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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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bunten Bevölkerung zuschauen? wo sind sie hergekommen? sind sie vom Lande
herübergezaubert, oder der dunklen Tiefe entstiegen? Der Tiefe sind sie entstiegen,
aber weder der höllischen Tiefe, noch dem Schooße des Vaters der Gewässer:
das Zwischendeck des James Edward hat sie heraufgesandt: es sind unsre alten
Freunde, die Stecrage- und Zwischendeckpassagiere, unsre treuen Gefährten, welche
sich anschicken, ihr Haus zu verlassen. Die alten, schon in Deutschland abgetra¬
genen Lumpen, welche nach siebenwöchentlicher enger Berührung mit Theer
und Schmuz, mit Speise und Trank, mit Nägeln und Haken ihrem Begriffe
jetzt erst recht entsprachen, waren über Bord geworfen den Fluthen übergeben,
oder hatten in irgend einem Winkel der Cojeu ein bescheidenes Plätzchen gefunden;
die Bärte waren der Schärfe des Messers gewichen, und anstatt der deutschen
Mützen prangte ein wvhlgebürsteter schwarzer Hut auf den Köpfen der Gentlemen
während die Ladies Hut und Schleier horvorgesncht hatten -- kurz unsre Aus¬
wanderungsgesellschaft machte dem deutschen Vaterlande (wenn Kleider den ameri¬
kanischen Gentleman machen) nur Ehre. Allein deu deutschen Bauer konnten
die hohen, blanken Stiefeln und der blaue, lange Nock, die breitdecklige Mütze
und die plumpe Haltung nicht verläugnen, und den aufmerksamen Beobachter
konnten auch alle übrigen Passagiere nicht täuschen, wenn er die frische Gesichts¬
farbe, die von Gesundheit strotzenden Backen mit den hagern, blassen Gesichtern
der Amerikaner verglich.

Die Sonne hatte in Amerika ihren Lauf noch nicht beendet, während sie
sich in Deutschland schon längst zur Ruhe begeben hatte, da kündigte ein Stoß,
der das Gebäude erzittern machte, und zu gleicher Zeit ein Rasseln an den Tauen
die Landung an -- jetzt erst wäre es Zeit gewesen, den Ruf Land! Land! er¬
tönen zu lassen -- einige Breter bildeten bald eine Brücke, und wenige Minuten
später hatten wir festen Boden unter unsren Füßen, -- seit zwei Monaten zum
ersten Male wieder festen Boden; aber wir schwankten nicht, und gingen auch
nicht mit ausgespreizten Beinen, wie uns von denen prophezeit worden war,
welche einmal eine Seereise unternommen hatten, und mit der Wichtigkeit und
dem Einflüsse eines solchen Unternehmens renommirten -- wir gingen gerade und
fest aus amerikanischem Festlande, wie wir in Deutschland gewohnt gewesen waren.

Wir durften an diesem Tage unser Gepäck noch nicht aus dem Schiffe fort¬
schaffen, weil erst am folgenden Morgen die Steuerbeamten uns ihren Besuch
zugedacht hatten; hingegen war es jedem Einzelnen gestattet, in eigener Person
und mit so viel von seinem Hab' und Gut, als er unter den Armen tragen konnte,
das Schiff zu verlassen. Die meisten der Passagiere, vornehmlich diejenigen,
welche nicht längere Zeit in New-Orleans zu bleiben gedachten, zogen es vor,
die Nacht auf dem Schiffe zuzubringen, theils um der Unbequemlichkeit, welche
das Aufsuchen eines Gasthauses verursacht, zu entgehen, theils auch, um ihre
Habseligkeiten während der Nacht zu schützen. Da nun so viele Wächter auf


bunten Bevölkerung zuschauen? wo sind sie hergekommen? sind sie vom Lande
herübergezaubert, oder der dunklen Tiefe entstiegen? Der Tiefe sind sie entstiegen,
aber weder der höllischen Tiefe, noch dem Schooße des Vaters der Gewässer:
das Zwischendeck des James Edward hat sie heraufgesandt: es sind unsre alten
Freunde, die Stecrage- und Zwischendeckpassagiere, unsre treuen Gefährten, welche
sich anschicken, ihr Haus zu verlassen. Die alten, schon in Deutschland abgetra¬
genen Lumpen, welche nach siebenwöchentlicher enger Berührung mit Theer
und Schmuz, mit Speise und Trank, mit Nägeln und Haken ihrem Begriffe
jetzt erst recht entsprachen, waren über Bord geworfen den Fluthen übergeben,
oder hatten in irgend einem Winkel der Cojeu ein bescheidenes Plätzchen gefunden;
die Bärte waren der Schärfe des Messers gewichen, und anstatt der deutschen
Mützen prangte ein wvhlgebürsteter schwarzer Hut auf den Köpfen der Gentlemen
während die Ladies Hut und Schleier horvorgesncht hatten — kurz unsre Aus¬
wanderungsgesellschaft machte dem deutschen Vaterlande (wenn Kleider den ameri¬
kanischen Gentleman machen) nur Ehre. Allein deu deutschen Bauer konnten
die hohen, blanken Stiefeln und der blaue, lange Nock, die breitdecklige Mütze
und die plumpe Haltung nicht verläugnen, und den aufmerksamen Beobachter
konnten auch alle übrigen Passagiere nicht täuschen, wenn er die frische Gesichts¬
farbe, die von Gesundheit strotzenden Backen mit den hagern, blassen Gesichtern
der Amerikaner verglich.

Die Sonne hatte in Amerika ihren Lauf noch nicht beendet, während sie
sich in Deutschland schon längst zur Ruhe begeben hatte, da kündigte ein Stoß,
der das Gebäude erzittern machte, und zu gleicher Zeit ein Rasseln an den Tauen
die Landung an — jetzt erst wäre es Zeit gewesen, den Ruf Land! Land! er¬
tönen zu lassen — einige Breter bildeten bald eine Brücke, und wenige Minuten
später hatten wir festen Boden unter unsren Füßen, — seit zwei Monaten zum
ersten Male wieder festen Boden; aber wir schwankten nicht, und gingen auch
nicht mit ausgespreizten Beinen, wie uns von denen prophezeit worden war,
welche einmal eine Seereise unternommen hatten, und mit der Wichtigkeit und
dem Einflüsse eines solchen Unternehmens renommirten — wir gingen gerade und
fest aus amerikanischem Festlande, wie wir in Deutschland gewohnt gewesen waren.

Wir durften an diesem Tage unser Gepäck noch nicht aus dem Schiffe fort¬
schaffen, weil erst am folgenden Morgen die Steuerbeamten uns ihren Besuch
zugedacht hatten; hingegen war es jedem Einzelnen gestattet, in eigener Person
und mit so viel von seinem Hab' und Gut, als er unter den Armen tragen konnte,
das Schiff zu verlassen. Die meisten der Passagiere, vornehmlich diejenigen,
welche nicht längere Zeit in New-Orleans zu bleiben gedachten, zogen es vor,
die Nacht auf dem Schiffe zuzubringen, theils um der Unbequemlichkeit, welche
das Aufsuchen eines Gasthauses verursacht, zu entgehen, theils auch, um ihre
Habseligkeiten während der Nacht zu schützen. Da nun so viele Wächter auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/70>, abgerufen am 20.10.2024.