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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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sang aber doch wenigstens ungefähr hergestellt blieb. Zwar sah es etwas wunderlich
aus, als im letzten Act Ludovico die Rolle der Emilie übernahm und den Betrug mit
dem Schnupftuch entdeckte, von dem er doch unmöglich Kunde haben konnte, indeß
mochte man das doch hingehen lassen, da Herr Aldridge die ausschließliche Aufmerk¬
samkeit aus sich zog. Der erste Act machte keineswegs einen vortheilhaften Eindruck.
Eine Stimme, die trotz ihrer gewaltigen Naturkraft durch fortwährend übertriebene
Anstrengungen bereits gebrochen ist und nur noch keucht; eine Haltung, in der keine
Spur von Adel zu finden; eine Declamation, die mehr darauf ausgeht, grelle
Contraste hervorzuheben, als den Sinn entsprechend darzustellen, die zum Theil sogar
i" der Erzählung, von der Art, wie er die Liebe der Desdemona gewann, von einem
mangelhaftem Verständniß zeugte, das Alles war nicht vielversprechend. Auch noch zu
Anfang des zweiten Acts, wo Jago seine Eifersucht zunächst nur flüchtig rege macht,
war durch zu starkes Betonen und zu langes Verweilen auf diesem Moment der ersten
Leidenschaft das Spiel verfehlt. Dagegen war der Ausbruch der wirklichen Leidenschaft
glänzend dargestellt. Zwar können wir einzelne Laute, die zu bestialisch waren, um
unter den ästhetischen Maßstab zu fallen, nicht billigen, allein das Ganze zeugte doch
von einer großen Natnrbegabuug, die uns den Kampf des wilden Afrikaners mit seinen
besseren Empfindungen deutlicher versinnlichte, als wir es auch nur annähernd von einem
deutschen Schauspieler gesehen. Einzelne Züge, wo der tiefe Kummer des Herzens
die Leidenschaft übermannt, zeugten sogar von einem tiefen Gefühl. Allein die beiden
letzten Acte störten diesen guten und bedeutenden Eindruck wieder aus eine sehr unan¬
genehme Weise. Der Versuch, den Shakspeare zu überbieten, alle einzelnen Momente
seines großen Seelengemäldcs dctailartig zu verarbeiten und in's Grelle zu ziehen, dieses
beständig retardirende Spiel, in dem Körper und Miene sich allein ohne Beihilfe der
Worte wollten geltend machen, dieses fast ängstliche Haschen nach Contrasten, welches
die wildesten Naturlaute der entgegengesetztesten Art aufbot, um die Nerven zu erschüttern,
das Alles war uicht allein so geschmacklos als möglich, sondern es war auch geradezu
langweilig. Wenn man den ersten Eindruck auf die Nerven überwunden hat, so wird
man der ewigen Erschütterungen müde und sehnt sich nach dem Ende. Uebrigens
kamen auch da noch einige gute Momente vor. Der Eintritt Othello's in's Schlaf-
gemach der Desdemona war schlecht, affectirt und gab keine klare Stimmung an; da¬
gegen war die Art, wie er der Desdemona seinen Entschluß anzeigte, sehr schön gedacht
und fast ganz poetisch. Leider wurde man durch die lächerlich quiekende Stimme der
Desdemona fortwährend gestört, und da keine Emilie da war, aus deren Wuthausbruch
bei Shakspeare eigentlich wesentlich die Katastrophe beruht, so wurde der Effect nach
einer ganz falschen Richtung hingelenkt. Zuletzt merkte man wohl, daß die Folge der
Stimmungen wenigstens ungefähr richtig aufgefaßt war, aber nicht blos Othello verweilte
bei jeder derselben viel zu lauge, sondern anch die übrigen Mitspieler wetteiferten zur Ueber-
raschung des Publicums mit ihm, durch die wunderlichsten Grimassen die Geduld der Zuhörer
zu mißbrauchen; namentlich entwickelte Jago, der sich bis dahin ziemlich solide gehalten
hatte, plötzlich ein stummes Spiel, das einen mehr als lächerlichen Eindruck machte;
vielleicht mag das so in England Sitte sein, jedenfalls war es für den deutschen Zu¬
schauer unerträglich, nach Beendigung der Katastrophe noch eine halbe Stunde lang mit
unnatürlichen Verrenkungen gequält zu werden. Herr Aldridge schien, und darin hat er
mit der Rachel einige Nchnlichkcit, im letzten Moment noch alle feine Virtuosität auf¬
bieten zu wollen. Nachdem er sich den Dolch in's Herz gestoßen, versinnlichte er uns
zuerst nach der verabscheuungswürdigen Manier unserer Grimalsenschneider das materielle
Sterben, welches eine für die Kunst unanständige Beschäftigung ist; er röchelte, gähnte
u. s. w., wie es ja das Leipziger Publicum zu seiner größten Erbauung bereits mehr¬
fach von Herrn Kläger angesehen hat; zuletzt schlug er wie ein Bret auf den Boden,
mit einer solchen Gewalt, daß in der That ein afrikanischer Schädel dazu gehörte, um


sang aber doch wenigstens ungefähr hergestellt blieb. Zwar sah es etwas wunderlich
aus, als im letzten Act Ludovico die Rolle der Emilie übernahm und den Betrug mit
dem Schnupftuch entdeckte, von dem er doch unmöglich Kunde haben konnte, indeß
mochte man das doch hingehen lassen, da Herr Aldridge die ausschließliche Aufmerk¬
samkeit aus sich zog. Der erste Act machte keineswegs einen vortheilhaften Eindruck.
Eine Stimme, die trotz ihrer gewaltigen Naturkraft durch fortwährend übertriebene
Anstrengungen bereits gebrochen ist und nur noch keucht; eine Haltung, in der keine
Spur von Adel zu finden; eine Declamation, die mehr darauf ausgeht, grelle
Contraste hervorzuheben, als den Sinn entsprechend darzustellen, die zum Theil sogar
i» der Erzählung, von der Art, wie er die Liebe der Desdemona gewann, von einem
mangelhaftem Verständniß zeugte, das Alles war nicht vielversprechend. Auch noch zu
Anfang des zweiten Acts, wo Jago seine Eifersucht zunächst nur flüchtig rege macht,
war durch zu starkes Betonen und zu langes Verweilen auf diesem Moment der ersten
Leidenschaft das Spiel verfehlt. Dagegen war der Ausbruch der wirklichen Leidenschaft
glänzend dargestellt. Zwar können wir einzelne Laute, die zu bestialisch waren, um
unter den ästhetischen Maßstab zu fallen, nicht billigen, allein das Ganze zeugte doch
von einer großen Natnrbegabuug, die uns den Kampf des wilden Afrikaners mit seinen
besseren Empfindungen deutlicher versinnlichte, als wir es auch nur annähernd von einem
deutschen Schauspieler gesehen. Einzelne Züge, wo der tiefe Kummer des Herzens
die Leidenschaft übermannt, zeugten sogar von einem tiefen Gefühl. Allein die beiden
letzten Acte störten diesen guten und bedeutenden Eindruck wieder aus eine sehr unan¬
genehme Weise. Der Versuch, den Shakspeare zu überbieten, alle einzelnen Momente
seines großen Seelengemäldcs dctailartig zu verarbeiten und in's Grelle zu ziehen, dieses
beständig retardirende Spiel, in dem Körper und Miene sich allein ohne Beihilfe der
Worte wollten geltend machen, dieses fast ängstliche Haschen nach Contrasten, welches
die wildesten Naturlaute der entgegengesetztesten Art aufbot, um die Nerven zu erschüttern,
das Alles war uicht allein so geschmacklos als möglich, sondern es war auch geradezu
langweilig. Wenn man den ersten Eindruck auf die Nerven überwunden hat, so wird
man der ewigen Erschütterungen müde und sehnt sich nach dem Ende. Uebrigens
kamen auch da noch einige gute Momente vor. Der Eintritt Othello's in's Schlaf-
gemach der Desdemona war schlecht, affectirt und gab keine klare Stimmung an; da¬
gegen war die Art, wie er der Desdemona seinen Entschluß anzeigte, sehr schön gedacht
und fast ganz poetisch. Leider wurde man durch die lächerlich quiekende Stimme der
Desdemona fortwährend gestört, und da keine Emilie da war, aus deren Wuthausbruch
bei Shakspeare eigentlich wesentlich die Katastrophe beruht, so wurde der Effect nach
einer ganz falschen Richtung hingelenkt. Zuletzt merkte man wohl, daß die Folge der
Stimmungen wenigstens ungefähr richtig aufgefaßt war, aber nicht blos Othello verweilte
bei jeder derselben viel zu lauge, sondern anch die übrigen Mitspieler wetteiferten zur Ueber-
raschung des Publicums mit ihm, durch die wunderlichsten Grimassen die Geduld der Zuhörer
zu mißbrauchen; namentlich entwickelte Jago, der sich bis dahin ziemlich solide gehalten
hatte, plötzlich ein stummes Spiel, das einen mehr als lächerlichen Eindruck machte;
vielleicht mag das so in England Sitte sein, jedenfalls war es für den deutschen Zu¬
schauer unerträglich, nach Beendigung der Katastrophe noch eine halbe Stunde lang mit
unnatürlichen Verrenkungen gequält zu werden. Herr Aldridge schien, und darin hat er
mit der Rachel einige Nchnlichkcit, im letzten Moment noch alle feine Virtuosität auf¬
bieten zu wollen. Nachdem er sich den Dolch in's Herz gestoßen, versinnlichte er uns
zuerst nach der verabscheuungswürdigen Manier unserer Grimalsenschneider das materielle
Sterben, welches eine für die Kunst unanständige Beschäftigung ist; er röchelte, gähnte
u. s. w., wie es ja das Leipziger Publicum zu seiner größten Erbauung bereits mehr¬
fach von Herrn Kläger angesehen hat; zuletzt schlug er wie ein Bret auf den Boden,
mit einer solchen Gewalt, daß in der That ein afrikanischer Schädel dazu gehörte, um


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[0408] sang aber doch wenigstens ungefähr hergestellt blieb. Zwar sah es etwas wunderlich aus, als im letzten Act Ludovico die Rolle der Emilie übernahm und den Betrug mit dem Schnupftuch entdeckte, von dem er doch unmöglich Kunde haben konnte, indeß mochte man das doch hingehen lassen, da Herr Aldridge die ausschließliche Aufmerk¬ samkeit aus sich zog. Der erste Act machte keineswegs einen vortheilhaften Eindruck. Eine Stimme, die trotz ihrer gewaltigen Naturkraft durch fortwährend übertriebene Anstrengungen bereits gebrochen ist und nur noch keucht; eine Haltung, in der keine Spur von Adel zu finden; eine Declamation, die mehr darauf ausgeht, grelle Contraste hervorzuheben, als den Sinn entsprechend darzustellen, die zum Theil sogar i» der Erzählung, von der Art, wie er die Liebe der Desdemona gewann, von einem mangelhaftem Verständniß zeugte, das Alles war nicht vielversprechend. Auch noch zu Anfang des zweiten Acts, wo Jago seine Eifersucht zunächst nur flüchtig rege macht, war durch zu starkes Betonen und zu langes Verweilen auf diesem Moment der ersten Leidenschaft das Spiel verfehlt. Dagegen war der Ausbruch der wirklichen Leidenschaft glänzend dargestellt. Zwar können wir einzelne Laute, die zu bestialisch waren, um unter den ästhetischen Maßstab zu fallen, nicht billigen, allein das Ganze zeugte doch von einer großen Natnrbegabuug, die uns den Kampf des wilden Afrikaners mit seinen besseren Empfindungen deutlicher versinnlichte, als wir es auch nur annähernd von einem deutschen Schauspieler gesehen. Einzelne Züge, wo der tiefe Kummer des Herzens die Leidenschaft übermannt, zeugten sogar von einem tiefen Gefühl. Allein die beiden letzten Acte störten diesen guten und bedeutenden Eindruck wieder aus eine sehr unan¬ genehme Weise. Der Versuch, den Shakspeare zu überbieten, alle einzelnen Momente seines großen Seelengemäldcs dctailartig zu verarbeiten und in's Grelle zu ziehen, dieses beständig retardirende Spiel, in dem Körper und Miene sich allein ohne Beihilfe der Worte wollten geltend machen, dieses fast ängstliche Haschen nach Contrasten, welches die wildesten Naturlaute der entgegengesetztesten Art aufbot, um die Nerven zu erschüttern, das Alles war uicht allein so geschmacklos als möglich, sondern es war auch geradezu langweilig. Wenn man den ersten Eindruck auf die Nerven überwunden hat, so wird man der ewigen Erschütterungen müde und sehnt sich nach dem Ende. Uebrigens kamen auch da noch einige gute Momente vor. Der Eintritt Othello's in's Schlaf- gemach der Desdemona war schlecht, affectirt und gab keine klare Stimmung an; da¬ gegen war die Art, wie er der Desdemona seinen Entschluß anzeigte, sehr schön gedacht und fast ganz poetisch. Leider wurde man durch die lächerlich quiekende Stimme der Desdemona fortwährend gestört, und da keine Emilie da war, aus deren Wuthausbruch bei Shakspeare eigentlich wesentlich die Katastrophe beruht, so wurde der Effect nach einer ganz falschen Richtung hingelenkt. Zuletzt merkte man wohl, daß die Folge der Stimmungen wenigstens ungefähr richtig aufgefaßt war, aber nicht blos Othello verweilte bei jeder derselben viel zu lauge, sondern anch die übrigen Mitspieler wetteiferten zur Ueber- raschung des Publicums mit ihm, durch die wunderlichsten Grimassen die Geduld der Zuhörer zu mißbrauchen; namentlich entwickelte Jago, der sich bis dahin ziemlich solide gehalten hatte, plötzlich ein stummes Spiel, das einen mehr als lächerlichen Eindruck machte; vielleicht mag das so in England Sitte sein, jedenfalls war es für den deutschen Zu¬ schauer unerträglich, nach Beendigung der Katastrophe noch eine halbe Stunde lang mit unnatürlichen Verrenkungen gequält zu werden. Herr Aldridge schien, und darin hat er mit der Rachel einige Nchnlichkcit, im letzten Moment noch alle feine Virtuosität auf¬ bieten zu wollen. Nachdem er sich den Dolch in's Herz gestoßen, versinnlichte er uns zuerst nach der verabscheuungswürdigen Manier unserer Grimalsenschneider das materielle Sterben, welches eine für die Kunst unanständige Beschäftigung ist; er röchelte, gähnte u. s. w., wie es ja das Leipziger Publicum zu seiner größten Erbauung bereits mehr¬ fach von Herrn Kläger angesehen hat; zuletzt schlug er wie ein Bret auf den Boden, mit einer solchen Gewalt, daß in der That ein afrikanischer Schädel dazu gehörte, um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/408>, abgerufen am 19.10.2024.