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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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bei den einzelnen Meistern berühren werde, zu deren Charakterisirung ich daher
übergehe. --

Als weitaus der Bedeutendste derselben erscheint mir jetzt erst recht wieder
Cornelius, dessen mächtige Begabung die ganze Schule eigentlich geschaffen,
mindestens beseelt, zu ihrem höchsten Ausdruck gebracht, ihr Ziel und Richtung
angewiesen hat. --

Daß sein Maß mit einer größern Elle gemessen wurde als das aller Andern,
ist wohl deutlich zu fühlen, aber nicht so leicht im Einzelnen darzuthun, -- indeß
will ich doch versuchen, die Bestandtheile der großen Macht, die er über uns
Alle ausgeübt hat und noch ausübt, zu erklären.

Ein mächtiger Ernst weht uns zunächst aus seinen Productionen an, die
Gluth dieser Seele verzehrt alles Unbedeutende oder Triviale, Größe und Erhaben¬
heit der Anschauung sprechen aus Allein, was er macht. Dabei empfinden seine
Figuren immer wahr; trotzdem daß er in seinen Conceptionen vorzugsweise pa¬
thetisch ist, so wird man doch lange suchen tonnen, bis man eine Gestalt findet,
der man Schuld geben könnte, sie spiele Comödie. Daß wir, ihm so unbedingt
glauben müssen, ist das Geheimniß seiner Macht, des Packenden, das in ihm
liegt. Dies hängt aber auch noch mit einer weitem Eigenschaft zusammen, der
dramatischen Kraft seiner Darstellungen. Ueberall versetzt er uns in den Schwer¬
punkt der Handlung, die er mit einer unglaublichen Oekonomie der Mittel in
Scene setzt. Wo ein Anderer sechs Figuren braucht, da reicht er mit zweien,
und ist doch am deutlichsten; in der Klarheit der Exposition wird er schwerlich
von irgend einem Meister übertroffen; Sehen und Verstehen ist bei allen seinen
Werken Eins, wo eS ihm nicht beliebt hat, seinem Hange zur Symbolik und zu
Allegorien nachzugeben. Eine weitere Eigenschaft ist, daß er nicht nur versteht,
große Leidenschaften darzustellen, das Welthistorische in den Handlungen richtig
hervortreten zu lassen, sondern auch große, mächtige Charaktere zu schaffen, denen
man die Fähigkeit zutraut, die Welt zu erschüttern oder zu erfüllen. -- Die
Bibel, Homer und Dante find die Werke, denen seine Kraft am verwandtesten
ist, die er daher mit dem meisten Glück bearbeitet hat. Doch auch hier zeigt sich
überall die Originalität seines Geistes, die ihm jeden gegebenen Stoss neu um¬
zubilden und zu bereichern erlaubt. Seine dichterische Schöpferkraft ist hinter der
keines irgend existirenden Künstlers zurückgeblieben, und neben dem großartigen,
hochpoetischen Zusammenhang, in dem er hier in der Glyptothek den Stoff der
Jliade erschöpft, deu ganzen griechischen Göttermythuö zu einem wunderbaren
Gedichte zusammenfaßt, die Hanptangelpnnkte in der Geschichte, so wie die Haupt¬
figuren des alten und neuen Bundes in der Ludwigskirche und im Campo Santo
zur Erscheinung bringt, können nur noch die ähnlichen Arbeiten Michel A"ge!o'S
und Raphael's bestehen, denen er in Fülle der Ideen, großartiger Anschauung,
Herrschaft in Darstellung des Erhabenen und wunderbarer Gestaltungskraft in


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bei den einzelnen Meistern berühren werde, zu deren Charakterisirung ich daher
übergehe. —

Als weitaus der Bedeutendste derselben erscheint mir jetzt erst recht wieder
Cornelius, dessen mächtige Begabung die ganze Schule eigentlich geschaffen,
mindestens beseelt, zu ihrem höchsten Ausdruck gebracht, ihr Ziel und Richtung
angewiesen hat. —

Daß sein Maß mit einer größern Elle gemessen wurde als das aller Andern,
ist wohl deutlich zu fühlen, aber nicht so leicht im Einzelnen darzuthun, — indeß
will ich doch versuchen, die Bestandtheile der großen Macht, die er über uns
Alle ausgeübt hat und noch ausübt, zu erklären.

Ein mächtiger Ernst weht uns zunächst aus seinen Productionen an, die
Gluth dieser Seele verzehrt alles Unbedeutende oder Triviale, Größe und Erhaben¬
heit der Anschauung sprechen aus Allein, was er macht. Dabei empfinden seine
Figuren immer wahr; trotzdem daß er in seinen Conceptionen vorzugsweise pa¬
thetisch ist, so wird man doch lange suchen tonnen, bis man eine Gestalt findet,
der man Schuld geben könnte, sie spiele Comödie. Daß wir, ihm so unbedingt
glauben müssen, ist das Geheimniß seiner Macht, des Packenden, das in ihm
liegt. Dies hängt aber auch noch mit einer weitem Eigenschaft zusammen, der
dramatischen Kraft seiner Darstellungen. Ueberall versetzt er uns in den Schwer¬
punkt der Handlung, die er mit einer unglaublichen Oekonomie der Mittel in
Scene setzt. Wo ein Anderer sechs Figuren braucht, da reicht er mit zweien,
und ist doch am deutlichsten; in der Klarheit der Exposition wird er schwerlich
von irgend einem Meister übertroffen; Sehen und Verstehen ist bei allen seinen
Werken Eins, wo eS ihm nicht beliebt hat, seinem Hange zur Symbolik und zu
Allegorien nachzugeben. Eine weitere Eigenschaft ist, daß er nicht nur versteht,
große Leidenschaften darzustellen, das Welthistorische in den Handlungen richtig
hervortreten zu lassen, sondern auch große, mächtige Charaktere zu schaffen, denen
man die Fähigkeit zutraut, die Welt zu erschüttern oder zu erfüllen. — Die
Bibel, Homer und Dante find die Werke, denen seine Kraft am verwandtesten
ist, die er daher mit dem meisten Glück bearbeitet hat. Doch auch hier zeigt sich
überall die Originalität seines Geistes, die ihm jeden gegebenen Stoss neu um¬
zubilden und zu bereichern erlaubt. Seine dichterische Schöpferkraft ist hinter der
keines irgend existirenden Künstlers zurückgeblieben, und neben dem großartigen,
hochpoetischen Zusammenhang, in dem er hier in der Glyptothek den Stoff der
Jliade erschöpft, deu ganzen griechischen Göttermythuö zu einem wunderbaren
Gedichte zusammenfaßt, die Hanptangelpnnkte in der Geschichte, so wie die Haupt¬
figuren des alten und neuen Bundes in der Ludwigskirche und im Campo Santo
zur Erscheinung bringt, können nur noch die ähnlichen Arbeiten Michel A»ge!o'S
und Raphael's bestehen, denen er in Fülle der Ideen, großartiger Anschauung,
Herrschaft in Darstellung des Erhabenen und wunderbarer Gestaltungskraft in


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[0379] bei den einzelnen Meistern berühren werde, zu deren Charakterisirung ich daher übergehe. — Als weitaus der Bedeutendste derselben erscheint mir jetzt erst recht wieder Cornelius, dessen mächtige Begabung die ganze Schule eigentlich geschaffen, mindestens beseelt, zu ihrem höchsten Ausdruck gebracht, ihr Ziel und Richtung angewiesen hat. — Daß sein Maß mit einer größern Elle gemessen wurde als das aller Andern, ist wohl deutlich zu fühlen, aber nicht so leicht im Einzelnen darzuthun, — indeß will ich doch versuchen, die Bestandtheile der großen Macht, die er über uns Alle ausgeübt hat und noch ausübt, zu erklären. Ein mächtiger Ernst weht uns zunächst aus seinen Productionen an, die Gluth dieser Seele verzehrt alles Unbedeutende oder Triviale, Größe und Erhaben¬ heit der Anschauung sprechen aus Allein, was er macht. Dabei empfinden seine Figuren immer wahr; trotzdem daß er in seinen Conceptionen vorzugsweise pa¬ thetisch ist, so wird man doch lange suchen tonnen, bis man eine Gestalt findet, der man Schuld geben könnte, sie spiele Comödie. Daß wir, ihm so unbedingt glauben müssen, ist das Geheimniß seiner Macht, des Packenden, das in ihm liegt. Dies hängt aber auch noch mit einer weitem Eigenschaft zusammen, der dramatischen Kraft seiner Darstellungen. Ueberall versetzt er uns in den Schwer¬ punkt der Handlung, die er mit einer unglaublichen Oekonomie der Mittel in Scene setzt. Wo ein Anderer sechs Figuren braucht, da reicht er mit zweien, und ist doch am deutlichsten; in der Klarheit der Exposition wird er schwerlich von irgend einem Meister übertroffen; Sehen und Verstehen ist bei allen seinen Werken Eins, wo eS ihm nicht beliebt hat, seinem Hange zur Symbolik und zu Allegorien nachzugeben. Eine weitere Eigenschaft ist, daß er nicht nur versteht, große Leidenschaften darzustellen, das Welthistorische in den Handlungen richtig hervortreten zu lassen, sondern auch große, mächtige Charaktere zu schaffen, denen man die Fähigkeit zutraut, die Welt zu erschüttern oder zu erfüllen. — Die Bibel, Homer und Dante find die Werke, denen seine Kraft am verwandtesten ist, die er daher mit dem meisten Glück bearbeitet hat. Doch auch hier zeigt sich überall die Originalität seines Geistes, die ihm jeden gegebenen Stoss neu um¬ zubilden und zu bereichern erlaubt. Seine dichterische Schöpferkraft ist hinter der keines irgend existirenden Künstlers zurückgeblieben, und neben dem großartigen, hochpoetischen Zusammenhang, in dem er hier in der Glyptothek den Stoff der Jliade erschöpft, deu ganzen griechischen Göttermythuö zu einem wunderbaren Gedichte zusammenfaßt, die Hanptangelpnnkte in der Geschichte, so wie die Haupt¬ figuren des alten und neuen Bundes in der Ludwigskirche und im Campo Santo zur Erscheinung bringt, können nur noch die ähnlichen Arbeiten Michel A»ge!o'S und Raphael's bestehen, denen er in Fülle der Ideen, großartiger Anschauung, Herrschaft in Darstellung des Erhabenen und wunderbarer Gestaltungskraft in 47*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/379>, abgerufen am 24.07.2024.