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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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zu bedeutenden Modifikationen seines Gesammturtheils gelangt sein, wenn er
z. B. Storch's Bauernstand einer nähern Beachtung gewürdigt hätte. Tanski,
Schmidt, Benkendorff, Moltke, Plotho und auch Gegner des russischen Heerwesens
wären seinen Studien über dasselbe jedenfalls recht nützlich gewesen. Allgemeine,
kategorische Wegwerfungen fremder Ansichten sind keine Beweise für die Richtig¬
keit der eigenen, Desavouirnug fremder positiver Angaben macht die eigenen
nicht zuverlässiger. -- Ueberdies durchlebte Hr. v. Haxthausen die Ausarbeitungs¬
jahre dieses 3. Bandes in Deutschland als aristokratischer Conservativer, als Mann
der äußersten Rechten und der gekränkten Standes- und Gesellschastsrechte. Er
läugnet dies nirgends. Leider giebt es seinem Werke abermals einen einseitigen
Standpunkt. Vollkommen richtig hatte er in den früheren Bänden die von
ihm wie eine neue Entdeckung behandelte und allerdings immer wieder hervor¬
zuhebende Wahrheit festgehalten, daß russisches Wesen, Sinn und Leben nicht mit
westeuropäischen Voraussetzungen aufzufassen, nicht nach westeuropäischen Anforde¬
rungen zu kritistren sei -- im vorliegenden dritten Bande steht er dagegen aus
dem Standpunkte, westeuropäische Zustände und Verhältnisse mit russischen Vor¬
aussetzungen zu betrachten und die Reorganisation der seines Erachtens desorga-
nistrten mitteleuropäischen Welt mit russischen Mitteln zu russischen Formen zu
wünschen. Dies tritt in empörender oder bemitleidenswerther Nacktheit namentlich
in jenem Abschnitte zu Tage, wo über Rußlands welthistorischen Beruf, seine
ethischen, physischen und politischen Kräfte und Richtungen die Rede ist. Wahrlich,
man möchte glauben, es sollte uns die drohende Zuchtruthe erschreckend vorgehalten,
oder es solle hilfeflehend an Rußlands Intervention appellirt werden. Aus den
Studien über Rußland werden Panegyriken auf die äußere Petersburger Politik,
werden Rechtfertigungen ihrer gewaltsamsten Einflüsse aus unser innerstes Leben.

Vor Allem sollen wir uns vor dem russischen Heere fürchten. Dies ist jetzt
ein allgemeines Losungswort, und Schreiber dieses hat selbst sein bescheidenes
Schärflein zum Umschwung der öffentlichen Meinung in dieser Richtung beigetragen,
als er 1848 wie 18i9 an verschiedenen Orten dem sinnlosen Kriegsgeschrei gegen
Rußland nähere Entwickelungen, genauere Angaben über den Geist und Körper
der russischen Armee warnend entgegenhielt. Aber 1832, da überall wieder
diplomatische Cabinetsklugheit am Ruder sitzt und der Soldat den Bürger dominirt,
da erscheinen Ausführungen, welche nicht blos die Stärken des Gegners (-- denn
das bleibt Rußland für Mitteleuropa in weit höherem Maße, als für Westeuropa --)
entwickeln, sondern deren Lob gleichzeitig zur Ossenlegung der heimischen, wahren
oder scheinbaren, Blößen benutzen--wir haben keinen Namen dafür. Eine
Brochure, welche Hr. v. Haxthausen selbst erwähnt, "Mißlands Politik und Heer
in den letzten Jahren," steht aus seinem eigenen allgemeinen politischen Standpunkte.
Hr. v. Haxthausen gesteht zu, daß ihre thatsächlichen Angaben über die russischen
Heereskräste und das Armeeleben seinen Resultaten gleichen. Aber diese Brochure


zu bedeutenden Modifikationen seines Gesammturtheils gelangt sein, wenn er
z. B. Storch's Bauernstand einer nähern Beachtung gewürdigt hätte. Tanski,
Schmidt, Benkendorff, Moltke, Plotho und auch Gegner des russischen Heerwesens
wären seinen Studien über dasselbe jedenfalls recht nützlich gewesen. Allgemeine,
kategorische Wegwerfungen fremder Ansichten sind keine Beweise für die Richtig¬
keit der eigenen, Desavouirnug fremder positiver Angaben macht die eigenen
nicht zuverlässiger. — Ueberdies durchlebte Hr. v. Haxthausen die Ausarbeitungs¬
jahre dieses 3. Bandes in Deutschland als aristokratischer Conservativer, als Mann
der äußersten Rechten und der gekränkten Standes- und Gesellschastsrechte. Er
läugnet dies nirgends. Leider giebt es seinem Werke abermals einen einseitigen
Standpunkt. Vollkommen richtig hatte er in den früheren Bänden die von
ihm wie eine neue Entdeckung behandelte und allerdings immer wieder hervor¬
zuhebende Wahrheit festgehalten, daß russisches Wesen, Sinn und Leben nicht mit
westeuropäischen Voraussetzungen aufzufassen, nicht nach westeuropäischen Anforde¬
rungen zu kritistren sei — im vorliegenden dritten Bande steht er dagegen aus
dem Standpunkte, westeuropäische Zustände und Verhältnisse mit russischen Vor¬
aussetzungen zu betrachten und die Reorganisation der seines Erachtens desorga-
nistrten mitteleuropäischen Welt mit russischen Mitteln zu russischen Formen zu
wünschen. Dies tritt in empörender oder bemitleidenswerther Nacktheit namentlich
in jenem Abschnitte zu Tage, wo über Rußlands welthistorischen Beruf, seine
ethischen, physischen und politischen Kräfte und Richtungen die Rede ist. Wahrlich,
man möchte glauben, es sollte uns die drohende Zuchtruthe erschreckend vorgehalten,
oder es solle hilfeflehend an Rußlands Intervention appellirt werden. Aus den
Studien über Rußland werden Panegyriken auf die äußere Petersburger Politik,
werden Rechtfertigungen ihrer gewaltsamsten Einflüsse aus unser innerstes Leben.

Vor Allem sollen wir uns vor dem russischen Heere fürchten. Dies ist jetzt
ein allgemeines Losungswort, und Schreiber dieses hat selbst sein bescheidenes
Schärflein zum Umschwung der öffentlichen Meinung in dieser Richtung beigetragen,
als er 1848 wie 18i9 an verschiedenen Orten dem sinnlosen Kriegsgeschrei gegen
Rußland nähere Entwickelungen, genauere Angaben über den Geist und Körper
der russischen Armee warnend entgegenhielt. Aber 1832, da überall wieder
diplomatische Cabinetsklugheit am Ruder sitzt und der Soldat den Bürger dominirt,
da erscheinen Ausführungen, welche nicht blos die Stärken des Gegners (— denn
das bleibt Rußland für Mitteleuropa in weit höherem Maße, als für Westeuropa —)
entwickeln, sondern deren Lob gleichzeitig zur Ossenlegung der heimischen, wahren
oder scheinbaren, Blößen benutzen--wir haben keinen Namen dafür. Eine
Brochure, welche Hr. v. Haxthausen selbst erwähnt, „Mißlands Politik und Heer
in den letzten Jahren," steht aus seinem eigenen allgemeinen politischen Standpunkte.
Hr. v. Haxthausen gesteht zu, daß ihre thatsächlichen Angaben über die russischen
Heereskräste und das Armeeleben seinen Resultaten gleichen. Aber diese Brochure


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/41>, abgerufen am 19.10.2024.