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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Londoner Straßen in dnstrie.
2.

Eine von den Costermongers sehr verschiedene Klasse von Straßenindustriellen
sind die Patterers, worunter man im Allgemeinen alle Diejenigen versteht, welche
ihren Waaren durch übertriebene mündliche Lobpreisungen Absatz zu verschaffen
suchen. Die Costermongers wachsen roh und wild auf der Straße auf, ohne
durch ihren Mangel an aller Bildung irgendwie in ihrem Geschäfte benachtheiligt
zu werden. Das Geschäft der Patterers dagegen verlangt einen gewissen Grad
von Bildung und Talent, und das Bewußtsein ihrer geistigen Ueberlegenheit
macht sie mit Verachtung ans die Costermongers herabsehen. "Wir sind die
Aristokratie der Straße," sagte einmal Einer, der mit dem cartesianischen Teufel-
chen wahrsagte, zu dem Schriftsteller Mayhew, der gründlich über die Straßeuindustrie
Londons geschrieben hat. "Die Leute bezahlen uns nicht sür das, was wir ihnen
geben, sondern nur, um uns sprechen zu hören. Wir leben wie Sie von geistiger
Arbeit -- wir vom Sprechen und Sie vom Schreiben." Aus diesem Grunde
wenden sich dieser Industrie die meisten von Denen zu, welche durch Unglück und
noch öfter durch eigene Schuld eine frühere bessere Lebensstellung verloren haben.
Mau findet unter den Patterers Söhne von Officieren, ein Paar herabgekommene
Geistliche, mehrere Leute, die eine classische Erziehung gehabt haben, Advocaten-
schreiber u. s. w. Viele von den jüngeren leben mit Freudenmädchen, und nicht
Wenige gehen ganz modisch gekleidet. Im Ganzen sind sie viel verdorbener als
die Costermongers, und ihre Industrie bleibt oft dicht an der Grenze stehen, wo
dem Gesetze nach die Gaunerei anfängt. Unter ihnen zählt vor Allem die zahl¬
reiche Klasse Derjenigen, welche die verschiedenen Arten Straßenliteratur ausrufen,
Beschreibungen wichtiger politischer Ereignisse, Hinrichtungen, wahre oder erdichtete
Ermordungen, theils indem sie durch die Straßen laufen, theils mit einem großen
Bild auf einer Stange/ das den Inhalt des Pamphlets darstellt, und mit dem sie an
den Straßenecke" stehen bleiben, und ihre Waare ausrufen. Diejenigen, welche ver¬
botene Sachen (meistens obscöne oder politische Darstellungen) aufbieten, verkaufen
oft Strohhalme, und schenken dazu ihre Waare, weil sie dadurch der Strafe des
Gesetzes entgehen, welches verbotene Sachen nur zu verkaufe", nicht zu verschenken
verbietet. Dann kommen die Verkäufer von allerlei wunderbaren Recepten, von
Hühneraugensalbe, Rattengift, Patentwichse, bis zu denen herab, welche nur un¬
bedeutende Artikel führen, um einen Vorwand zum Betteln zu haben. Allenfalls
wären auch die Straßenmaler Hieher zu rechnen. Es giebt nämlich einige Leute
in London, die bei trockenem Wetter sich an verschiedenen lebhaft besuchten Straßen
aufstellen, und mit bunten Pastellstifteu Bilder auf das Trottoir malen, wie z. B-
Christus- oder Napoleonököpse, und dafür von den Vorübergehenden eine Be-


Londoner Straßen in dnstrie.
2.

Eine von den Costermongers sehr verschiedene Klasse von Straßenindustriellen
sind die Patterers, worunter man im Allgemeinen alle Diejenigen versteht, welche
ihren Waaren durch übertriebene mündliche Lobpreisungen Absatz zu verschaffen
suchen. Die Costermongers wachsen roh und wild auf der Straße auf, ohne
durch ihren Mangel an aller Bildung irgendwie in ihrem Geschäfte benachtheiligt
zu werden. Das Geschäft der Patterers dagegen verlangt einen gewissen Grad
von Bildung und Talent, und das Bewußtsein ihrer geistigen Ueberlegenheit
macht sie mit Verachtung ans die Costermongers herabsehen. „Wir sind die
Aristokratie der Straße," sagte einmal Einer, der mit dem cartesianischen Teufel-
chen wahrsagte, zu dem Schriftsteller Mayhew, der gründlich über die Straßeuindustrie
Londons geschrieben hat. „Die Leute bezahlen uns nicht sür das, was wir ihnen
geben, sondern nur, um uns sprechen zu hören. Wir leben wie Sie von geistiger
Arbeit — wir vom Sprechen und Sie vom Schreiben." Aus diesem Grunde
wenden sich dieser Industrie die meisten von Denen zu, welche durch Unglück und
noch öfter durch eigene Schuld eine frühere bessere Lebensstellung verloren haben.
Mau findet unter den Patterers Söhne von Officieren, ein Paar herabgekommene
Geistliche, mehrere Leute, die eine classische Erziehung gehabt haben, Advocaten-
schreiber u. s. w. Viele von den jüngeren leben mit Freudenmädchen, und nicht
Wenige gehen ganz modisch gekleidet. Im Ganzen sind sie viel verdorbener als
die Costermongers, und ihre Industrie bleibt oft dicht an der Grenze stehen, wo
dem Gesetze nach die Gaunerei anfängt. Unter ihnen zählt vor Allem die zahl¬
reiche Klasse Derjenigen, welche die verschiedenen Arten Straßenliteratur ausrufen,
Beschreibungen wichtiger politischer Ereignisse, Hinrichtungen, wahre oder erdichtete
Ermordungen, theils indem sie durch die Straßen laufen, theils mit einem großen
Bild auf einer Stange/ das den Inhalt des Pamphlets darstellt, und mit dem sie an
den Straßenecke« stehen bleiben, und ihre Waare ausrufen. Diejenigen, welche ver¬
botene Sachen (meistens obscöne oder politische Darstellungen) aufbieten, verkaufen
oft Strohhalme, und schenken dazu ihre Waare, weil sie dadurch der Strafe des
Gesetzes entgehen, welches verbotene Sachen nur zu verkaufe», nicht zu verschenken
verbietet. Dann kommen die Verkäufer von allerlei wunderbaren Recepten, von
Hühneraugensalbe, Rattengift, Patentwichse, bis zu denen herab, welche nur un¬
bedeutende Artikel führen, um einen Vorwand zum Betteln zu haben. Allenfalls
wären auch die Straßenmaler Hieher zu rechnen. Es giebt nämlich einige Leute
in London, die bei trockenem Wetter sich an verschiedenen lebhaft besuchten Straßen
aufstellen, und mit bunten Pastellstifteu Bilder auf das Trottoir malen, wie z. B-
Christus- oder Napoleonököpse, und dafür von den Vorübergehenden eine Be-


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[0512] Londoner Straßen in dnstrie. 2. Eine von den Costermongers sehr verschiedene Klasse von Straßenindustriellen sind die Patterers, worunter man im Allgemeinen alle Diejenigen versteht, welche ihren Waaren durch übertriebene mündliche Lobpreisungen Absatz zu verschaffen suchen. Die Costermongers wachsen roh und wild auf der Straße auf, ohne durch ihren Mangel an aller Bildung irgendwie in ihrem Geschäfte benachtheiligt zu werden. Das Geschäft der Patterers dagegen verlangt einen gewissen Grad von Bildung und Talent, und das Bewußtsein ihrer geistigen Ueberlegenheit macht sie mit Verachtung ans die Costermongers herabsehen. „Wir sind die Aristokratie der Straße," sagte einmal Einer, der mit dem cartesianischen Teufel- chen wahrsagte, zu dem Schriftsteller Mayhew, der gründlich über die Straßeuindustrie Londons geschrieben hat. „Die Leute bezahlen uns nicht sür das, was wir ihnen geben, sondern nur, um uns sprechen zu hören. Wir leben wie Sie von geistiger Arbeit — wir vom Sprechen und Sie vom Schreiben." Aus diesem Grunde wenden sich dieser Industrie die meisten von Denen zu, welche durch Unglück und noch öfter durch eigene Schuld eine frühere bessere Lebensstellung verloren haben. Mau findet unter den Patterers Söhne von Officieren, ein Paar herabgekommene Geistliche, mehrere Leute, die eine classische Erziehung gehabt haben, Advocaten- schreiber u. s. w. Viele von den jüngeren leben mit Freudenmädchen, und nicht Wenige gehen ganz modisch gekleidet. Im Ganzen sind sie viel verdorbener als die Costermongers, und ihre Industrie bleibt oft dicht an der Grenze stehen, wo dem Gesetze nach die Gaunerei anfängt. Unter ihnen zählt vor Allem die zahl¬ reiche Klasse Derjenigen, welche die verschiedenen Arten Straßenliteratur ausrufen, Beschreibungen wichtiger politischer Ereignisse, Hinrichtungen, wahre oder erdichtete Ermordungen, theils indem sie durch die Straßen laufen, theils mit einem großen Bild auf einer Stange/ das den Inhalt des Pamphlets darstellt, und mit dem sie an den Straßenecke« stehen bleiben, und ihre Waare ausrufen. Diejenigen, welche ver¬ botene Sachen (meistens obscöne oder politische Darstellungen) aufbieten, verkaufen oft Strohhalme, und schenken dazu ihre Waare, weil sie dadurch der Strafe des Gesetzes entgehen, welches verbotene Sachen nur zu verkaufe», nicht zu verschenken verbietet. Dann kommen die Verkäufer von allerlei wunderbaren Recepten, von Hühneraugensalbe, Rattengift, Patentwichse, bis zu denen herab, welche nur un¬ bedeutende Artikel führen, um einen Vorwand zum Betteln zu haben. Allenfalls wären auch die Straßenmaler Hieher zu rechnen. Es giebt nämlich einige Leute in London, die bei trockenem Wetter sich an verschiedenen lebhaft besuchten Straßen aufstellen, und mit bunten Pastellstifteu Bilder auf das Trottoir malen, wie z. B- Christus- oder Napoleonököpse, und dafür von den Vorübergehenden eine Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/512>, abgerufen am 22.12.2024.