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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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und Absolutisten ein ^ wilder Kampf, in welchem der König Ludwig XVIII. zu
vermitteln suchte, ohne dadurch mehr als eine vergrößerte UnPopularität zu ge¬
winnen. Der Nationalstolz der Franzosen fühlte sich ohnedies dadurch verletzt,
daß ihnen ein König durch fremde Waffen eingesetzt worden, und die schon ge¬
reizte Empfindlichkeit des Volkes wurde noch erhöht dnrch taktlose Begünstigungen
der Geistlichkeit und der Emigrirten, und absichtsvolle Demonstrationen gegen die
Erinnerungen an die Kaiserzeit, in der nun einmal Frankreich seit einer langen
Reihe von Jahren seinen glorreichsten Nuhm gesucht hatte. So bildete sich alsbald
eine zahlreiche kaiserliche Partei, die zwar mit den Republikanern nicht identisch
war, aber als Angriffsmittel gegen das Königthum von ihnen unterstützt wurde.
Daher sank der Thron der Bourbonen fast vor dem bloßen Namen Napoleon's
zusammen, als derselbe die kühne Landung in Frejus wagte, das ganze Heer fiel
ihm begeistert zu, und schon am 30. März war er wieder im Besitz von Paris
und des französischen Throns. Aber so groß auch der Jubel war, mit dem Napo¬
leon empfangen worden, so konnte er doch nicht über die unsichere Grundlage
seiner Macht tauschen. Im Süden und im Westen entstanden royalistische
Aufstände, deren Bedeutung man daraus abnehmen kaun, daß in der Vendee
allein 23000 Maun unter Lamarque verwendet werden mußten; von den nörd¬
lichen Provinzen gesteht Napoleon selbst ein, daß in ihnen ein schlechter Geist
herrschte; die republikanische Partei hatte ihn zwar gegen die Bourbons ge¬
braucht, war aber keineswegs gemeint, ihm die alte unumschränkte Gewalt wieder
in die Hände zu geben, und trat ihm überall mißtrauisch entgegen, und selbst ehe¬
malige enthusiastische und angesehene Anhänger hielten sich fern von ihm. Nur die
unteren Klassen und die Armee hingen ihm an, und er war bis jetzt nur der sieg¬
reiche Chef einer Partei, der sich erst noch durch Erfolge die aufrichtige Aner¬
kennung des ganzen Volkes verschaffen mußte. Dennoch gelang es seiner Energie,
in zwei Monaten die Factionen wenigstens vorläufig zum Schweigen zu bringen,
die Civilverwaltung zu ordnen, und das auf 113,000 Maun geschwächte Heer
durch Herbeiziehung seiner verabschiedeten Veteranen auf 217,000 Mann zu brin¬
gen. Napoleon selbst giebt außerdem uoch Depots zum Belauf von 130,000 Mann,
und eine ^.renne; oxtraorclinaire von 196,000 Mann an, angeblich als Besatzung
der Festungen verwendet. Aber diese Angabe ist jedenfalls viel zu hoch, indem
später bei Paris sich nur 40,000 Mann frische Truppe" deu aus den Nieder¬
landen geretteten Trümmern anschließen, und die Festungen auch nicht so außer¬
ordentlich stark besetzt sein konnten, da Napp in das so wichtige Straßbnrg sich
mit seinem Corps hineinwerfen mußte, um es nur zu halte". Die feindlichen
gegen Frankreich zu verweudeudeu Truppenmassen beliefen sich ans 6--700,000 Mann,
von deuen aber blos 223,000 Mann in erster Linie in den Niederlande" standen,
die übrigen konnten erst später eingreifen; dennoch mußte Napoleon a" die spa¬
nische, die italienische und die Nheingreiize stark detachiren, deu" wenn ihn auch


und Absolutisten ein ^ wilder Kampf, in welchem der König Ludwig XVIII. zu
vermitteln suchte, ohne dadurch mehr als eine vergrößerte UnPopularität zu ge¬
winnen. Der Nationalstolz der Franzosen fühlte sich ohnedies dadurch verletzt,
daß ihnen ein König durch fremde Waffen eingesetzt worden, und die schon ge¬
reizte Empfindlichkeit des Volkes wurde noch erhöht dnrch taktlose Begünstigungen
der Geistlichkeit und der Emigrirten, und absichtsvolle Demonstrationen gegen die
Erinnerungen an die Kaiserzeit, in der nun einmal Frankreich seit einer langen
Reihe von Jahren seinen glorreichsten Nuhm gesucht hatte. So bildete sich alsbald
eine zahlreiche kaiserliche Partei, die zwar mit den Republikanern nicht identisch
war, aber als Angriffsmittel gegen das Königthum von ihnen unterstützt wurde.
Daher sank der Thron der Bourbonen fast vor dem bloßen Namen Napoleon's
zusammen, als derselbe die kühne Landung in Frejus wagte, das ganze Heer fiel
ihm begeistert zu, und schon am 30. März war er wieder im Besitz von Paris
und des französischen Throns. Aber so groß auch der Jubel war, mit dem Napo¬
leon empfangen worden, so konnte er doch nicht über die unsichere Grundlage
seiner Macht tauschen. Im Süden und im Westen entstanden royalistische
Aufstände, deren Bedeutung man daraus abnehmen kaun, daß in der Vendee
allein 23000 Maun unter Lamarque verwendet werden mußten; von den nörd¬
lichen Provinzen gesteht Napoleon selbst ein, daß in ihnen ein schlechter Geist
herrschte; die republikanische Partei hatte ihn zwar gegen die Bourbons ge¬
braucht, war aber keineswegs gemeint, ihm die alte unumschränkte Gewalt wieder
in die Hände zu geben, und trat ihm überall mißtrauisch entgegen, und selbst ehe¬
malige enthusiastische und angesehene Anhänger hielten sich fern von ihm. Nur die
unteren Klassen und die Armee hingen ihm an, und er war bis jetzt nur der sieg¬
reiche Chef einer Partei, der sich erst noch durch Erfolge die aufrichtige Aner¬
kennung des ganzen Volkes verschaffen mußte. Dennoch gelang es seiner Energie,
in zwei Monaten die Factionen wenigstens vorläufig zum Schweigen zu bringen,
die Civilverwaltung zu ordnen, und das auf 113,000 Maun geschwächte Heer
durch Herbeiziehung seiner verabschiedeten Veteranen auf 217,000 Mann zu brin¬
gen. Napoleon selbst giebt außerdem uoch Depots zum Belauf von 130,000 Mann,
und eine ^.renne; oxtraorclinaire von 196,000 Mann an, angeblich als Besatzung
der Festungen verwendet. Aber diese Angabe ist jedenfalls viel zu hoch, indem
später bei Paris sich nur 40,000 Mann frische Truppe» deu aus den Nieder¬
landen geretteten Trümmern anschließen, und die Festungen auch nicht so außer¬
ordentlich stark besetzt sein konnten, da Napp in das so wichtige Straßbnrg sich
mit seinem Corps hineinwerfen mußte, um es nur zu halte». Die feindlichen
gegen Frankreich zu verweudeudeu Truppenmassen beliefen sich ans 6—700,000 Mann,
von deuen aber blos 223,000 Mann in erster Linie in den Niederlande» standen,
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nische, die italienische und die Nheingreiize stark detachiren, deu» wenn ihn auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/252>, abgerufen am 19.10.2024.