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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Mittel erreicht wird, so zwar, daß in Zweifelsfällen das künstlerische, namentlich
musikalische Interesse zurücksteht. Daß Wagner selbst heftig gegen den Meyer¬
beerismus polcmisirt, beweist an sich Nichts dawider, daß er selbst demselben ver¬
fallen sei; es ist eine bekannte Erfahrung, daß man an Fremden die eigenen
Schwachen am Unangenehmsten empfindet und am schärfsten tadelt. Ohne alle
Frage hat Wagner mehr Sinn für das Poetische und mehr Feinheit des Ge¬
schmacks als Meyerbeer, er wählt daher seine Stoffe besser und die einzelnen
Effecte, die bei jenem wie aufgenagelt auf eine gleichgiltige Unterlage erscheinen,
weiß er geschickter aus seinem Stoffe herzuleiten; auch in der Jnstrumentation ist
er ihm dadurch überlegen, daß er kühner und freier in's Volle greift und nicht
so gar ängstlich wie Meyerbeer mosaicirt. Aber alles dieses, und was man hier
noch Verwandtes hervorheben möchte, find doch nur Verschiedenheiten dem Grade
nach, und geben wir bereitwillig zu, daß im Einzelnen in drastischer Charakteristik
Vieles gewagt und Einiges gelungen sei, so ist aus diesen Elementen nimmer¬
mehr ein Kunstwerk zu gestalten, das den Anforderungen anch nur der Gegen¬
wart genüge.^




Wochenb erlebt.

-- Die Aushebung aller derjenigen Gesetze,
durch welche im Jahre die Verfassung der Gemeinden, Kreise, Bezirke und
Provinzen geordnet wurde, versetzt uus in einen völlig chaotischen Zustand, dessen
endliche Regelung selbst in den Zeiten des tiefsten Friedens und der ruhigsten
Entwickelung höchst zweifelhaft, und jetzt bei der unsichern Lage der europäischen
Verhältnisse durchaus unwahrscheinlich ist. Möglich freilich ist es, daß uns Zeit
vergönnt wird, an Stelle des Beseitigten ein Neues zu setzen; aber ans diese
entfernte Möglichkeit zu speculiren, und in einer Zeit, in der nicht einmal die
Ereignisse der nächsten Woche mit einiger Sicherheit berechnet werden können,
die Hauptgrundlage des Staatsorganismus mit einem Schlage zu beseitigen, ohne
dieselbe durch ein anderes, bestimmtes Fundament zu ersetzen, ist ein verwegenes
Unterfangen, welches schwerlich durch politische Erwägungen, wol aber durch den
bittern und unklaren Haß gegen die Gesetzgebung von -1850 erklärt werden kann.
In Revolutionszeiten ist es wol vorgekommen, daß man nicht nnr einzelne Ge¬
setze, sondern ein ganzes System von Gesetzen schlechtweg aufhob, ehe man das
Bessere festgestellt hatte; und wenn dasselbe heute geschieht, will man uns einreden,
daß wir es mit dem "Gegentheil der Revolution", nicht mit der leibhaftigen
Contrerevolution zu thun haben? Dieses "Gegentheil der Revolution" gleicht
der Revolution in den Motiven, Wirkungen und sonstigen Kriterien so vollkommen,


Mittel erreicht wird, so zwar, daß in Zweifelsfällen das künstlerische, namentlich
musikalische Interesse zurücksteht. Daß Wagner selbst heftig gegen den Meyer¬
beerismus polcmisirt, beweist an sich Nichts dawider, daß er selbst demselben ver¬
fallen sei; es ist eine bekannte Erfahrung, daß man an Fremden die eigenen
Schwachen am Unangenehmsten empfindet und am schärfsten tadelt. Ohne alle
Frage hat Wagner mehr Sinn für das Poetische und mehr Feinheit des Ge¬
schmacks als Meyerbeer, er wählt daher seine Stoffe besser und die einzelnen
Effecte, die bei jenem wie aufgenagelt auf eine gleichgiltige Unterlage erscheinen,
weiß er geschickter aus seinem Stoffe herzuleiten; auch in der Jnstrumentation ist
er ihm dadurch überlegen, daß er kühner und freier in's Volle greift und nicht
so gar ängstlich wie Meyerbeer mosaicirt. Aber alles dieses, und was man hier
noch Verwandtes hervorheben möchte, find doch nur Verschiedenheiten dem Grade
nach, und geben wir bereitwillig zu, daß im Einzelnen in drastischer Charakteristik
Vieles gewagt und Einiges gelungen sei, so ist aus diesen Elementen nimmer¬
mehr ein Kunstwerk zu gestalten, das den Anforderungen anch nur der Gegen¬
wart genüge.^




Wochenb erlebt.

— Die Aushebung aller derjenigen Gesetze,
durch welche im Jahre die Verfassung der Gemeinden, Kreise, Bezirke und
Provinzen geordnet wurde, versetzt uus in einen völlig chaotischen Zustand, dessen
endliche Regelung selbst in den Zeiten des tiefsten Friedens und der ruhigsten
Entwickelung höchst zweifelhaft, und jetzt bei der unsichern Lage der europäischen
Verhältnisse durchaus unwahrscheinlich ist. Möglich freilich ist es, daß uns Zeit
vergönnt wird, an Stelle des Beseitigten ein Neues zu setzen; aber ans diese
entfernte Möglichkeit zu speculiren, und in einer Zeit, in der nicht einmal die
Ereignisse der nächsten Woche mit einiger Sicherheit berechnet werden können,
die Hauptgrundlage des Staatsorganismus mit einem Schlage zu beseitigen, ohne
dieselbe durch ein anderes, bestimmtes Fundament zu ersetzen, ist ein verwegenes
Unterfangen, welches schwerlich durch politische Erwägungen, wol aber durch den
bittern und unklaren Haß gegen die Gesetzgebung von -1850 erklärt werden kann.
In Revolutionszeiten ist es wol vorgekommen, daß man nicht nnr einzelne Ge¬
setze, sondern ein ganzes System von Gesetzen schlechtweg aufhob, ehe man das
Bessere festgestellt hatte; und wenn dasselbe heute geschieht, will man uns einreden,
daß wir es mit dem „Gegentheil der Revolution", nicht mit der leibhaftigen
Contrerevolution zu thun haben? Dieses „Gegentheil der Revolution" gleicht
der Revolution in den Motiven, Wirkungen und sonstigen Kriterien so vollkommen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/350>, abgerufen am 27.12.2024.