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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Sie werden tels Gegentheil fördern. Während die alte Städteordnung es als
eine Hauptaufgabe bezeichnete, den Zustand zu beseitigen, daß die Interessen der
Bürger "nach Klassen und Zünften" sich theilten, befestigen und erweitern die
neuen Vorlagen die Kluft, welche die Verschiedenartigst der materiellen Lage
zwischen den Landbewohnern gezogen, dnrch eine verletzende, den realen Verhält¬
nissen nicht mehr angemessene Vertheilung einer hohem oder geringern Berechtigung.
Sie beruhen nicht auf der Anerkennung, daß die Bewohner einer Gemeinde
zusammengehören und nach gemeinsamem Ziel zu streben berufen sind,
sondern auf der entgegengesetzten, daß sie dnrch fein d selig e Interessen von ein¬
ander geschieden sind, und gesonderte Ziele zu verfolgen haben; sie fordern
also nicht die Lust zum Zusammenwirken, sonder" sie provociren zum Kampf
für jene Svuderinteressen, die selbst von der Negierung für so durchgreifend und
reell erachtet wurden, daß sie dieselbe" zur Grundlage ihrer Gesetze machte. Die
Gemeinden haben zwar die Befugniß, unter billiger Berücksichtigung der that¬
sächlichen Verhältnisse die gesetzlich hintangcstcllten Klassen durch Gewährung höherer
Berechtigung besser zu stellen; aber diese Befugniß ist in die Hand der Bevor¬
rechteten gelegt; und wenn der Geist der Billigkeit in einer Gemeinde obsiegen
sollte, so würde gerade dieser Umstand vorzüglich dazu beitragen, die Flamme des
Zerwürfnisses in den Nachbargemeinden stärker anzufachen. Und -- was das
Schlimmste ist -- wenn die Landbewohner sich davon überzeugt haben werden,
daß die Leistungsfähigkeit und der Aufschwung der Gemeinde dnrch diese ver¬
letzende Ordnung der Dinge, dnrch diese zahllosen Verdrießlichkeiten Nichts ge¬
wonnen haben wird, so werden sie gegen jede Neuerung um so mißtrauischer
werden.

Vortheile bringen die neuen Vorlagen nur der Bureaukratie. Diese zu
stärken, haben wir schon seit Decennien keinen Grund, am wenigsten heute, wo
sie ihre Machtmittel in einer Weise anwendet, daß wir wol noch nach einem
Menschenalter die Wirkungen ihrer Taktik spüren werde".

Erklärt man sich entschieden für das Alte, so gelingt es vielleicht, die alte
Städteordnung vor dem modernen Vandalismus zu retten. Die wenige" Punkte
dieses Gesetzes, die de" jetzige" Verhält"lösen nicht mehr angemessen sind, kommen
nicht in Anschlag gegen die großen Vortheile, durch Aufrechthaltung dieser Ord¬
nung wenigstens hier und dort der bürgerlichen Selbstständigkeit ein Asyl gerettet,
dnrch Bewahrung des Ballotö wenigstens die städtischen Commnnalwahlcn vor
der jetzt üblichen Benutzung durch das Gouvernement gesichert, und el" an großen
und fruchtbaren Ideen reiches Erbe "uversehrt einer gesitteten und dankbare"
Nachwelt erhalten zu haben. Auf dem platten Lande bleiben dann freilich die
unglücklichen Zustände; allein daS ist noch immer besser, als wenn man anch Hie¬
her der bureaukratischen Invasion die Wege bahnt. Ein Bedürfniß, das man
seit 5") Jahren lebhaft empfunden, bleibt dann freilich unbefriedigt; aber das ist


Sie werden tels Gegentheil fördern. Während die alte Städteordnung es als
eine Hauptaufgabe bezeichnete, den Zustand zu beseitigen, daß die Interessen der
Bürger „nach Klassen und Zünften" sich theilten, befestigen und erweitern die
neuen Vorlagen die Kluft, welche die Verschiedenartigst der materiellen Lage
zwischen den Landbewohnern gezogen, dnrch eine verletzende, den realen Verhält¬
nissen nicht mehr angemessene Vertheilung einer hohem oder geringern Berechtigung.
Sie beruhen nicht auf der Anerkennung, daß die Bewohner einer Gemeinde
zusammengehören und nach gemeinsamem Ziel zu streben berufen sind,
sondern auf der entgegengesetzten, daß sie dnrch fein d selig e Interessen von ein¬
ander geschieden sind, und gesonderte Ziele zu verfolgen haben; sie fordern
also nicht die Lust zum Zusammenwirken, sonder» sie provociren zum Kampf
für jene Svuderinteressen, die selbst von der Negierung für so durchgreifend und
reell erachtet wurden, daß sie dieselbe» zur Grundlage ihrer Gesetze machte. Die
Gemeinden haben zwar die Befugniß, unter billiger Berücksichtigung der that¬
sächlichen Verhältnisse die gesetzlich hintangcstcllten Klassen durch Gewährung höherer
Berechtigung besser zu stellen; aber diese Befugniß ist in die Hand der Bevor¬
rechteten gelegt; und wenn der Geist der Billigkeit in einer Gemeinde obsiegen
sollte, so würde gerade dieser Umstand vorzüglich dazu beitragen, die Flamme des
Zerwürfnisses in den Nachbargemeinden stärker anzufachen. Und — was das
Schlimmste ist — wenn die Landbewohner sich davon überzeugt haben werden,
daß die Leistungsfähigkeit und der Aufschwung der Gemeinde dnrch diese ver¬
letzende Ordnung der Dinge, dnrch diese zahllosen Verdrießlichkeiten Nichts ge¬
wonnen haben wird, so werden sie gegen jede Neuerung um so mißtrauischer
werden.

Vortheile bringen die neuen Vorlagen nur der Bureaukratie. Diese zu
stärken, haben wir schon seit Decennien keinen Grund, am wenigsten heute, wo
sie ihre Machtmittel in einer Weise anwendet, daß wir wol noch nach einem
Menschenalter die Wirkungen ihrer Taktik spüren werde».

Erklärt man sich entschieden für das Alte, so gelingt es vielleicht, die alte
Städteordnung vor dem modernen Vandalismus zu retten. Die wenige» Punkte
dieses Gesetzes, die de» jetzige» Verhält»lösen nicht mehr angemessen sind, kommen
nicht in Anschlag gegen die großen Vortheile, durch Aufrechthaltung dieser Ord¬
nung wenigstens hier und dort der bürgerlichen Selbstständigkeit ein Asyl gerettet,
dnrch Bewahrung des Ballotö wenigstens die städtischen Commnnalwahlcn vor
der jetzt üblichen Benutzung durch das Gouvernement gesichert, und el» an großen
und fruchtbaren Ideen reiches Erbe »uversehrt einer gesitteten und dankbare»
Nachwelt erhalten zu haben. Auf dem platten Lande bleiben dann freilich die
unglücklichen Zustände; allein daS ist noch immer besser, als wenn man anch Hie¬
her der bureaukratischen Invasion die Wege bahnt. Ein Bedürfniß, das man
seit 5«) Jahren lebhaft empfunden, bleibt dann freilich unbefriedigt; aber das ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/232>, abgerufen am 05.07.2024.