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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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erste, bedeutsamste Mißgriff ist aber der, etwas überhaupt malen zu wollen, das
seinem geistigen Gehalte nach nicht bildlich darzustellen ist, da dessen thatsächliches
Erscheinen unter allen Umständen unverständlich und unschön bleiben muß. Es
giebt nun einmal gewisse Dinge, die, weil sie aus dem Bereiche des Körperlichen,
Darstellbaren liegen, am wenigsten durch die bildende Kunst sich so verkörpern
lassen. Schon etwas Anderes ist es, wenn derartige Vorwürfe in einem, das
Wort erläuternden und durch das Wort erläuterten Zusammenhang als cyklische
Illustration auftreten, wie etwa in dem die ganze Offenbarung umfassenden
Holzschnittwerk von Albrecht Dürer. In diesem ist das Bild mit dem Worte
geeinigt, und weder das eine, noch das andere je als selbstständiges Produkt zu
betrachten. Und selbst diese Dürer'schen Compositionen, so viel Tiefe und Geist
auch in sie hineingearbeitet ist, gehören, vom rein ästhetischen Standpunkt aus
betrachtet, keineswegs zu den schönsten des Meisters -- das Bild ist da. --
Ein zweiter Mißgriff beruht darin, daß es der Künstler gerade hier ver¬
schmähte, das zauberische Element der Farbe irgendwie zur Geltung zu bringen.
Wir wundern uns darüber um so mehr, da der Gegenstand selbst nicht nur dazu
auffordert, sondern es sogar bedingt. -- Das einzig Körperhafte, das nach dem
eigenen Zeugniß des Johannes im Raume des Vorgangs sich bewegt, bleibt --
er selbst. Alles Uebrige, die ungeheuerliche Erscheinung, wie auch der Engel
des Herrn, ist durchaus Vision und in keiner Beziehung als eine materielle, tast-
und fühlbare Erscheinung aufzufassen. Dieser Unterschied aber zwischen dem
Lebendigen und dem in ihm vorgehenden rein Geistigen konnte nur durch die
Kraft der Farbe einigermaßen wirksam versinnlicht werden, wodurch dann einzig
und allein der nothwendige Zusammenhang der Vision mit dem, von welchem
sie ausgeht, verständliche worden wäre. Statt dessen sehen wir sämmtliche
Theile des Bildes in ein und derselben Farbenschwere behandelt. Johannes,
der Engel, das Ungeheuer und die darauf strotzende Babylon -- Alle sind mit
gleicher Körperhaftigkeit begabt und jedes als ein für sich selbstständiges Indi¬
viduum steht dem andern in der materiellen Existenzfähigkeit gleichberechtigt gegen¬
über. Dies aber giebt zu einem dritten Mißgriff Veranlassung, der uns um so
mehr erstaunen läßt, als wir ihn von H uhn er am wenigsten erwartet hätten.
Ja, wir mochten fragen, für wen ist denn eigentlich dieses Ungethüm da? -- hat
der Künstler in ihm ein moralisirendes, eine antichristliche Zeit warnendes Bild
geben wollen -- wozu indeß jedwede, hier so überaus nothwendige Erläuterung
fehlt -- oder hat er es nur gemalt, um die auf dem Bilde befindliche
Figur des Johannes in seinem Entsetzen zu motiviren? Fast scheint das Letztere
der Fall, denn in ihr sehen wir wirklich in Haltung, Geberde und Ausdruck den
höchsten Grad geistiger Spannung, ohne daß wir irgendwie, weder dadurch, noch
durch die widerliche, überaus unschöne Erscheinung des drachenreitenden Weibes er¬
griffen werden. -- Wir halten demnach dieses Bild sowol in der Conception,


erste, bedeutsamste Mißgriff ist aber der, etwas überhaupt malen zu wollen, das
seinem geistigen Gehalte nach nicht bildlich darzustellen ist, da dessen thatsächliches
Erscheinen unter allen Umständen unverständlich und unschön bleiben muß. Es
giebt nun einmal gewisse Dinge, die, weil sie aus dem Bereiche des Körperlichen,
Darstellbaren liegen, am wenigsten durch die bildende Kunst sich so verkörpern
lassen. Schon etwas Anderes ist es, wenn derartige Vorwürfe in einem, das
Wort erläuternden und durch das Wort erläuterten Zusammenhang als cyklische
Illustration auftreten, wie etwa in dem die ganze Offenbarung umfassenden
Holzschnittwerk von Albrecht Dürer. In diesem ist das Bild mit dem Worte
geeinigt, und weder das eine, noch das andere je als selbstständiges Produkt zu
betrachten. Und selbst diese Dürer'schen Compositionen, so viel Tiefe und Geist
auch in sie hineingearbeitet ist, gehören, vom rein ästhetischen Standpunkt aus
betrachtet, keineswegs zu den schönsten des Meisters — das Bild ist da. —
Ein zweiter Mißgriff beruht darin, daß es der Künstler gerade hier ver¬
schmähte, das zauberische Element der Farbe irgendwie zur Geltung zu bringen.
Wir wundern uns darüber um so mehr, da der Gegenstand selbst nicht nur dazu
auffordert, sondern es sogar bedingt. — Das einzig Körperhafte, das nach dem
eigenen Zeugniß des Johannes im Raume des Vorgangs sich bewegt, bleibt —
er selbst. Alles Uebrige, die ungeheuerliche Erscheinung, wie auch der Engel
des Herrn, ist durchaus Vision und in keiner Beziehung als eine materielle, tast-
und fühlbare Erscheinung aufzufassen. Dieser Unterschied aber zwischen dem
Lebendigen und dem in ihm vorgehenden rein Geistigen konnte nur durch die
Kraft der Farbe einigermaßen wirksam versinnlicht werden, wodurch dann einzig
und allein der nothwendige Zusammenhang der Vision mit dem, von welchem
sie ausgeht, verständliche worden wäre. Statt dessen sehen wir sämmtliche
Theile des Bildes in ein und derselben Farbenschwere behandelt. Johannes,
der Engel, das Ungeheuer und die darauf strotzende Babylon — Alle sind mit
gleicher Körperhaftigkeit begabt und jedes als ein für sich selbstständiges Indi¬
viduum steht dem andern in der materiellen Existenzfähigkeit gleichberechtigt gegen¬
über. Dies aber giebt zu einem dritten Mißgriff Veranlassung, der uns um so
mehr erstaunen läßt, als wir ihn von H uhn er am wenigsten erwartet hätten.
Ja, wir mochten fragen, für wen ist denn eigentlich dieses Ungethüm da? — hat
der Künstler in ihm ein moralisirendes, eine antichristliche Zeit warnendes Bild
geben wollen — wozu indeß jedwede, hier so überaus nothwendige Erläuterung
fehlt — oder hat er es nur gemalt, um die auf dem Bilde befindliche
Figur des Johannes in seinem Entsetzen zu motiviren? Fast scheint das Letztere
der Fall, denn in ihr sehen wir wirklich in Haltung, Geberde und Ausdruck den
höchsten Grad geistiger Spannung, ohne daß wir irgendwie, weder dadurch, noch
durch die widerliche, überaus unschöne Erscheinung des drachenreitenden Weibes er¬
griffen werden. — Wir halten demnach dieses Bild sowol in der Conception,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/32>, abgerufen am 20.06.2024.