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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Die Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten

"Um Gotteswillen! Kanonendonner in den Straßen! Revolution -- Barri¬
kaden in Amerika!" -- So rief mein "grüner" Freund erschrocken ans, als am
Nachmittag des 7. Juni Geschüizsalvcn ganz in der Nähe meiner Wohnung
krachten, so daß das Hans wankte und die Fensterscheiben klirrten. Ich huldigte
ihn mit der Versicherung, daß hier zu Lande die Parteien sich nicht auf Barri¬
kaden, sondern an der Wahlurne zu bekämpfen pflegten -- und führte ihn sodann
nach dem Standorte der Batterie, -- vor das große Gebäude der Mcchanics-
Hall, -- von welchem das Sternenbanner wehte und aus dessen weit geöffnetem
Thore eine unendliche Menschenmasse heransströinte. Die demokratische Con¬
vention war zu Ende und hatte nach fünftägigen Disputiren und mehr als
funfzigfachem Ballvtiren endlich Franklin Pieree von Ncwhampshire und
Ursus King von Alsabaina zu ihren Candidaten für die Aemter eines Präsi¬
denten und Vicepräsidenten ernannt. Wie bewegt war das Leben während-der
Dauer dieser Convention in Baltimore! Wie wimmelten die Straßen von
fremden Gesichtern, wie begierig drängte sich das politische Publicum, d. h. hier
Jung und Alt, vor dem Siizungslocale der Convention und vor den Bureaux
der verschiedenen Zeitungen, um die von Stunde zu Stunde verdeutlichten Bulle¬
tins über den Fortschritt der Cvnventionöarbeit zu lese"! So lauge hatte die
Wahl zwischen Caß und Douglas geschwankt -- keine Fraction hatte nachgeben
wollen, bis endlich durch einen Mittelweg, durch deu Borschlag eines dritten Can-
didaten, die Entscheidung herbeigeführt worden war. So war denn also ausgekämpft
und ausgerungen -- und die Kanoucnsalven verkündeten dem Lande die definitive
Organisation der Partei nud den eigentlichen Anfang der "Campagne."

Wenige Tage darauf bezog die Convention der Whigpartei dasselbe Local,
um nun ihrerseits zwei Kandidaten aufzustellen. Der Verlauf der Verhandlungen
und das Ansehen der Versammlung unterschied sich nicht wesentlich von der
demokratischen Convention, wenn man nicht die meistens wohlbeleibteren Gestalten,
die steiferen Halskragen und die durch die inzwischen gestiegene Hitze nöthig ge¬
wordenen chinesischen Fächer als charakteristische Merkmale betrachten will. (Diese
Fächer, welche ein industrieller "in-rrelrgM tailor" mit seiner Adresse versehen
und hundertweise gratis geliefert hatte, und mit welchen die Herren Whigs sich
in und außer dem Sitzungslocale Kühlung zufächelten, haben seitdem den Na¬
men "wdix-c,vo1er3" erhalten.) Auch nach der von eben solchen und noch
stärkeren Wehen begleiteten Nomination des Generals Scott und seines Secuu-
dantcn Graham donnern die Kanonen, und die Abgeordneten zerstreuen sich
wieder in dem weiten Lande der Union.


Die Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten

„Um Gotteswillen! Kanonendonner in den Straßen! Revolution — Barri¬
kaden in Amerika!" — So rief mein „grüner" Freund erschrocken ans, als am
Nachmittag des 7. Juni Geschüizsalvcn ganz in der Nähe meiner Wohnung
krachten, so daß das Hans wankte und die Fensterscheiben klirrten. Ich huldigte
ihn mit der Versicherung, daß hier zu Lande die Parteien sich nicht auf Barri¬
kaden, sondern an der Wahlurne zu bekämpfen pflegten — und führte ihn sodann
nach dem Standorte der Batterie, — vor das große Gebäude der Mcchanics-
Hall, — von welchem das Sternenbanner wehte und aus dessen weit geöffnetem
Thore eine unendliche Menschenmasse heransströinte. Die demokratische Con¬
vention war zu Ende und hatte nach fünftägigen Disputiren und mehr als
funfzigfachem Ballvtiren endlich Franklin Pieree von Ncwhampshire und
Ursus King von Alsabaina zu ihren Candidaten für die Aemter eines Präsi¬
denten und Vicepräsidenten ernannt. Wie bewegt war das Leben während-der
Dauer dieser Convention in Baltimore! Wie wimmelten die Straßen von
fremden Gesichtern, wie begierig drängte sich das politische Publicum, d. h. hier
Jung und Alt, vor dem Siizungslocale der Convention und vor den Bureaux
der verschiedenen Zeitungen, um die von Stunde zu Stunde verdeutlichten Bulle¬
tins über den Fortschritt der Cvnventionöarbeit zu lese»! So lauge hatte die
Wahl zwischen Caß und Douglas geschwankt — keine Fraction hatte nachgeben
wollen, bis endlich durch einen Mittelweg, durch deu Borschlag eines dritten Can-
didaten, die Entscheidung herbeigeführt worden war. So war denn also ausgekämpft
und ausgerungen — und die Kanoucnsalven verkündeten dem Lande die definitive
Organisation der Partei nud den eigentlichen Anfang der „Campagne."

Wenige Tage darauf bezog die Convention der Whigpartei dasselbe Local,
um nun ihrerseits zwei Kandidaten aufzustellen. Der Verlauf der Verhandlungen
und das Ansehen der Versammlung unterschied sich nicht wesentlich von der
demokratischen Convention, wenn man nicht die meistens wohlbeleibteren Gestalten,
die steiferen Halskragen und die durch die inzwischen gestiegene Hitze nöthig ge¬
wordenen chinesischen Fächer als charakteristische Merkmale betrachten will. (Diese
Fächer, welche ein industrieller „in-rrelrgM tailor" mit seiner Adresse versehen
und hundertweise gratis geliefert hatte, und mit welchen die Herren Whigs sich
in und außer dem Sitzungslocale Kühlung zufächelten, haben seitdem den Na¬
men „wdix-c,vo1er3" erhalten.) Auch nach der von eben solchen und noch
stärkeren Wehen begleiteten Nomination des Generals Scott und seines Secuu-
dantcn Graham donnern die Kanonen, und die Abgeordneten zerstreuen sich
wieder in dem weiten Lande der Union.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/29>, abgerufen am 27.12.2024.