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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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pflegen zu können, gebildet sind, treten alle anderen, über die Ausdehnung deö
Gemeindebürgcrrechtö, über die Art der Verwaltung n. s. f. vorläufig in den Hinter¬
grund. Sie wird an so wichtiger, je schwieriger die Aufgabe der Gemeinde von
Jahr zu Jahr wird, je mehr man von ihr -- und nicht vom Staat -- erwartet, daß
sie durch Hebung des geistigen und materiellen Wohls an der Losung der soci¬
alen Frage nach Kräften arbeite. Um den Gemeinden einen bedeutsamen Inhalt
zu geben, der auch das Interesse der gebildeteren Insassen zu erregen geeignet war,
mußte es wünschenswert!) scheinen, sie an die kirchlichen Verbände, wenigstens
an Schnlverbändc anzulehnen, in ihnen die Mittel zu vereinigen, daß die Armen¬
pflege auch in vorsorglicher Weise -- jede andere ist nnr ein unzulängliches
Palliativ -- durch Begründung von Sparkassen, Altersversvrgnngskassen, Arbeits-
lvcalen u. s. s. gehandhabt werden konnte, daß die Sorge für den Wegebau in
einer das materielle Wohl hebenden und zugleich die Armenpflege erleichternden
Weise ausgeübt werde" konnte. Es war zugleich daran zu denken, daß man
später ein Institut, wie das der Friedensrichter, an die Gemeinde anlehnen könne.

Der Entwurf des Gesetzes ließ zu einer solchen Organisation möglichst
freie Hand; er bestimmte -l: "Zu einer Gemeinde gehören alle innerhalb ihres
Bezirks gelegenen Grundstücke. Jedes Grundstück muß einem Gemeindebezirk
angehören," und 66: "Gemeinden, die für sich allein den Zwecken des Gemeinde-
Verbandes und den Bedürfnissen der örtlichen Verwaltung nicht genügen, bilden
mit benachbarten Gemeinden eine Sammtgemeinde." Man mochte nur bedauern,
daß die "Zwecke des Gemeindeverbaudeö" in dem Gesetz nicht genauer bezeichnet
waren, und daß nicht ein Minimum der Bevölkerung für eine Gemeinde fest¬
gesetzt war/

Allein die Kammern verdarben jene heilsamen Bestimmungen. Statt des
ersten Grundsatzes wurde festgestellt: "Jedes Grundstück muß einem Gemeinde¬
bezirk angehören oder einen solchen bilden;" -- und § 66 erhielt folgende
Gestalt: "Gemeinden, die für sich allein den Zwecken des Gemeindeverbaudeö nicht
entsprechen, können sich mit einer oder mehreren Gemeinden zu eiuer Sammt¬
gemeinde verbinden." Indem man einzelne Grundstücke isolirt ließ, vernich¬
tete man den Begriff der Gemeinde, und damit die Seele des Gesetzes; und
in den man Gemeinden, "die für sich allein den Zwecken des GemeindcverbandeS
nicht entsprechen," nichts desto weniger in dieser Unzulänglichkeit fortzuexistiren ge¬
stattete, verlor mau den ganzen Zweck des Gesetzes, die Organisation ans
dem Auge. Gerade sür solche Gemeinden war ein Gesetz von Nöthen; für die¬
jenigen, die für sich allein den Zwecken des GemeindcverbandeS bereits entspra¬
chen, konnte man es ganz oder wenigstens viel leichter entbehren.

Die Nachwelt wird einige Mühe haben zu begreifen, wie man eine Bestim¬
mung in ein Gesetz aufnehmen konnte, die seinem Hauptzweck direct zuwiderlief.
Und in der That ist die Anordnung, daß Ortschaften, die sür sich allein dem


pflegen zu können, gebildet sind, treten alle anderen, über die Ausdehnung deö
Gemeindebürgcrrechtö, über die Art der Verwaltung n. s. f. vorläufig in den Hinter¬
grund. Sie wird an so wichtiger, je schwieriger die Aufgabe der Gemeinde von
Jahr zu Jahr wird, je mehr man von ihr — und nicht vom Staat — erwartet, daß
sie durch Hebung des geistigen und materiellen Wohls an der Losung der soci¬
alen Frage nach Kräften arbeite. Um den Gemeinden einen bedeutsamen Inhalt
zu geben, der auch das Interesse der gebildeteren Insassen zu erregen geeignet war,
mußte es wünschenswert!) scheinen, sie an die kirchlichen Verbände, wenigstens
an Schnlverbändc anzulehnen, in ihnen die Mittel zu vereinigen, daß die Armen¬
pflege auch in vorsorglicher Weise — jede andere ist nnr ein unzulängliches
Palliativ — durch Begründung von Sparkassen, Altersversvrgnngskassen, Arbeits-
lvcalen u. s. s. gehandhabt werden konnte, daß die Sorge für den Wegebau in
einer das materielle Wohl hebenden und zugleich die Armenpflege erleichternden
Weise ausgeübt werde» konnte. Es war zugleich daran zu denken, daß man
später ein Institut, wie das der Friedensrichter, an die Gemeinde anlehnen könne.

Der Entwurf des Gesetzes ließ zu einer solchen Organisation möglichst
freie Hand; er bestimmte -l: „Zu einer Gemeinde gehören alle innerhalb ihres
Bezirks gelegenen Grundstücke. Jedes Grundstück muß einem Gemeindebezirk
angehören," und 66: „Gemeinden, die für sich allein den Zwecken des Gemeinde-
Verbandes und den Bedürfnissen der örtlichen Verwaltung nicht genügen, bilden
mit benachbarten Gemeinden eine Sammtgemeinde." Man mochte nur bedauern,
daß die „Zwecke des Gemeindeverbaudeö" in dem Gesetz nicht genauer bezeichnet
waren, und daß nicht ein Minimum der Bevölkerung für eine Gemeinde fest¬
gesetzt war/

Allein die Kammern verdarben jene heilsamen Bestimmungen. Statt des
ersten Grundsatzes wurde festgestellt: „Jedes Grundstück muß einem Gemeinde¬
bezirk angehören oder einen solchen bilden;" — und § 66 erhielt folgende
Gestalt: „Gemeinden, die für sich allein den Zwecken des Gemeindeverbaudeö nicht
entsprechen, können sich mit einer oder mehreren Gemeinden zu eiuer Sammt¬
gemeinde verbinden." Indem man einzelne Grundstücke isolirt ließ, vernich¬
tete man den Begriff der Gemeinde, und damit die Seele des Gesetzes; und
in den man Gemeinden, „die für sich allein den Zwecken des GemeindcverbandeS
nicht entsprechen," nichts desto weniger in dieser Unzulänglichkeit fortzuexistiren ge¬
stattete, verlor mau den ganzen Zweck des Gesetzes, die Organisation ans
dem Auge. Gerade sür solche Gemeinden war ein Gesetz von Nöthen; für die¬
jenigen, die für sich allein den Zwecken des GemeindcverbandeS bereits entspra¬
chen, konnte man es ganz oder wenigstens viel leichter entbehren.

Die Nachwelt wird einige Mühe haben zu begreifen, wie man eine Bestim¬
mung in ein Gesetz aufnehmen konnte, die seinem Hauptzweck direct zuwiderlief.
Und in der That ist die Anordnung, daß Ortschaften, die sür sich allein dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/186>, abgerufen am 24.07.2024.