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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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als rein chemischen und physikalischen Gesetzen folgend, darzustellen, sie nach
mathematischen Formeln zu berechnen, ist jetzt eine Salute entgegengetreten, die
nicht blos über alle wirklichen Fortschritte der Wissenschaft hochmüthig hinwegsieht,
sondern überhaupt jede verständige Betrachtung der Natur verwirft, und nun
mit dem Gemüthe an ihre Pforten klopfen möchte. Dem größern Publicum
konnte dieser Zwiespalt nicht verborgen bleiben, und wie gewöhnlich wendet die
Menge sich dem Neuen zu. Dieselben gebildeten Laien, die vor einigen Jahren
für Liebig's geistreiche Hypothesen geschwärmt hatten, "erkiesen sich jetzt mit Vor¬
liebe in Ennemoser's und Schubart's Aufschlüsse über die dunkelsten Gebiete des
körperlichen und geistigen Lebens. Nie fanden Hellseher und Magnetisenre ein
ergiebigeres Feld ihrer Thätigkeit, als in unsrer glaubensstarken Zeit, die
öffentlichen Blätter wimmeln von Dankadressen für wunderthätige Heilungen solcher
Kranken, die von allen Aerzten längst ausgegeben waren, und selbst in der
"Metropole der Intelligenz" taucht von Zeit zu Zeit eine besonders inspirirte
Somnambule auf, die zahlreiche Neophyten, selbst aus den höchsten Stauden an
ihren Dreifuß fesselt, bis die Freundin der Wahrheit, die Polizei, mit unzarter
Hand den geheimnißvollen Schleier lüftet und -- Betrüger entlarvt. Neben der
fruchtbringenden Literatur, welche die Resultate der Wissenschaft in popnlairer
Sprache einem größern Leserkreise mittheilt, und mit dem Aberglauben einen
erfolgreichen Kampf führt, haben die letzten Jahre eine große Anzahl jvon
Schriften gezeitigt, die uns jene längst überwundene, mystische Naturbetrachtung
wiedergeben möchten, die uns immer von Neuem zurufen, daß viele Dinge im
Himmel und ans Erden seien, von denen sich unsre Schulweisheit nichts träumen
läßt. Namentlich von dem blasirten Theil der höheren Stände, die bis dahin,
weil es zum guten Ton gehörte, sich mit Humboldt's Kosmos quälten, wird
diese leichtere Lectüre eifrig gesucht. -

Zu den Büchern, mit denen jetzt die Buchhändler Geschäfte machen, gehören
diese ,,odisch-magnetischen Briefe."

Als diese Briefe vor einem Jahr theilweise in der Augsburger Allgemeinen
Zeitung erschienen, folgte man recht gern dem fedcrgewcmdteN Verfasser > auf den
dunkelen Pfaden, die er seine Leser führte; oft wandte man sich ermüdet von der
wenig erfreulichen Politik, und hieß dann in der Beilage diese Speculationen
eines phantasiereichen Kopses willkommen. Jetzt aber, wo diese Briefe zu einem
Büchlein vereinigt, gefeilt, ergänzt sind, treten sie mit dem Anspruch vor uns hin,
einen Fortschritt in der Wissenschaft zu bezeichnen, sie fordern die Kritik in die
Schranken. In diesen Blättern beschränke ich mich indeß auf ein Referat über
den Inhalt des Buchs, denn um gewissenhaft Kritik zu üben, müßte man dem
Versasser nachexverimentiren. Das that ich nicht. Wenn es mir als Arzt auch
nicht schwer geworden wäre, eine Menge sensitiver Personen zu finden, die Alles
sehen, hören, fühlen würden, was ich von ihnen verlangte, so zweifle ich doch an


als rein chemischen und physikalischen Gesetzen folgend, darzustellen, sie nach
mathematischen Formeln zu berechnen, ist jetzt eine Salute entgegengetreten, die
nicht blos über alle wirklichen Fortschritte der Wissenschaft hochmüthig hinwegsieht,
sondern überhaupt jede verständige Betrachtung der Natur verwirft, und nun
mit dem Gemüthe an ihre Pforten klopfen möchte. Dem größern Publicum
konnte dieser Zwiespalt nicht verborgen bleiben, und wie gewöhnlich wendet die
Menge sich dem Neuen zu. Dieselben gebildeten Laien, die vor einigen Jahren
für Liebig's geistreiche Hypothesen geschwärmt hatten, »erkiesen sich jetzt mit Vor¬
liebe in Ennemoser's und Schubart's Aufschlüsse über die dunkelsten Gebiete des
körperlichen und geistigen Lebens. Nie fanden Hellseher und Magnetisenre ein
ergiebigeres Feld ihrer Thätigkeit, als in unsrer glaubensstarken Zeit, die
öffentlichen Blätter wimmeln von Dankadressen für wunderthätige Heilungen solcher
Kranken, die von allen Aerzten längst ausgegeben waren, und selbst in der
„Metropole der Intelligenz" taucht von Zeit zu Zeit eine besonders inspirirte
Somnambule auf, die zahlreiche Neophyten, selbst aus den höchsten Stauden an
ihren Dreifuß fesselt, bis die Freundin der Wahrheit, die Polizei, mit unzarter
Hand den geheimnißvollen Schleier lüftet und — Betrüger entlarvt. Neben der
fruchtbringenden Literatur, welche die Resultate der Wissenschaft in popnlairer
Sprache einem größern Leserkreise mittheilt, und mit dem Aberglauben einen
erfolgreichen Kampf führt, haben die letzten Jahre eine große Anzahl jvon
Schriften gezeitigt, die uns jene längst überwundene, mystische Naturbetrachtung
wiedergeben möchten, die uns immer von Neuem zurufen, daß viele Dinge im
Himmel und ans Erden seien, von denen sich unsre Schulweisheit nichts träumen
läßt. Namentlich von dem blasirten Theil der höheren Stände, die bis dahin,
weil es zum guten Ton gehörte, sich mit Humboldt's Kosmos quälten, wird
diese leichtere Lectüre eifrig gesucht. -

Zu den Büchern, mit denen jetzt die Buchhändler Geschäfte machen, gehören
diese ,,odisch-magnetischen Briefe."

Als diese Briefe vor einem Jahr theilweise in der Augsburger Allgemeinen
Zeitung erschienen, folgte man recht gern dem fedcrgewcmdteN Verfasser > auf den
dunkelen Pfaden, die er seine Leser führte; oft wandte man sich ermüdet von der
wenig erfreulichen Politik, und hieß dann in der Beilage diese Speculationen
eines phantasiereichen Kopses willkommen. Jetzt aber, wo diese Briefe zu einem
Büchlein vereinigt, gefeilt, ergänzt sind, treten sie mit dem Anspruch vor uns hin,
einen Fortschritt in der Wissenschaft zu bezeichnen, sie fordern die Kritik in die
Schranken. In diesen Blättern beschränke ich mich indeß auf ein Referat über
den Inhalt des Buchs, denn um gewissenhaft Kritik zu üben, müßte man dem
Versasser nachexverimentiren. Das that ich nicht. Wenn es mir als Arzt auch
nicht schwer geworden wäre, eine Menge sensitiver Personen zu finden, die Alles
sehen, hören, fühlen würden, was ich von ihnen verlangte, so zweifle ich doch an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/428>, abgerufen am 19.10.2024.