Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

geneigt, auch den wirklichen Dichtern, die sich damit beschäftigten, die Conrfähig-
keit abzusprechen.

Unter diesen Dichtern steht Wiliba.it Alexis unstreitig voran. Wir haben
""f die Vorzüge und Mängel dieses Dichters schon mehrfach hingedeutet; hier
kommt es uns zunächst darauf an, seinen historischen Tact nachzuweisen. Er ist
der fleißigste und verständigste Schüler W. Scott's gewesen. Wie W. Scott,
gibt er seinen Zuständen zunächst dadurch einen festen Boden, daß er die Locali-
tät" zugleich mit scharf sinnlichem und historischem Auge ansieht und von allen
Seiten beleuchtet. Er sucht sich einen festen Mittelpunkt ans, und führt den Leser
von allen Seiten unter deu verschiedenartigsten Stimmungen und Lichtern in den¬
selben ein, so daß er sich ganz darin zu Hause finden muß. Er hat wieder auf
das schlagendste gezeigt, daß es bei dem geschickten Landschaftsmaler gar uicht ans
den Gegenstand ankommt, sondern nur aus die Kunst der Farbe und Stimmung.
Ruysdael und alle die andern großen Landschaftsmaler geben uns die einfachsten
Gegenstände von der Welt, aber durch Farbe und Stimmung werden sie poetisch.
Man sollte meinen, daß vou allen Theilen unsres Vaterlandes die Mark am
wenigsten ausgiebig für dergleichen Unternehmungen sein müsse, denn was sind
diese dürren Sandebenen im Vergleich zu deu romantischen Bergen Süddeutsch¬
lands, zum Rhein u. s. w. ? und doch ist unter den süddeutschen Dichtern kein,
einziger, der gerade in -dieser Beziehung mit W. Alexis wetteifern konnte. So¬
dann weiß W. Alexis die historischen Zustände mit der Gegenwart dadurch zu
vermitteln, daß er ihr allmähliches Wachsthum und ihre Entwickelung nicht blos
studirt, sondern gleichsam sinnlich empfunden hat. In der Vorrede zu den "Hosen
des Herrn v. Bredow" hat er diese Art und Weise der Conception sehr verständig'
""seiuandergesetzt. Er versucht es niemals, jene sogenannte Objectivität anzu¬
streben, die alle Vermittelung ausschließt, wie es auch W. Scott niemals ver¬
suchte. Er schreibt nicht, wie ein Schriftsteller jener Zeit geschrieben haben
würde, sondern wie ein Schriftsteller der Gegenwart, der die Vergangenheit leb¬
haft empfindet. So ist auch allem die wahre Objectivität möglich. Es kommt
für ihn noch das historische Bewußtsein von der Bestimmung seines Staats hinzu,
das deu Süddeutschen meistens fehlt; und wenn er diese Empfindung auch zu¬
weilen etwas zu redselig ausdrückt, so ist sie es doch vorzugsweise, die seinen Ge¬
mälden eine ideale Haltung giebt, und sie ans dem Genre in's historische Gebiet-
erhebt. -- Auf die Fehler des Dichters dürfen wir hier nicht näher eingehen,
wir haben sie erst vor kurzem wieder besprochen; sie kommen fast alle auf jene
Sucht nach geistreichem Wesen hinaus, die zuletzt alle Fähigkeit abstumpft, ein¬
fache, bestimmte Charaktere und Situationen zu umreißen. Alle Augenblicke
stoßen wir auf Hoffmann'sche Spukgestalten, die verständig angelegten Helden
verschwimmen in sentimentaler Metaphysik, die Begebenheiten gehen sprunghaft
weiter, und zuletzt vergißt der Dichter, was er ursprünglich gewollt hat. Selbst


geneigt, auch den wirklichen Dichtern, die sich damit beschäftigten, die Conrfähig-
keit abzusprechen.

Unter diesen Dichtern steht Wiliba.it Alexis unstreitig voran. Wir haben
""f die Vorzüge und Mängel dieses Dichters schon mehrfach hingedeutet; hier
kommt es uns zunächst darauf an, seinen historischen Tact nachzuweisen. Er ist
der fleißigste und verständigste Schüler W. Scott's gewesen. Wie W. Scott,
gibt er seinen Zuständen zunächst dadurch einen festen Boden, daß er die Locali-
tät" zugleich mit scharf sinnlichem und historischem Auge ansieht und von allen
Seiten beleuchtet. Er sucht sich einen festen Mittelpunkt ans, und führt den Leser
von allen Seiten unter deu verschiedenartigsten Stimmungen und Lichtern in den¬
selben ein, so daß er sich ganz darin zu Hause finden muß. Er hat wieder auf
das schlagendste gezeigt, daß es bei dem geschickten Landschaftsmaler gar uicht ans
den Gegenstand ankommt, sondern nur aus die Kunst der Farbe und Stimmung.
Ruysdael und alle die andern großen Landschaftsmaler geben uns die einfachsten
Gegenstände von der Welt, aber durch Farbe und Stimmung werden sie poetisch.
Man sollte meinen, daß vou allen Theilen unsres Vaterlandes die Mark am
wenigsten ausgiebig für dergleichen Unternehmungen sein müsse, denn was sind
diese dürren Sandebenen im Vergleich zu deu romantischen Bergen Süddeutsch¬
lands, zum Rhein u. s. w. ? und doch ist unter den süddeutschen Dichtern kein,
einziger, der gerade in -dieser Beziehung mit W. Alexis wetteifern konnte. So¬
dann weiß W. Alexis die historischen Zustände mit der Gegenwart dadurch zu
vermitteln, daß er ihr allmähliches Wachsthum und ihre Entwickelung nicht blos
studirt, sondern gleichsam sinnlich empfunden hat. In der Vorrede zu den „Hosen
des Herrn v. Bredow" hat er diese Art und Weise der Conception sehr verständig'
»"seiuandergesetzt. Er versucht es niemals, jene sogenannte Objectivität anzu¬
streben, die alle Vermittelung ausschließt, wie es auch W. Scott niemals ver¬
suchte. Er schreibt nicht, wie ein Schriftsteller jener Zeit geschrieben haben
würde, sondern wie ein Schriftsteller der Gegenwart, der die Vergangenheit leb¬
haft empfindet. So ist auch allem die wahre Objectivität möglich. Es kommt
für ihn noch das historische Bewußtsein von der Bestimmung seines Staats hinzu,
das deu Süddeutschen meistens fehlt; und wenn er diese Empfindung auch zu¬
weilen etwas zu redselig ausdrückt, so ist sie es doch vorzugsweise, die seinen Ge¬
mälden eine ideale Haltung giebt, und sie ans dem Genre in's historische Gebiet-
erhebt. — Auf die Fehler des Dichters dürfen wir hier nicht näher eingehen,
wir haben sie erst vor kurzem wieder besprochen; sie kommen fast alle auf jene
Sucht nach geistreichem Wesen hinaus, die zuletzt alle Fähigkeit abstumpft, ein¬
fache, bestimmte Charaktere und Situationen zu umreißen. Alle Augenblicke
stoßen wir auf Hoffmann'sche Spukgestalten, die verständig angelegten Helden
verschwimmen in sentimentaler Metaphysik, die Begebenheiten gehen sprunghaft
weiter, und zuletzt vergißt der Dichter, was er ursprünglich gewollt hat. Selbst


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0499" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94940"/>
          <p xml:id="ID_1470" prev="#ID_1469"> geneigt, auch den wirklichen Dichtern, die sich damit beschäftigten, die Conrfähig-<lb/>
keit abzusprechen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1471" next="#ID_1472"> Unter diesen Dichtern steht Wiliba.it Alexis unstreitig voran. Wir haben<lb/>
""f die Vorzüge und Mängel dieses Dichters schon mehrfach hingedeutet; hier<lb/>
kommt es uns zunächst darauf an, seinen historischen Tact nachzuweisen.  Er ist<lb/>
der fleißigste und verständigste Schüler W. Scott's gewesen.  Wie W. Scott,<lb/>
gibt er seinen Zuständen zunächst dadurch einen festen Boden, daß er die Locali-<lb/>
tät" zugleich mit scharf sinnlichem und historischem Auge ansieht und von allen<lb/>
Seiten beleuchtet. Er sucht sich einen festen Mittelpunkt ans, und führt den Leser<lb/>
von allen Seiten unter deu verschiedenartigsten Stimmungen und Lichtern in den¬<lb/>
selben ein, so daß er sich ganz darin zu Hause finden muß.  Er hat wieder auf<lb/>
das schlagendste gezeigt, daß es bei dem geschickten Landschaftsmaler gar uicht ans<lb/>
den Gegenstand ankommt, sondern nur aus die Kunst der Farbe und Stimmung.<lb/>
Ruysdael und alle die andern großen Landschaftsmaler geben uns die einfachsten<lb/>
Gegenstände von der Welt, aber durch Farbe und Stimmung werden sie poetisch.<lb/>
Man sollte meinen, daß vou allen Theilen unsres Vaterlandes die Mark am<lb/>
wenigsten ausgiebig für dergleichen Unternehmungen sein müsse, denn was sind<lb/>
diese dürren Sandebenen im Vergleich zu deu romantischen Bergen Süddeutsch¬<lb/>
lands, zum Rhein u. s. w. ? und doch ist unter den süddeutschen Dichtern kein,<lb/>
einziger, der gerade in -dieser Beziehung mit W. Alexis wetteifern konnte. So¬<lb/>
dann weiß W. Alexis die historischen Zustände mit der Gegenwart dadurch zu<lb/>
vermitteln, daß er ihr allmähliches Wachsthum und ihre Entwickelung nicht blos<lb/>
studirt, sondern gleichsam sinnlich empfunden hat. In der Vorrede zu den &#x201E;Hosen<lb/>
des Herrn v. Bredow" hat er diese Art und Weise der Conception sehr verständig'<lb/>
»"seiuandergesetzt.  Er versucht es niemals, jene sogenannte Objectivität anzu¬<lb/>
streben, die alle Vermittelung ausschließt, wie es auch W. Scott niemals ver¬<lb/>
suchte.  Er schreibt nicht, wie ein Schriftsteller jener Zeit geschrieben haben<lb/>
würde, sondern wie ein Schriftsteller der Gegenwart, der die Vergangenheit leb¬<lb/>
haft empfindet.  So ist auch allem die wahre Objectivität möglich.  Es kommt<lb/>
für ihn noch das historische Bewußtsein von der Bestimmung seines Staats hinzu,<lb/>
das deu Süddeutschen meistens fehlt; und wenn er diese Empfindung auch zu¬<lb/>
weilen etwas zu redselig ausdrückt, so ist sie es doch vorzugsweise, die seinen Ge¬<lb/>
mälden eine ideale Haltung giebt, und sie ans dem Genre in's historische Gebiet-<lb/>
erhebt. &#x2014; Auf die Fehler des Dichters dürfen wir hier nicht näher eingehen,<lb/>
wir haben sie erst vor kurzem wieder besprochen; sie kommen fast alle auf jene<lb/>
Sucht nach geistreichem Wesen hinaus, die zuletzt alle Fähigkeit abstumpft, ein¬<lb/>
fache, bestimmte Charaktere und Situationen zu umreißen.  Alle Augenblicke<lb/>
stoßen wir auf Hoffmann'sche Spukgestalten, die verständig angelegten Helden<lb/>
verschwimmen in sentimentaler Metaphysik, die Begebenheiten gehen sprunghaft<lb/>
weiter, und zuletzt vergißt der Dichter, was er ursprünglich gewollt hat. Selbst</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0499] geneigt, auch den wirklichen Dichtern, die sich damit beschäftigten, die Conrfähig- keit abzusprechen. Unter diesen Dichtern steht Wiliba.it Alexis unstreitig voran. Wir haben ""f die Vorzüge und Mängel dieses Dichters schon mehrfach hingedeutet; hier kommt es uns zunächst darauf an, seinen historischen Tact nachzuweisen. Er ist der fleißigste und verständigste Schüler W. Scott's gewesen. Wie W. Scott, gibt er seinen Zuständen zunächst dadurch einen festen Boden, daß er die Locali- tät" zugleich mit scharf sinnlichem und historischem Auge ansieht und von allen Seiten beleuchtet. Er sucht sich einen festen Mittelpunkt ans, und führt den Leser von allen Seiten unter deu verschiedenartigsten Stimmungen und Lichtern in den¬ selben ein, so daß er sich ganz darin zu Hause finden muß. Er hat wieder auf das schlagendste gezeigt, daß es bei dem geschickten Landschaftsmaler gar uicht ans den Gegenstand ankommt, sondern nur aus die Kunst der Farbe und Stimmung. Ruysdael und alle die andern großen Landschaftsmaler geben uns die einfachsten Gegenstände von der Welt, aber durch Farbe und Stimmung werden sie poetisch. Man sollte meinen, daß vou allen Theilen unsres Vaterlandes die Mark am wenigsten ausgiebig für dergleichen Unternehmungen sein müsse, denn was sind diese dürren Sandebenen im Vergleich zu deu romantischen Bergen Süddeutsch¬ lands, zum Rhein u. s. w. ? und doch ist unter den süddeutschen Dichtern kein, einziger, der gerade in -dieser Beziehung mit W. Alexis wetteifern konnte. So¬ dann weiß W. Alexis die historischen Zustände mit der Gegenwart dadurch zu vermitteln, daß er ihr allmähliches Wachsthum und ihre Entwickelung nicht blos studirt, sondern gleichsam sinnlich empfunden hat. In der Vorrede zu den „Hosen des Herrn v. Bredow" hat er diese Art und Weise der Conception sehr verständig' »"seiuandergesetzt. Er versucht es niemals, jene sogenannte Objectivität anzu¬ streben, die alle Vermittelung ausschließt, wie es auch W. Scott niemals ver¬ suchte. Er schreibt nicht, wie ein Schriftsteller jener Zeit geschrieben haben würde, sondern wie ein Schriftsteller der Gegenwart, der die Vergangenheit leb¬ haft empfindet. So ist auch allem die wahre Objectivität möglich. Es kommt für ihn noch das historische Bewußtsein von der Bestimmung seines Staats hinzu, das deu Süddeutschen meistens fehlt; und wenn er diese Empfindung auch zu¬ weilen etwas zu redselig ausdrückt, so ist sie es doch vorzugsweise, die seinen Ge¬ mälden eine ideale Haltung giebt, und sie ans dem Genre in's historische Gebiet- erhebt. — Auf die Fehler des Dichters dürfen wir hier nicht näher eingehen, wir haben sie erst vor kurzem wieder besprochen; sie kommen fast alle auf jene Sucht nach geistreichem Wesen hinaus, die zuletzt alle Fähigkeit abstumpft, ein¬ fache, bestimmte Charaktere und Situationen zu umreißen. Alle Augenblicke stoßen wir auf Hoffmann'sche Spukgestalten, die verständig angelegten Helden verschwimmen in sentimentaler Metaphysik, die Begebenheiten gehen sprunghaft weiter, und zuletzt vergißt der Dichter, was er ursprünglich gewollt hat. Selbst

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/499
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/499>, abgerufen am 22.12.2024.