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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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werden von allgemeinem Beifalle begrüßt, aber ehe man sich'S versah, kehrte
Bcdean seinen Ausfall gegen den VollziehuugSansschuß. Er spricht von dessen
Uneinigkeiten, welche die gouvernementale Thätigkeit lahmen und er verweilt bei
der Unwirksamkeit der gegenwärtigen Form, Indem er die Notwendigkeit einer
baldigen Veränderung behauptet, sagt er zugleich ans ziemlich unverhüllte Weise,
daß nur ein alleinstehender Chef eine starke Gewalt auszuüben im Stande
sei, zur Niederhaltung der Parteien. Ein einziger Chef in jenem Augenblicke
aber, das konnte nur der General Cavaignac sein.

Dies war der Moment, den Lamartine wählte, um die Rednerbühne zu
besteigen. Er zeigt nicht seine gewöhnliche Heiterkeit; sein Gesicht ist bleich, ent¬
stellt. Er und gezwungen sich vor der Versammlung zu rechtfertigen! welche
Neuigkeit in seiner politischen Laufbahn und wie ihn das sichtlich stört! Er be¬
ginnt eine lange Rechtfertigung der Handlungen der provisorischen Negierung, er
geht bis zur Proclamation der Republik hinauf und erinnert an die Beseitigung
der rothen Fahne. Man hört ihn mit Kälte an, man findet ihn emphatisch,
weitläufig. Er selbst erstarrt in seinem Nedefluge; er sieht seine Hörerschaft zer-
strent, unaufmerksam und verlangt endlich unter dem Vorwande, der Ruhe zu
bedürfen, die Unterbrechung der Sitzung. Während dieser Unterbrechung ver¬
breitet sich eine verhaltene Aufregung über die Versammlung. Man ist unruhig,
man fragt sich: was ist gegründet von all diesen Beuurnhignugcn, von diesen
gegenseitigen Anklagen? wozu dieser militärische Apparat? was geht draußen vor?
Man spricht von einem Zusammenstoße der Truppen mit den Volksrotteu, von
einem Schusse, der gefallen. Herr von Lamartine steigt wieder ans die Tribune.
"Bürger, Volksvertreter," sagt er, "ein verhängnißvoller Umstand unterbrach die
Rede, welche ich die Ehre hatte an die Versammlung zu richten. Man hat einige
Schüsse gewagt: den einen auf den Befehlshaber der Natioualgaroe von Paris,
den andern auf einen Officier der Armee und einen dritten nach der Brust eines
Officiers der Nutionalgarde."

"Die Schusse sind unter dem Rufe: ""Es lebe der Kaiser!"" gefallen,"
fährt er fort. "Es ist der erste Tropfen Blut, welcher die ewig reine und glor¬
reiche Revolution vom 24. Februar befleckte. Ruhm der Bevölkerung, Ruhm
den verschiedenen Parteien der Republik, dieses Blut ist wenigstens nicht durch ihre
Hände vergossen worden: es ist nicht im Namen der Freiheit geflossen, sondern
im Namen des Fanatismus der militärischen Erinnerungen, im Namen einer
Meinung, welche natürlicher, wenn auch vielleicht unwillkürlicher, Weise die unerbitt¬
liche Feindin einer jeden Republik ist."

"Bürger! Indem die Negierung dieses Unglück mit Ihnen beweint, hat sie
doch nicht das Unrecht begangen, sich, so weit es von ihr abhängt, nicht gegen
diese Möglichkeiten gewaffnet zu haben. Wir haben heute Morgen, eine
Stunde vor der Eröffnung der Sitzung, einstimmig eine Erklärung unterzeichnet,


werden von allgemeinem Beifalle begrüßt, aber ehe man sich'S versah, kehrte
Bcdean seinen Ausfall gegen den VollziehuugSansschuß. Er spricht von dessen
Uneinigkeiten, welche die gouvernementale Thätigkeit lahmen und er verweilt bei
der Unwirksamkeit der gegenwärtigen Form, Indem er die Notwendigkeit einer
baldigen Veränderung behauptet, sagt er zugleich ans ziemlich unverhüllte Weise,
daß nur ein alleinstehender Chef eine starke Gewalt auszuüben im Stande
sei, zur Niederhaltung der Parteien. Ein einziger Chef in jenem Augenblicke
aber, das konnte nur der General Cavaignac sein.

Dies war der Moment, den Lamartine wählte, um die Rednerbühne zu
besteigen. Er zeigt nicht seine gewöhnliche Heiterkeit; sein Gesicht ist bleich, ent¬
stellt. Er und gezwungen sich vor der Versammlung zu rechtfertigen! welche
Neuigkeit in seiner politischen Laufbahn und wie ihn das sichtlich stört! Er be¬
ginnt eine lange Rechtfertigung der Handlungen der provisorischen Negierung, er
geht bis zur Proclamation der Republik hinauf und erinnert an die Beseitigung
der rothen Fahne. Man hört ihn mit Kälte an, man findet ihn emphatisch,
weitläufig. Er selbst erstarrt in seinem Nedefluge; er sieht seine Hörerschaft zer-
strent, unaufmerksam und verlangt endlich unter dem Vorwande, der Ruhe zu
bedürfen, die Unterbrechung der Sitzung. Während dieser Unterbrechung ver¬
breitet sich eine verhaltene Aufregung über die Versammlung. Man ist unruhig,
man fragt sich: was ist gegründet von all diesen Beuurnhignugcn, von diesen
gegenseitigen Anklagen? wozu dieser militärische Apparat? was geht draußen vor?
Man spricht von einem Zusammenstoße der Truppen mit den Volksrotteu, von
einem Schusse, der gefallen. Herr von Lamartine steigt wieder ans die Tribune.
„Bürger, Volksvertreter," sagt er, „ein verhängnißvoller Umstand unterbrach die
Rede, welche ich die Ehre hatte an die Versammlung zu richten. Man hat einige
Schüsse gewagt: den einen auf den Befehlshaber der Natioualgaroe von Paris,
den andern auf einen Officier der Armee und einen dritten nach der Brust eines
Officiers der Nutionalgarde."

„Die Schusse sind unter dem Rufe: „„Es lebe der Kaiser!"" gefallen,"
fährt er fort. „Es ist der erste Tropfen Blut, welcher die ewig reine und glor¬
reiche Revolution vom 24. Februar befleckte. Ruhm der Bevölkerung, Ruhm
den verschiedenen Parteien der Republik, dieses Blut ist wenigstens nicht durch ihre
Hände vergossen worden: es ist nicht im Namen der Freiheit geflossen, sondern
im Namen des Fanatismus der militärischen Erinnerungen, im Namen einer
Meinung, welche natürlicher, wenn auch vielleicht unwillkürlicher, Weise die unerbitt¬
liche Feindin einer jeden Republik ist."

„Bürger! Indem die Negierung dieses Unglück mit Ihnen beweint, hat sie
doch nicht das Unrecht begangen, sich, so weit es von ihr abhängt, nicht gegen
diese Möglichkeiten gewaffnet zu haben. Wir haben heute Morgen, eine
Stunde vor der Eröffnung der Sitzung, einstimmig eine Erklärung unterzeichnet,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/421>, abgerufen am 24.07.2024.