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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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individuell menschlichen Zuge das Jnteressanteste, und es ist!sehr lehrreich, die
ursprüngliche Anlage mit den ausgeführten Cartons zu vergleichen, wie in den
letzteren jene Züge sich immer mehr ausführen, immer inniger in die Charakteristik
des Ganzen eingreifen. So z. B. die verschiedene Empfindung der Engel, welche
die Schalen des Zorns über die Erde ausgießen. So in dem Bilde von der
neuen Jerusalem das gutmüthig neckische Verhalten der tragenden Engel gegen
die sehnsüchtig harrenden Menschenkinder. Eben so werthvoll wie die großen
Gemälde sind die kleinen Genrebilder, in denen die einzelnen guten Eigenschaften
der Menschen individualisirt werden. Daß man bei dem vollkommen incommen-
surabeln Gegenstand doch so Manches nicht versteht, und daß Cornelius in seinem
großen Sinu für das Ganze im Einzelnen manche Gesetze der Natur und
Aesthetik vielleicht etwas zu vornehm behandelt, darf dabei kaum in Anschlag
gebracht werden.

Ueber das Andere, was sich sonst von den Gemälden Berlins sagen läßt,
z. B. über die Kunstausstellung, und auch über mauche Gemälde in den älteren
Sammlungen, die eine Besprechung verdienen, werden Sie anderweitige Berichte
erhalten. Was die neuen Statuen betrifft, so verdient das Friedrichsdenkmal
alle die Anerkennung, die ihm so reichlich zu Theil geworden ist. Die Statue
an sich ist in den edelsten und elastischen Formen und die unteren Gruppen voll
von dem reichsten und wärmsten Leben. Daß es besser wäre, wenn die allego¬
rische Gruppe weggefallen und dadurch das Standbild den Augen des Publicums
etwas näher gerückt wäre, darüber ist alle Welt einig. Auch bei dieser Statue
scheint man mir doch etwas zu viel zu gleicher Zeit haben erreichen zu wollen.
Von deu gewöhnlichen Dimensionen aus sieht man vom alten Fritz nnr die Soh¬
len, und wenn es auch einen sehr schönen Anblick gewährt, wie das Bild des
großen Königs sich in kühnen Umrissen in der Atmosphäre abzeichnet, so hätte
man es doch gern, wenn man etwas näher, menschlicher mit ihm Verkehren
könnte. Um die Große dieses Königs symbolisch anzudeuten, reicht kein Piedestal
aus, und wenn man eine Pyramide aufrichten wollte. Und im Uebrigen war er
doch eine so populaire Erscheinung! Er ließ es ja zu, wenn die Berliner Straßen¬
jungen ihm in den Zügel griffen. Vom Balcon des Prinzen von Preußen wäre
vielleicht ein günstiger Puukt, ihn zu sehen; nur wendet er sein Gesicht davon ab.
Der große Kurfürst bleibt immer ein Bildwerk, welches uns menschlich näher
stehen wird.

Wir gehen von der eigentlichen Kunst ab und wenden uns zum Theater.
Die mit den königlichen Bühnen wetteifernden kleineren Theater sind eine der
wesentlichsten Errungenschaften Berlins seit der Revolution. ES läßt sich ein
allmählicher Fortschritt, eine gewisse Gliederung des Bühuenwesens voraus¬
sehen-, die freilich jetzt nur noch in deu ersten Anfängen vorhanden ist. So hat
sich z. B. das Friedrich-Wilhelmstädter Theater ein eignes Genre und ein auf-


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individuell menschlichen Zuge das Jnteressanteste, und es ist!sehr lehrreich, die
ursprüngliche Anlage mit den ausgeführten Cartons zu vergleichen, wie in den
letzteren jene Züge sich immer mehr ausführen, immer inniger in die Charakteristik
des Ganzen eingreifen. So z. B. die verschiedene Empfindung der Engel, welche
die Schalen des Zorns über die Erde ausgießen. So in dem Bilde von der
neuen Jerusalem das gutmüthig neckische Verhalten der tragenden Engel gegen
die sehnsüchtig harrenden Menschenkinder. Eben so werthvoll wie die großen
Gemälde sind die kleinen Genrebilder, in denen die einzelnen guten Eigenschaften
der Menschen individualisirt werden. Daß man bei dem vollkommen incommen-
surabeln Gegenstand doch so Manches nicht versteht, und daß Cornelius in seinem
großen Sinu für das Ganze im Einzelnen manche Gesetze der Natur und
Aesthetik vielleicht etwas zu vornehm behandelt, darf dabei kaum in Anschlag
gebracht werden.

Ueber das Andere, was sich sonst von den Gemälden Berlins sagen läßt,
z. B. über die Kunstausstellung, und auch über mauche Gemälde in den älteren
Sammlungen, die eine Besprechung verdienen, werden Sie anderweitige Berichte
erhalten. Was die neuen Statuen betrifft, so verdient das Friedrichsdenkmal
alle die Anerkennung, die ihm so reichlich zu Theil geworden ist. Die Statue
an sich ist in den edelsten und elastischen Formen und die unteren Gruppen voll
von dem reichsten und wärmsten Leben. Daß es besser wäre, wenn die allego¬
rische Gruppe weggefallen und dadurch das Standbild den Augen des Publicums
etwas näher gerückt wäre, darüber ist alle Welt einig. Auch bei dieser Statue
scheint man mir doch etwas zu viel zu gleicher Zeit haben erreichen zu wollen.
Von deu gewöhnlichen Dimensionen aus sieht man vom alten Fritz nnr die Soh¬
len, und wenn es auch einen sehr schönen Anblick gewährt, wie das Bild des
großen Königs sich in kühnen Umrissen in der Atmosphäre abzeichnet, so hätte
man es doch gern, wenn man etwas näher, menschlicher mit ihm Verkehren
könnte. Um die Große dieses Königs symbolisch anzudeuten, reicht kein Piedestal
aus, und wenn man eine Pyramide aufrichten wollte. Und im Uebrigen war er
doch eine so populaire Erscheinung! Er ließ es ja zu, wenn die Berliner Straßen¬
jungen ihm in den Zügel griffen. Vom Balcon des Prinzen von Preußen wäre
vielleicht ein günstiger Puukt, ihn zu sehen; nur wendet er sein Gesicht davon ab.
Der große Kurfürst bleibt immer ein Bildwerk, welches uns menschlich näher
stehen wird.

Wir gehen von der eigentlichen Kunst ab und wenden uns zum Theater.
Die mit den königlichen Bühnen wetteifernden kleineren Theater sind eine der
wesentlichsten Errungenschaften Berlins seit der Revolution. ES läßt sich ein
allmählicher Fortschritt, eine gewisse Gliederung des Bühuenwesens voraus¬
sehen-, die freilich jetzt nur noch in deu ersten Anfängen vorhanden ist. So hat
sich z. B. das Friedrich-Wilhelmstädter Theater ein eignes Genre und ein auf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/109>, abgerufen am 20.06.2024.