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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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mung und Verbindung der Gruppen, und vortheilhafte Vertheilung von Licht und
Schattenmasseu, wenn das Bild uicht monoton und uninteressant werdeu soll.
Dem Allem ist hier bei einem uicht zu verkennenden Streben nach Individualisi-
rung nicht Genüge geleistet, und wir bleiben kalt.

Ewald in seinem Bilde: (Galilei vertheidigt sein System vor der von
Pabst Urban Viti. eingesetzten Eongregation) befriedigt uns mehr, namentlich in
der Hauptfigur. Freilich war auch der Gegenstand günstiger; die Figuren er¬
scheinen hier in unmittelbarerer Beziehung zu einander. Doch das ist des Künst¬
lers Sache. Galilei erscheint hier, wie er mit der Begeisterung der aufrichtigsten
Ueberzeugung und mit der Sicherheit der unumstößlichsten Gründe sein System
vertheidigt hat und nun mit der Kühnheit bewußter Ueberlegenheit die Geguer
herausfordert, ihn zu widerlegen'. Es vermag uur die Bornirtheit Etwas zu ent¬
gegnen, zu beweisen nichts; es sei denn aus dem Buch Josua. Diese bornirten
Orthodoxen sind die eine Sorte seiner Gegner, die auch räumlich zusammen auf
eine Seite gebracht sind. Auf der andern stehen, während Galilei die Mitte des
Bildes einnimmt, diejenigen, welche sich noch auf wissenschaftliche Beweise ein¬
gelassen und zum Theil nachdenklich und wankend geworden scheinen. Die
Gegner sind im Ganzen, wenn sie auch wol ungefähr aussprechen, was sie sollen,
doch weniger gelungen, als Galilei selbst; auch merkt man im Arrangement und
Bau der Gruppen zu viel Absicht.




Demiurgos.
Ein M y se e r i u in.

Leipzig, Brockhaus.

Wir haben mehrfach Gelegenheit gehabt, ans die Versuche neuerer englischer
Dichter zurückzukommen, die sich einerseits durch das Beispiel des deutschen Faust,
andererseits durch Shelley's Vorbild verleiten lassen, statt bestimmter Gestalten
und bestimmter Ereignisse nebelhafte Abstractionen darzustellen, mit denen sie
Himmel und Holle gleichzeitig zu umspannen hoffen. Wir müssen immer wieder
von Neuem eine entschiedene Mißbilligung dieser Experimente an den Tag legen.
Die Kunst kann uur da Etwas leisten, wo sie sich in einen bestimmten Gegenstand
vertieft und ihn mit jener warmen Liebe, die nur dem Endlichen zukommt, umfaßt.

Das vorliegende Buch ist im Wesentlichen, wenigstens seiner Anlage nach,
eine Reminiscenz aus dem Faust. Lucifer, der eine Held des Stücks, hat zwar
im Anfang die sonderbare Grille, sich in den lieben Gott zu verwandeln, denn


mung und Verbindung der Gruppen, und vortheilhafte Vertheilung von Licht und
Schattenmasseu, wenn das Bild uicht monoton und uninteressant werdeu soll.
Dem Allem ist hier bei einem uicht zu verkennenden Streben nach Individualisi-
rung nicht Genüge geleistet, und wir bleiben kalt.

Ewald in seinem Bilde: (Galilei vertheidigt sein System vor der von
Pabst Urban Viti. eingesetzten Eongregation) befriedigt uns mehr, namentlich in
der Hauptfigur. Freilich war auch der Gegenstand günstiger; die Figuren er¬
scheinen hier in unmittelbarerer Beziehung zu einander. Doch das ist des Künst¬
lers Sache. Galilei erscheint hier, wie er mit der Begeisterung der aufrichtigsten
Ueberzeugung und mit der Sicherheit der unumstößlichsten Gründe sein System
vertheidigt hat und nun mit der Kühnheit bewußter Ueberlegenheit die Geguer
herausfordert, ihn zu widerlegen'. Es vermag uur die Bornirtheit Etwas zu ent¬
gegnen, zu beweisen nichts; es sei denn aus dem Buch Josua. Diese bornirten
Orthodoxen sind die eine Sorte seiner Gegner, die auch räumlich zusammen auf
eine Seite gebracht sind. Auf der andern stehen, während Galilei die Mitte des
Bildes einnimmt, diejenigen, welche sich noch auf wissenschaftliche Beweise ein¬
gelassen und zum Theil nachdenklich und wankend geworden scheinen. Die
Gegner sind im Ganzen, wenn sie auch wol ungefähr aussprechen, was sie sollen,
doch weniger gelungen, als Galilei selbst; auch merkt man im Arrangement und
Bau der Gruppen zu viel Absicht.




Demiurgos.
Ein M y se e r i u in.

Leipzig, Brockhaus.

Wir haben mehrfach Gelegenheit gehabt, ans die Versuche neuerer englischer
Dichter zurückzukommen, die sich einerseits durch das Beispiel des deutschen Faust,
andererseits durch Shelley's Vorbild verleiten lassen, statt bestimmter Gestalten
und bestimmter Ereignisse nebelhafte Abstractionen darzustellen, mit denen sie
Himmel und Holle gleichzeitig zu umspannen hoffen. Wir müssen immer wieder
von Neuem eine entschiedene Mißbilligung dieser Experimente an den Tag legen.
Die Kunst kann uur da Etwas leisten, wo sie sich in einen bestimmten Gegenstand
vertieft und ihn mit jener warmen Liebe, die nur dem Endlichen zukommt, umfaßt.

Das vorliegende Buch ist im Wesentlichen, wenigstens seiner Anlage nach,
eine Reminiscenz aus dem Faust. Lucifer, der eine Held des Stücks, hat zwar
im Anfang die sonderbare Grille, sich in den lieben Gott zu verwandeln, denn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/188>, abgerufen am 21.06.2024.