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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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dabei die Phantasie irgendwie erregt, noch das ästhetische Gefühl befriedigt wird.
Wüßten wir nicht, daß Johannes im siebzehnten Capitel der Offenbarung eine
Vision schildert, die Wort für Wort dem Dargestellten wenigstens äußerlich
entspricht, so würden wir überhaupt nicht wissen, was wir mit dem Bilde an¬
fangen sollten -- von wo aus der Kern desselben zu fassen sei, da es als
Kunstwerk an und für sich durchaus kalt läßt. -- Ist schon die Apokalypsis
von jeher eine sehr verfängliche Sache für Bibelforscher und Ausleger gewesen,
die es denn doch mit Worten und dem Verstände zu thun haben, so ist sie es
in bei weitem höhern Grade sür den bildenden Künstler, dessen Hauptaufgabe
es ist, auf den Geist, auf das Gemüth erhebend und versöhnend einzuwirken.
Denn hierfür bieten die in der Offenbarung aufgezeichneten Visionen nur dann
Stoss, wenn mau sie in ihrer tiefern, einzig giltigen Bedeutung, ohne die alle¬
gorische Metapher, als Sieg des Christenthums über den Antichrist erfaßt. Dies
ist aber wiederum mehr Sache der Poesie, als Gegenstand der bildenden Kunst,
da letztere es doch stets mit dem Körperlichen zu thun hat. Hierin liegt aber die
Klippe, woran die Wirkung des bildlich Dargestellten scheitert. Johannes, nach¬
dem er von einem der sieben Engel aufgefordert worden, ihm zu folgen, damit
er das Urtheil (Strafgericht) n. s. w. schaue, und bevor er zur metaphorisch-
allegorischen Schilderung desselben übergeht, führt uns selbst auf den Punkt, von
wo ans das Ganze zu betrachten ist, indem er sagt: "Und er (der Engel) brachte
mich im Geist in die Wüste. Und ich sahe das Weib sitzen n. s. w." Wir
haben also hier eine Erscheinung im Geiste -- ein Phantasiebild eines vom
wahren Glauben durchdrungenen, feurig empfindenden Orientalen, der -- damit
es in seiner ganzen Macht wirke, damit in ihm die Gräuel des Heidenthums und
die der Widersacher der christlichen Lehre schreiend erkannt werden -- zur Alle¬
gorie seine Zuflucht nimmt. Fragen wir uns, wie verhält sich hierzu das Bild
von Hübner? Ans demselben erblicken wir die auf dem scheußlichsten aller Un¬
geheuer sitzende Gestalt einer prächtig gekleideten, oberhalb zum Theil entblößten,
lüstern blickenden weiblichen Figur mit gemeinem Ausdruck, ohne Großheit, ohne
Stolz und -- ohne Reiz. Das ganze Gebilde, von einer Art Feuerschein um¬
geben -- vollständig als schwer lastende Materie behandelt -- schwebt in der
Lust. Auf einem wenig vorspringenden Terrainstück --- dein Gipfelpunkt eines
Abhanges, steht die ernst und würdig blickende Gestalt eines weiß gekleideten,
weiß beseitigten Engels -- des siebenten-Himmelöboten. Vor ihm ruht^ mit
starrem Entsetzen dem Scheusal zugewendet, halb zusammengesunken, Johannes --
wiederum eine ausdrucksvolle Figur eines greifen, weißbärtigen Mannes. --
Vergleichen wir diese, in einzelnen Theilen ganz trefflich durchgeführte Situation
im Bilde mit der eigentlichen Sache, um deren Darstellung es dem Künstler doch
wesentlich zu thun sein mußte --- denn wie wäre er sonst auf den Gedanken ge¬
kommen, sie zu malen -- so treten die vielfachen Mißgriffe klar zu Tage. Der


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dabei die Phantasie irgendwie erregt, noch das ästhetische Gefühl befriedigt wird.
Wüßten wir nicht, daß Johannes im siebzehnten Capitel der Offenbarung eine
Vision schildert, die Wort für Wort dem Dargestellten wenigstens äußerlich
entspricht, so würden wir überhaupt nicht wissen, was wir mit dem Bilde an¬
fangen sollten — von wo aus der Kern desselben zu fassen sei, da es als
Kunstwerk an und für sich durchaus kalt läßt. — Ist schon die Apokalypsis
von jeher eine sehr verfängliche Sache für Bibelforscher und Ausleger gewesen,
die es denn doch mit Worten und dem Verstände zu thun haben, so ist sie es
in bei weitem höhern Grade sür den bildenden Künstler, dessen Hauptaufgabe
es ist, auf den Geist, auf das Gemüth erhebend und versöhnend einzuwirken.
Denn hierfür bieten die in der Offenbarung aufgezeichneten Visionen nur dann
Stoss, wenn mau sie in ihrer tiefern, einzig giltigen Bedeutung, ohne die alle¬
gorische Metapher, als Sieg des Christenthums über den Antichrist erfaßt. Dies
ist aber wiederum mehr Sache der Poesie, als Gegenstand der bildenden Kunst,
da letztere es doch stets mit dem Körperlichen zu thun hat. Hierin liegt aber die
Klippe, woran die Wirkung des bildlich Dargestellten scheitert. Johannes, nach¬
dem er von einem der sieben Engel aufgefordert worden, ihm zu folgen, damit
er das Urtheil (Strafgericht) n. s. w. schaue, und bevor er zur metaphorisch-
allegorischen Schilderung desselben übergeht, führt uns selbst auf den Punkt, von
wo ans das Ganze zu betrachten ist, indem er sagt: „Und er (der Engel) brachte
mich im Geist in die Wüste. Und ich sahe das Weib sitzen n. s. w." Wir
haben also hier eine Erscheinung im Geiste — ein Phantasiebild eines vom
wahren Glauben durchdrungenen, feurig empfindenden Orientalen, der — damit
es in seiner ganzen Macht wirke, damit in ihm die Gräuel des Heidenthums und
die der Widersacher der christlichen Lehre schreiend erkannt werden — zur Alle¬
gorie seine Zuflucht nimmt. Fragen wir uns, wie verhält sich hierzu das Bild
von Hübner? Ans demselben erblicken wir die auf dem scheußlichsten aller Un¬
geheuer sitzende Gestalt einer prächtig gekleideten, oberhalb zum Theil entblößten,
lüstern blickenden weiblichen Figur mit gemeinem Ausdruck, ohne Großheit, ohne
Stolz und — ohne Reiz. Das ganze Gebilde, von einer Art Feuerschein um¬
geben — vollständig als schwer lastende Materie behandelt — schwebt in der
Lust. Auf einem wenig vorspringenden Terrainstück —- dein Gipfelpunkt eines
Abhanges, steht die ernst und würdig blickende Gestalt eines weiß gekleideten,
weiß beseitigten Engels — des siebenten-Himmelöboten. Vor ihm ruht^ mit
starrem Entsetzen dem Scheusal zugewendet, halb zusammengesunken, Johannes —
wiederum eine ausdrucksvolle Figur eines greifen, weißbärtigen Mannes. —
Vergleichen wir diese, in einzelnen Theilen ganz trefflich durchgeführte Situation
im Bilde mit der eigentlichen Sache, um deren Darstellung es dem Künstler doch
wesentlich zu thun sein mußte -— denn wie wäre er sonst auf den Gedanken ge¬
kommen, sie zu malen — so treten die vielfachen Mißgriffe klar zu Tage. Der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/29>, abgerufen am 19.10.2024.