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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Eine große Bildung, die Fähigkeit, in lebhaften Farben zu malen und starke
Contraste zu empfinden, ist Herrn v. Nehfues nicht abzusprechen. Aber er malt
immer nur das Einzelne, und es drängen sich bei ihm so viel mannichfaltige,
schreiende und widersprechende Farben durcheinander, daß ein harmonischer Ge-
sammteindruck unmöglich wird. Von Oekcmomie hat er keinen Begriff. Außerdem
erzählt er schlecht, vielleicht weniger aus Mangel an Talent, als weil er es für
unschicklich hält, einfach zu erzählen. Er geht nicht vorwärts, sondern er springt
und länft, um dann von Zeit zu Zeit wieder erschöpft zusammenzufallen. Seine
Charaktere sind voll der geistreichsten Intentionen, aber sie werden nicht ausgeführt,
weil sie Alles, was an Kraft in ihnen ist, in einzelnen zufälligen Situationen
ausgeben.

Ein Dichter, der unter den sogenannten Geistreichen vielen Anklang gefunden
b^, ist Heinrich König. Wir wüßten keinen andern Grund anzugeben, als
daß sich die Unproductivität an der Unprvductivität erfreut. Ein solcher Mangel
"n eigenem Leben und an Gestaltungskraft ist uns selten vorgekommen. Was
nutzt es, wenn in diesen Romanen die einzelnen Personen sich ans die geistreichste
Weise über verschiedene Gegenstände unterhalten, wenn sie nie dazu kommen, ans
eine natürliche Weise zu handeln und zu empfinden?

Von den übrigen Dichtern können wir nur Hauff erwähnen, dessen "Lichten-
stein" nicht ohne Verdienst ist. Er hat die schwäbischen Zustände mit großer
wgrmer Liebe behandelt, und wir werden mir durch den resignirten sentimentalen
Ton, der sich darüber breitet, gestört. -- Wir haben zwar, und gerade in neu¬
erer Zeit, manche Versuche gesehen, die auf das richtige Ziel hinarbeiten, aber
keinen einzigen, der eine bedeutende Kraft und Energie dabei aufwendet. Als
"n Beispiel grenzenloser Geschmacksverwirrung führen wir hier zum Schluß noch
die Hexengeschichten des seligen Pastor Meinhold an, die sich gleichfalls rein
i" das Stoffliche verlieren und uns die nackte Natur geben, aber eine Natur,
wie sie von einem durchaus ungebildeten kleinen und dabei bösartigen Geist
""gesehen wird.

Wenn man in neuster Zeit einem andern Gebiet der Romantik, der soge¬
nannten Dorfgeschichte, ewe vorzügliche Pflege hat zu Theil werden lassen, so
streift das zwar auch in's historische Gebiet, denn jene Zustände werden als etwas
unsrer Cultur Entgegengesetztes aufgefaßt, und es hat außerdem den Vorzug
lebendiger und unmittelbarer Anschauung, aber es verliert sich zu sehr in'S Klein¬
leben und muß zuletzt in Sterilität aufgehen. Als Studien sind diese kleinen
Genrebilder von großem Werth, namentlich wenn sie von einem talentvollen Dichter
ausgeführt werden; allein wir würden doch Austand nehmen, in ihnen eine neue
Kunstgattung zu begrüßen.




Grenzboten. III.

Eine große Bildung, die Fähigkeit, in lebhaften Farben zu malen und starke
Contraste zu empfinden, ist Herrn v. Nehfues nicht abzusprechen. Aber er malt
immer nur das Einzelne, und es drängen sich bei ihm so viel mannichfaltige,
schreiende und widersprechende Farben durcheinander, daß ein harmonischer Ge-
sammteindruck unmöglich wird. Von Oekcmomie hat er keinen Begriff. Außerdem
erzählt er schlecht, vielleicht weniger aus Mangel an Talent, als weil er es für
unschicklich hält, einfach zu erzählen. Er geht nicht vorwärts, sondern er springt
und länft, um dann von Zeit zu Zeit wieder erschöpft zusammenzufallen. Seine
Charaktere sind voll der geistreichsten Intentionen, aber sie werden nicht ausgeführt,
weil sie Alles, was an Kraft in ihnen ist, in einzelnen zufälligen Situationen
ausgeben.

Ein Dichter, der unter den sogenannten Geistreichen vielen Anklang gefunden
b^, ist Heinrich König. Wir wüßten keinen andern Grund anzugeben, als
daß sich die Unproductivität an der Unprvductivität erfreut. Ein solcher Mangel
"n eigenem Leben und an Gestaltungskraft ist uns selten vorgekommen. Was
nutzt es, wenn in diesen Romanen die einzelnen Personen sich ans die geistreichste
Weise über verschiedene Gegenstände unterhalten, wenn sie nie dazu kommen, ans
eine natürliche Weise zu handeln und zu empfinden?

Von den übrigen Dichtern können wir nur Hauff erwähnen, dessen „Lichten-
stein" nicht ohne Verdienst ist. Er hat die schwäbischen Zustände mit großer
wgrmer Liebe behandelt, und wir werden mir durch den resignirten sentimentalen
Ton, der sich darüber breitet, gestört. — Wir haben zwar, und gerade in neu¬
erer Zeit, manche Versuche gesehen, die auf das richtige Ziel hinarbeiten, aber
keinen einzigen, der eine bedeutende Kraft und Energie dabei aufwendet. Als
"n Beispiel grenzenloser Geschmacksverwirrung führen wir hier zum Schluß noch
die Hexengeschichten des seligen Pastor Meinhold an, die sich gleichfalls rein
i" das Stoffliche verlieren und uns die nackte Natur geben, aber eine Natur,
wie sie von einem durchaus ungebildeten kleinen und dabei bösartigen Geist
"»gesehen wird.

Wenn man in neuster Zeit einem andern Gebiet der Romantik, der soge¬
nannten Dorfgeschichte, ewe vorzügliche Pflege hat zu Theil werden lassen, so
streift das zwar auch in's historische Gebiet, denn jene Zustände werden als etwas
unsrer Cultur Entgegengesetztes aufgefaßt, und es hat außerdem den Vorzug
lebendiger und unmittelbarer Anschauung, aber es verliert sich zu sehr in'S Klein¬
leben und muß zuletzt in Sterilität aufgehen. Als Studien sind diese kleinen
Genrebilder von großem Werth, namentlich wenn sie von einem talentvollen Dichter
ausgeführt werden; allein wir würden doch Austand nehmen, in ihnen eine neue
Kunstgattung zu begrüßen.




Grenzboten. III.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/501>, abgerufen am 22.12.2024.