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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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solchen Höhe an, daß nichts weniger, als die Vernichtung des Adels als Stand
ihn befriedigen konnte. Der heftigen Ueberstürzung folgte jedoch unerwartet schnell
ein noch heftigerer Rückschlag. Materielle Verluste hatte allerdings die Ritter¬
schaft erlitten, die selbst der reißende Strom der Reaction ihr nicht wiederbringen
konnte, Privilegien eingebüßt, die, zwar werthlos oder selbst schädlich, ihr den¬
noch sehr am Herzen lagen, aber ihre Organisation und deshalb ihre Macht als
Partei hob sich in einem Maße, von dem die preußische Geschichte kein Beispiel
liefert.

Seit jener großen Katastrophe befindet sich Preußen in einem, wenn man
so sagen darf, unausgesetzten Verfafsuugsproceß. Durch die überraschende Gewalt
einer Umwälzung, die bis hart vor ihrem Ausbruch Niemand ahnte, in den Con-
stitutionalismus gestürzt, ist die vereinte Arbeit der Regierung und der Junker¬
partei seither dahin gerichtet, aus- den Banden dieses verhaßten Systems wieder
hinauszukommen. So lange diese Arbeit hauptsächlich darin bestand, die Institutio¬
nen niederzureißen oder zu entkräften, welche aus dem Sturm der Märztage sich
erhoben hatten, war die Einigkeit zwischen den beiden Factoren der reactivnairen
Bewegung erträglich, seitdem man aber so weit gekommen ist, neue Schöpfungen
an ihre Stelle setzen zu sollen, gerathen die beiderseitigen Ansprüche in Zwist mit
einander.

Die Ereignisse von -I8i8 und der nachfolgenden Jahre haben die Stellung
der Ritterschaft zum Volke wie zur Krone wesentlich geändert. Der Gegensatz
ihrer Standesiuteressen zu den allgemeinen ist schroffer, als je, hervorgetreten.
Die Schädigungen, die sie erlitten, die schwereren, mit denen sie bedroht wurde,
die dadurch in sie gebrachte Thätigkeit und der eifrige Antheil, den sie als Partei
an den Verhandlungen der Kammern genommen hat, haben nach der einen Seite
hin ihren Gesichtskreis verengt, nach der andern erweitert. Sie verfolgt die eng¬
herzigsten Zwecke, sie verfolgt sie aber mit Mitteln, denen sie in ihrer langen,
unterwürfigen ^Anhänglichkeit an das Königthum sich gänzlich entfremdet hatte.
Zwar ist sie dem Constitutionalismus feindlicher als je und ungeduldig, die jetzigen
Kammern durch eine ständisch gegliederte Vertretung zu ersetzen. Während sie
aber vor dem März jeder Beschränkung der königlichen Gewalt zu Gunsten der
ständischen Rechte sich widersetzte, würde sie sich heute eiuer Zurückführung der
ständischen Rechte -- sobald nämlich die Stände wiederhergestellt sind -- ans
das bescheidene vormärzliche Maß widersetzen.

Ihre blinde Ehrfurcht vor dem unumschränkten Königthum ist somit wesentlich
erschüttert. Allerdings erleichtern ihr die Verhältnisse die Verfolgung dieser Prä¬
tensionen. Es handelt sich nichl darum, der Krone Rechte zu nehmen, es handelt
sich vielmehr nur darum, ihr nicht alle zurück zu geben, die sie durch die jetzt
bestehende Verfassung mit den Kammern theilt. Etwas davon, und etwas Wesent¬
liches, soll auf die Stände übergehen, deren wichtigstes Glied die Ritterschaft sein


solchen Höhe an, daß nichts weniger, als die Vernichtung des Adels als Stand
ihn befriedigen konnte. Der heftigen Ueberstürzung folgte jedoch unerwartet schnell
ein noch heftigerer Rückschlag. Materielle Verluste hatte allerdings die Ritter¬
schaft erlitten, die selbst der reißende Strom der Reaction ihr nicht wiederbringen
konnte, Privilegien eingebüßt, die, zwar werthlos oder selbst schädlich, ihr den¬
noch sehr am Herzen lagen, aber ihre Organisation und deshalb ihre Macht als
Partei hob sich in einem Maße, von dem die preußische Geschichte kein Beispiel
liefert.

Seit jener großen Katastrophe befindet sich Preußen in einem, wenn man
so sagen darf, unausgesetzten Verfafsuugsproceß. Durch die überraschende Gewalt
einer Umwälzung, die bis hart vor ihrem Ausbruch Niemand ahnte, in den Con-
stitutionalismus gestürzt, ist die vereinte Arbeit der Regierung und der Junker¬
partei seither dahin gerichtet, aus- den Banden dieses verhaßten Systems wieder
hinauszukommen. So lange diese Arbeit hauptsächlich darin bestand, die Institutio¬
nen niederzureißen oder zu entkräften, welche aus dem Sturm der Märztage sich
erhoben hatten, war die Einigkeit zwischen den beiden Factoren der reactivnairen
Bewegung erträglich, seitdem man aber so weit gekommen ist, neue Schöpfungen
an ihre Stelle setzen zu sollen, gerathen die beiderseitigen Ansprüche in Zwist mit
einander.

Die Ereignisse von -I8i8 und der nachfolgenden Jahre haben die Stellung
der Ritterschaft zum Volke wie zur Krone wesentlich geändert. Der Gegensatz
ihrer Standesiuteressen zu den allgemeinen ist schroffer, als je, hervorgetreten.
Die Schädigungen, die sie erlitten, die schwereren, mit denen sie bedroht wurde,
die dadurch in sie gebrachte Thätigkeit und der eifrige Antheil, den sie als Partei
an den Verhandlungen der Kammern genommen hat, haben nach der einen Seite
hin ihren Gesichtskreis verengt, nach der andern erweitert. Sie verfolgt die eng¬
herzigsten Zwecke, sie verfolgt sie aber mit Mitteln, denen sie in ihrer langen,
unterwürfigen ^Anhänglichkeit an das Königthum sich gänzlich entfremdet hatte.
Zwar ist sie dem Constitutionalismus feindlicher als je und ungeduldig, die jetzigen
Kammern durch eine ständisch gegliederte Vertretung zu ersetzen. Während sie
aber vor dem März jeder Beschränkung der königlichen Gewalt zu Gunsten der
ständischen Rechte sich widersetzte, würde sie sich heute eiuer Zurückführung der
ständischen Rechte — sobald nämlich die Stände wiederhergestellt sind — ans
das bescheidene vormärzliche Maß widersetzen.

Ihre blinde Ehrfurcht vor dem unumschränkten Königthum ist somit wesentlich
erschüttert. Allerdings erleichtern ihr die Verhältnisse die Verfolgung dieser Prä¬
tensionen. Es handelt sich nichl darum, der Krone Rechte zu nehmen, es handelt
sich vielmehr nur darum, ihr nicht alle zurück zu geben, die sie durch die jetzt
bestehende Verfassung mit den Kammern theilt. Etwas davon, und etwas Wesent¬
liches, soll auf die Stände übergehen, deren wichtigstes Glied die Ritterschaft sein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/495>, abgerufen am 20.10.2024.