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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Magens befriedigen konnten, erscholl der Ruf: Weiter! Wir erhoben uns; doch
wie groß war unser Schreck, als wir vernahmen, wir hätten uns von jetzt ab
nur unsrer eigenen Füße zu bedienen, denn es sei, zumal im Juni, zu gefährlich,
denselben beritten weiter zu verfolgen. Die Führer fürchteten, der Schnee könne
von der Hitze schon zu morsch geworden sein, um noch einen Maulesel zu tragen,
die Eisrinde leicht durchbrechen, und Roß und Reiter seien der Gefahr ausgesetzt,
das Leben daran setzen zu müssen. Gegen dergleichen von der Vernunft, wie es
schien, dictirte Argumente ließ sich freilich nichts einwenden; mit Ergebung fügten
wir uns in das Unvermeidliche und richteten uns zum Marsche ein.

Es mochte damals wol 10 Uhr sein und die Nacht war vollständig herein¬
gebrochen. Der Vollmond glänzte an dem sammetschwarzen, wolkenlosen Himmel,
und Millionen von blinkenden Sternen schauten gleich so viel Edelsteinen auf
uns hernieder. Wir hatten kein Thermometer bei uns, allein nach dem Hauche
zu schließen, der unsrem Munde und den Nüstern unsrer Thiere entströmte, mußte
der Temperaturstand schon ein sehr niedriger sein. Die Kälte setzte uns auch
wirklich so empfindlich zu, daß wir nach dem Reste unsres Aetnacvstums griffen,
und die Handschuhe über die steifen Finger, die Strümpfe über die erstarrten
Füße und die Schlafmütze bis tief unter die Ohren zogen. So herausgeputzt
und mit einem tüchtigen mit einer eisernen Spitze versehenen Stocke bewaffnet
gingen wir in Gottes Namen vorwärts, Jeder hinter seinem mit einer brennenden
Fackel versehenen Führer her. Wer den Aufzug mit ansah, ohne zu wissen, was
es mit ihm für eine Bewandniß habe, mußte glauben, eine Schaar Nachtgespenster
oder Tollhauscandidaten vor sich zu sehen, denn solchen glichen wir in unsrem
Costum aufs Haar.

Zweihundert Schritte jenseits der Casa del Bosco traten wir aus dem Walde,
wenn anders einzeln stehende zwerghafte Bäume noch diesen Namen verdienen;
noch zweihundert Schritte weiter, und wir standen an der Grenze der Region
des ewigen Schnees, von wo aus das Auge schon bequem und ohne Hindernisse
nach allen Himmelsgegenden schauen konnte. Ueber uns breitete sich das stern-
besäete Himmelsgewölbe aus, hinter uns der dunkle, rauschende Wald, und vor
uns der im Lichte des Mondes gleich Edelsteinen glitzernde Schneeberg, dessen
Gipfel der schwarze, rauchende Krater krönte; kann man sich etwas Großartigeres
denken? Die optische Täuschung war hier, wie dies ja bei vielen Bergen der
Fall ist, so groß, daß es schien, als könne man das vor uns sich erhebende
Schneefeld in einer Viertelstunde durchlaufen und den Gipfel des Berges fünf
Minute" darauf erreichen. Wir sollten erfahren, daß wir dazu noch beinahe neun
sehr saure Stunden nöthig hatten!

Ein halbstündiger Marsch im Schnee überzeugte uns, der gute Rath, den
Weg zu Fuße zurückzulegen, sei mehr im Interesse der Thiere gegeben worden,
als unsrer selbst, denn dasjenige, was man hier gewöhnlich Schuee nennt und


Magens befriedigen konnten, erscholl der Ruf: Weiter! Wir erhoben uns; doch
wie groß war unser Schreck, als wir vernahmen, wir hätten uns von jetzt ab
nur unsrer eigenen Füße zu bedienen, denn es sei, zumal im Juni, zu gefährlich,
denselben beritten weiter zu verfolgen. Die Führer fürchteten, der Schnee könne
von der Hitze schon zu morsch geworden sein, um noch einen Maulesel zu tragen,
die Eisrinde leicht durchbrechen, und Roß und Reiter seien der Gefahr ausgesetzt,
das Leben daran setzen zu müssen. Gegen dergleichen von der Vernunft, wie es
schien, dictirte Argumente ließ sich freilich nichts einwenden; mit Ergebung fügten
wir uns in das Unvermeidliche und richteten uns zum Marsche ein.

Es mochte damals wol 10 Uhr sein und die Nacht war vollständig herein¬
gebrochen. Der Vollmond glänzte an dem sammetschwarzen, wolkenlosen Himmel,
und Millionen von blinkenden Sternen schauten gleich so viel Edelsteinen auf
uns hernieder. Wir hatten kein Thermometer bei uns, allein nach dem Hauche
zu schließen, der unsrem Munde und den Nüstern unsrer Thiere entströmte, mußte
der Temperaturstand schon ein sehr niedriger sein. Die Kälte setzte uns auch
wirklich so empfindlich zu, daß wir nach dem Reste unsres Aetnacvstums griffen,
und die Handschuhe über die steifen Finger, die Strümpfe über die erstarrten
Füße und die Schlafmütze bis tief unter die Ohren zogen. So herausgeputzt
und mit einem tüchtigen mit einer eisernen Spitze versehenen Stocke bewaffnet
gingen wir in Gottes Namen vorwärts, Jeder hinter seinem mit einer brennenden
Fackel versehenen Führer her. Wer den Aufzug mit ansah, ohne zu wissen, was
es mit ihm für eine Bewandniß habe, mußte glauben, eine Schaar Nachtgespenster
oder Tollhauscandidaten vor sich zu sehen, denn solchen glichen wir in unsrem
Costum aufs Haar.

Zweihundert Schritte jenseits der Casa del Bosco traten wir aus dem Walde,
wenn anders einzeln stehende zwerghafte Bäume noch diesen Namen verdienen;
noch zweihundert Schritte weiter, und wir standen an der Grenze der Region
des ewigen Schnees, von wo aus das Auge schon bequem und ohne Hindernisse
nach allen Himmelsgegenden schauen konnte. Ueber uns breitete sich das stern-
besäete Himmelsgewölbe aus, hinter uns der dunkle, rauschende Wald, und vor
uns der im Lichte des Mondes gleich Edelsteinen glitzernde Schneeberg, dessen
Gipfel der schwarze, rauchende Krater krönte; kann man sich etwas Großartigeres
denken? Die optische Täuschung war hier, wie dies ja bei vielen Bergen der
Fall ist, so groß, daß es schien, als könne man das vor uns sich erhebende
Schneefeld in einer Viertelstunde durchlaufen und den Gipfel des Berges fünf
Minute» darauf erreichen. Wir sollten erfahren, daß wir dazu noch beinahe neun
sehr saure Stunden nöthig hatten!

Ein halbstündiger Marsch im Schnee überzeugte uns, der gute Rath, den
Weg zu Fuße zurückzulegen, sei mehr im Interesse der Thiere gegeben worden,
als unsrer selbst, denn dasjenige, was man hier gewöhnlich Schuee nennt und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/82>, abgerufen am 20.10.2024.