung, wenn er in eine so gestimmte Versamm¬ lung träte. Er würde daselbst als wenig gefährlich geduldet, also vernachlässigt werden. Entweder begänne er einen frühzeitige,: Kampf, um besiegt zu werden, oder er würde sich stets schweigend verhalten, unter der Menge von Volks¬ vertretern sich verlieren und unmerklich um sein Blendwerk kommen. Jeder seiner Stimmzettel würde gedeutet und glossirt werden; er böte seinen Feinden tausend Vorwande. Louis Bonaparte begriff die Nichtigkeit dieser Rathschläge. Er fühlte keinerlei Rednertalent, keinerlei Begeisterung, keine Bewegung in sich, die geeig¬ net wären, eine Versanuulnng hinzureißen. Er sah sich übrigens die Volkshaufen zuströmen und mir deu Schwierigkeiten anwachsen; Alles rieth ihm zu temporisiren; er richtete daher an den Präsidenten der Nationalversammlung folgendes Schrei¬ ben, das in der Sitzung vom 1ö. Juni verlesen worden: „Herc Präsident, Ich war im Begriffe abzureisen und mich an meinen Posten zu begeben, als ich erfuhr, daß meine Wahl bedauernswerthen Unruhen und unheilvollen Irrthümern zum Vorwande diene. Ich habe nicht die Ehre gesucht, Volksvertreter zu werden, weil ich die schmählichen Verdächtigungen kannte, deren Gegenstand ich bin. Noch weniger strebte ich die Gewalt an. Wenn das Volk mir Pflichten auferlegte, würde ich selbe zu erfülle» wissen; aber ich weise Alle von mir zurück, die mir Absichten zuschreiben, die ich nicht hege. Mein Name ist ein Symbol von Ordnung, Nationalität und Ruhm, ich würde ita mit dem lebhaftesten Schmerze zur Vermehrung der Unruhen und Spaltungen des Vaterlandes dienen scheu. Um ein solches Unglück zu vermeiden, würde ich lieber in der Verbannung bleiben. Ich bin bereit, Alles für das Glück Frankreichs zu opfern," Dieser Brief verursachte in der Nationalversammlung eine unangenehme Wirkung. Er drückte seine Entsagung in einem eigenthümlich hochmüthigen Tone aus. General Cavaignac hob die bedeutungsvolle Umgehung des Wortes Re¬ publik hervor. Die H. H. Aubray Thouret, Banne, David (von Angers) lenkten 53*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/427>, abgerufen am 24.07.2024.