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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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keinen stärkern Gegner hat, als die Kirche, die von ihren Ansprüchen noch keinen
aufgegeben hat, und da eine vollständige Kenntniß des Gegners als ein halber
Sieg zu betrachten ist, so halten wir dieses Werk für ein ungemein wichtiges und
wünschen ihm ein größeres Interesse und eine größere Verbreitung, als sonst mit
streng wissenschaftlichen Unternehmungen gewöhnlich verbunden zu sein pflegt.




Roderich Benedix

Der beliebte Lustspieldichter hat sich auf seiner neuesten Rundreise durch
Deutschland überall der ehrenvollsten Aufnahme zu erfreuen gehabt. Es ist das
ein gutes Zeichen, daß die Theilnahme des deutscheu Volks für seine Dichter,
wenn sie ihm irgend gesunde Nahrung geben, doch nicht ausbleibt. Benedix
verdient diese Theilnahme in hohem Grade. Er entwickelt in seinen zahlreichen
Lustspielen einen unerschöpflichen Fonds von guter Laune und verständiger Ge¬
sinnung; er ist, was doch zum Wesen des Lustspieldichters gehört, sehr productiv:
so hat er uoch auf der Reise ein neues vieraktiges Schauspiel: "Mathilde, oder
ein Frauenherz," geschrieben, nachdem kurz vorher sein neuestes Lustspiel: "DaS
Lügen " eine so günstige Ausnahme gefunden hatte. Endlich bemüht er sich, seinen
Stoff und seine sittlichen Anschauungen ans dem wirklichen Leben des deutschen
Volks herauszuschöpfen. Das ist zwar ein sehr schweres Unternehmen, denn die
deutsche Gesellschaft hat seit Jffland's Zeiten keine übertriebene Fülle neuer und
gesunder Elemente entwickelt; aber es ist ein lobenswerthes und unerläßliches'
Unternehmen, denn so sehr wir in formeller Beziehung das Studium der franzö¬
sischen Lustspiele unsren Dichtern empfehlen, von denen der beste von Scribe noch
immer unendlich viel lernen kann, so würden wir es doch sehr bedauern, wenn
wir mit dieser Form auch den Inhalt der französischen Sittlichkeit aufnehmen
müßten. Es ist das ein Irrthum, in den unsre Lustspieldichter sehr häufig verfallen,
unter ander" neuerdings Frau Birch-Pfeiffer. Sie glauben, wenn sie französische
Namen und französische Masken einführen, auch ein eben so gutes Lustspiel zu
schreiben, wie die Franzosen. Benedix verfällt in diesen Irrthum nicht, und er
hat Recht daran, denn auch eine echte Komik kann nur aus dem innern Kern
unsres wirklichen Lebens hervorgehen, und wenn auch der Stoss widerstrebt, so
ist das für ein wirkliches Talent nnr noch ein größerer Sporn, durch kühne
Jdealistruug desselben zunächst auf die Bühne und dann auf das Leben zurück¬
zuwirken.

Nachdem wir so die Vorzüge unsres Dichters anerkannt haben, wollen wir
uns auch seine Schwächen nicht verhehlen. Zunächst seine nachlässige Komposition.


keinen stärkern Gegner hat, als die Kirche, die von ihren Ansprüchen noch keinen
aufgegeben hat, und da eine vollständige Kenntniß des Gegners als ein halber
Sieg zu betrachten ist, so halten wir dieses Werk für ein ungemein wichtiges und
wünschen ihm ein größeres Interesse und eine größere Verbreitung, als sonst mit
streng wissenschaftlichen Unternehmungen gewöhnlich verbunden zu sein pflegt.




Roderich Benedix

Der beliebte Lustspieldichter hat sich auf seiner neuesten Rundreise durch
Deutschland überall der ehrenvollsten Aufnahme zu erfreuen gehabt. Es ist das
ein gutes Zeichen, daß die Theilnahme des deutscheu Volks für seine Dichter,
wenn sie ihm irgend gesunde Nahrung geben, doch nicht ausbleibt. Benedix
verdient diese Theilnahme in hohem Grade. Er entwickelt in seinen zahlreichen
Lustspielen einen unerschöpflichen Fonds von guter Laune und verständiger Ge¬
sinnung; er ist, was doch zum Wesen des Lustspieldichters gehört, sehr productiv:
so hat er uoch auf der Reise ein neues vieraktiges Schauspiel: „Mathilde, oder
ein Frauenherz," geschrieben, nachdem kurz vorher sein neuestes Lustspiel: „DaS
Lügen " eine so günstige Ausnahme gefunden hatte. Endlich bemüht er sich, seinen
Stoff und seine sittlichen Anschauungen ans dem wirklichen Leben des deutschen
Volks herauszuschöpfen. Das ist zwar ein sehr schweres Unternehmen, denn die
deutsche Gesellschaft hat seit Jffland's Zeiten keine übertriebene Fülle neuer und
gesunder Elemente entwickelt; aber es ist ein lobenswerthes und unerläßliches'
Unternehmen, denn so sehr wir in formeller Beziehung das Studium der franzö¬
sischen Lustspiele unsren Dichtern empfehlen, von denen der beste von Scribe noch
immer unendlich viel lernen kann, so würden wir es doch sehr bedauern, wenn
wir mit dieser Form auch den Inhalt der französischen Sittlichkeit aufnehmen
müßten. Es ist das ein Irrthum, in den unsre Lustspieldichter sehr häufig verfallen,
unter ander» neuerdings Frau Birch-Pfeiffer. Sie glauben, wenn sie französische
Namen und französische Masken einführen, auch ein eben so gutes Lustspiel zu
schreiben, wie die Franzosen. Benedix verfällt in diesen Irrthum nicht, und er
hat Recht daran, denn auch eine echte Komik kann nur aus dem innern Kern
unsres wirklichen Lebens hervorgehen, und wenn auch der Stoss widerstrebt, so
ist das für ein wirkliches Talent nnr noch ein größerer Sporn, durch kühne
Jdealistruug desselben zunächst auf die Bühne und dann auf das Leben zurück¬
zuwirken.

Nachdem wir so die Vorzüge unsres Dichters anerkannt haben, wollen wir
uns auch seine Schwächen nicht verhehlen. Zunächst seine nachlässige Komposition.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/146>, abgerufen am 23.06.2024.