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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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holt, ohne daß ihnen neue Seiten abgewonnen werden, und namentlich das ist nicht
geschickt arrangirt, daß das phantastische Treiben im Venusberg dem Zuhörer
unmittelbar hinter einander zweimal in ganzer Breite vorgeführt wird.

Mit dem Ausgehen des Vorhanges sehen wir das Innere des Venusberges
in rosenrother Beleuchtung, Nymphen, Sirenen, Bacchanten treiben ihr üppiges
Wesen, meistens in Pantomime und Ballet, während das Orchester den musika¬
lischen Ausdruck übernimmt. Daß dabei samisch das nicht ganz zum Vorschein
kommt, was Wagner sich gedacht hat, und was sich recht hübsch bei ihm liest,
liegt wohl zum großen Theil an der herrschenden Bühneutradilion, die durchaus
abhängig vom Pariser Ballet ist, und zu einer künstlerischen, oder auch nur ori¬
ginellen, phantastereicheu Lösung einer solchen Aufgabe sich nicht erheben kann:
hoffen wir auf die Bühne der Zukunft! Aber auch die Musik erfüllt ihre Auf¬
gabe nicht vollständig, und wenn sie auch von gewöhnlicher Balletmusik sehr ver¬
schieden scheint, kann sie ihren Ursprung doch nicht ganz verleugnen und klingt
immer noch etwas nach Tricots und Entrechats. Denn was sie vor Allem aus¬
drücken sollte, die leidenschaftliche Gluth, die zauberisch hinreißende Süßigkeit sinn¬
licher Liebe, das ist in ihr nicht zu finden, sie ist wohl lebhaft und seltsam,
aber kalt, ohne eigentlichen Reiz und charakterisiert nur den phantastischen Spuk.
Nach dieser Seite treten gelungene, pikante Züge hervor in Melodie und Harmonie,
wie in der Jnstrumentation, die natürlich den von Mendelssohn angeschlagenen
Ton für derartige Phantastereien im Allgemeinen festhält, im Einzelnen überbietet.
Da aber denn doch das eigentlich Zündende fehlt, so geht es dein Zuhörer bald
wie Tannhäuser, er wird dieser rosenfarbenen Wirthschaft schnell überdrüssig. Die
folgende Scene zwischen Venus und Tannhäuser tritt, wie schon bemerkt, in ihrer Fär¬
bung ganz aus dem Venusberg heraus, Tannhäuser's Lied in drei Strophen ist in
Anlage und Behandlung echter Meyerbeer, Venus ist als solche nicht charakterisirt;
die Situation ist so, daß man kein rechtes Ende absieht, und man dankt Gott,
wie Tannhäuser endlich an die Jungfrau Maria denkt, daß man nur wieder das
gewöhnliche Lampenlicht sieht.

Um den Gegensatz der freien Natur gegen das unnatürliche rothe Feuer
des Venusberges recht fühlbar zu machen, hat Wagner einen jungen Hirten ein¬
geführt, der auf der Schalmei bläst und sich ein Lied singt und zwar, um es
recht natürlich zu machen, ganz ohne Orchesterbegleitung. Diese Einfachheit aber
wird in der Oper immer gesucht erscheinen, und in der Regel peinlich wirken;
zumal wenn, wie hier, das Lied nicht wirklich den einfachen Naturlaut eines Volks¬
liedes wiedergiebt, sondern durch die Absichtlichkeit complicirr und affectirt gewor¬
den ist. Noch nicht zufrieden damit, läßt aber Wagner, um die Natur uoch natür-
licher zu machen, zu diesem Lied fortwährend hinter der Scene mit Kuhglocken
klingeln. Das ist ein Einfall, um den ihn Meyerbeer beneiden wird: Sopran¬
solo mit Kuhglocken! Was ist Bratsche oder Bassethorn gegen Kuhglocken! Man


holt, ohne daß ihnen neue Seiten abgewonnen werden, und namentlich das ist nicht
geschickt arrangirt, daß das phantastische Treiben im Venusberg dem Zuhörer
unmittelbar hinter einander zweimal in ganzer Breite vorgeführt wird.

Mit dem Ausgehen des Vorhanges sehen wir das Innere des Venusberges
in rosenrother Beleuchtung, Nymphen, Sirenen, Bacchanten treiben ihr üppiges
Wesen, meistens in Pantomime und Ballet, während das Orchester den musika¬
lischen Ausdruck übernimmt. Daß dabei samisch das nicht ganz zum Vorschein
kommt, was Wagner sich gedacht hat, und was sich recht hübsch bei ihm liest,
liegt wohl zum großen Theil an der herrschenden Bühneutradilion, die durchaus
abhängig vom Pariser Ballet ist, und zu einer künstlerischen, oder auch nur ori¬
ginellen, phantastereicheu Lösung einer solchen Aufgabe sich nicht erheben kann:
hoffen wir auf die Bühne der Zukunft! Aber auch die Musik erfüllt ihre Auf¬
gabe nicht vollständig, und wenn sie auch von gewöhnlicher Balletmusik sehr ver¬
schieden scheint, kann sie ihren Ursprung doch nicht ganz verleugnen und klingt
immer noch etwas nach Tricots und Entrechats. Denn was sie vor Allem aus¬
drücken sollte, die leidenschaftliche Gluth, die zauberisch hinreißende Süßigkeit sinn¬
licher Liebe, das ist in ihr nicht zu finden, sie ist wohl lebhaft und seltsam,
aber kalt, ohne eigentlichen Reiz und charakterisiert nur den phantastischen Spuk.
Nach dieser Seite treten gelungene, pikante Züge hervor in Melodie und Harmonie,
wie in der Jnstrumentation, die natürlich den von Mendelssohn angeschlagenen
Ton für derartige Phantastereien im Allgemeinen festhält, im Einzelnen überbietet.
Da aber denn doch das eigentlich Zündende fehlt, so geht es dein Zuhörer bald
wie Tannhäuser, er wird dieser rosenfarbenen Wirthschaft schnell überdrüssig. Die
folgende Scene zwischen Venus und Tannhäuser tritt, wie schon bemerkt, in ihrer Fär¬
bung ganz aus dem Venusberg heraus, Tannhäuser's Lied in drei Strophen ist in
Anlage und Behandlung echter Meyerbeer, Venus ist als solche nicht charakterisirt;
die Situation ist so, daß man kein rechtes Ende absieht, und man dankt Gott,
wie Tannhäuser endlich an die Jungfrau Maria denkt, daß man nur wieder das
gewöhnliche Lampenlicht sieht.

Um den Gegensatz der freien Natur gegen das unnatürliche rothe Feuer
des Venusberges recht fühlbar zu machen, hat Wagner einen jungen Hirten ein¬
geführt, der auf der Schalmei bläst und sich ein Lied singt und zwar, um es
recht natürlich zu machen, ganz ohne Orchesterbegleitung. Diese Einfachheit aber
wird in der Oper immer gesucht erscheinen, und in der Regel peinlich wirken;
zumal wenn, wie hier, das Lied nicht wirklich den einfachen Naturlaut eines Volks¬
liedes wiedergiebt, sondern durch die Absichtlichkeit complicirr und affectirt gewor¬
den ist. Noch nicht zufrieden damit, läßt aber Wagner, um die Natur uoch natür-
licher zu machen, zu diesem Lied fortwährend hinter der Scene mit Kuhglocken
klingeln. Das ist ein Einfall, um den ihn Meyerbeer beneiden wird: Sopran¬
solo mit Kuhglocken! Was ist Bratsche oder Bassethorn gegen Kuhglocken! Man


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[0346] holt, ohne daß ihnen neue Seiten abgewonnen werden, und namentlich das ist nicht geschickt arrangirt, daß das phantastische Treiben im Venusberg dem Zuhörer unmittelbar hinter einander zweimal in ganzer Breite vorgeführt wird. Mit dem Ausgehen des Vorhanges sehen wir das Innere des Venusberges in rosenrother Beleuchtung, Nymphen, Sirenen, Bacchanten treiben ihr üppiges Wesen, meistens in Pantomime und Ballet, während das Orchester den musika¬ lischen Ausdruck übernimmt. Daß dabei samisch das nicht ganz zum Vorschein kommt, was Wagner sich gedacht hat, und was sich recht hübsch bei ihm liest, liegt wohl zum großen Theil an der herrschenden Bühneutradilion, die durchaus abhängig vom Pariser Ballet ist, und zu einer künstlerischen, oder auch nur ori¬ ginellen, phantastereicheu Lösung einer solchen Aufgabe sich nicht erheben kann: hoffen wir auf die Bühne der Zukunft! Aber auch die Musik erfüllt ihre Auf¬ gabe nicht vollständig, und wenn sie auch von gewöhnlicher Balletmusik sehr ver¬ schieden scheint, kann sie ihren Ursprung doch nicht ganz verleugnen und klingt immer noch etwas nach Tricots und Entrechats. Denn was sie vor Allem aus¬ drücken sollte, die leidenschaftliche Gluth, die zauberisch hinreißende Süßigkeit sinn¬ licher Liebe, das ist in ihr nicht zu finden, sie ist wohl lebhaft und seltsam, aber kalt, ohne eigentlichen Reiz und charakterisiert nur den phantastischen Spuk. Nach dieser Seite treten gelungene, pikante Züge hervor in Melodie und Harmonie, wie in der Jnstrumentation, die natürlich den von Mendelssohn angeschlagenen Ton für derartige Phantastereien im Allgemeinen festhält, im Einzelnen überbietet. Da aber denn doch das eigentlich Zündende fehlt, so geht es dein Zuhörer bald wie Tannhäuser, er wird dieser rosenfarbenen Wirthschaft schnell überdrüssig. Die folgende Scene zwischen Venus und Tannhäuser tritt, wie schon bemerkt, in ihrer Fär¬ bung ganz aus dem Venusberg heraus, Tannhäuser's Lied in drei Strophen ist in Anlage und Behandlung echter Meyerbeer, Venus ist als solche nicht charakterisirt; die Situation ist so, daß man kein rechtes Ende absieht, und man dankt Gott, wie Tannhäuser endlich an die Jungfrau Maria denkt, daß man nur wieder das gewöhnliche Lampenlicht sieht. Um den Gegensatz der freien Natur gegen das unnatürliche rothe Feuer des Venusberges recht fühlbar zu machen, hat Wagner einen jungen Hirten ein¬ geführt, der auf der Schalmei bläst und sich ein Lied singt und zwar, um es recht natürlich zu machen, ganz ohne Orchesterbegleitung. Diese Einfachheit aber wird in der Oper immer gesucht erscheinen, und in der Regel peinlich wirken; zumal wenn, wie hier, das Lied nicht wirklich den einfachen Naturlaut eines Volks¬ liedes wiedergiebt, sondern durch die Absichtlichkeit complicirr und affectirt gewor¬ den ist. Noch nicht zufrieden damit, läßt aber Wagner, um die Natur uoch natür- licher zu machen, zu diesem Lied fortwährend hinter der Scene mit Kuhglocken klingeln. Das ist ein Einfall, um den ihn Meyerbeer beneiden wird: Sopran¬ solo mit Kuhglocken! Was ist Bratsche oder Bassethorn gegen Kuhglocken! Man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/346>, abgerufen am 28.12.2024.